„Naturschutzgebiete wirken am besten“

Brasiliens Wald ist am ehesten vor Abholzung geschützt, wenn Landrechte an klare Umweltauflagen gekoppelt sind, sagt der Biologe Carsten Meyer – und wenn Behörden die Vorgaben durchsetzen

Wo wenig geregelt ist, wird abgeholzt: Amazonas-Regenwald in Brasilien Foto: Ronie Luis Leite/Demotix/picture alliance

Interview von Heike Holdinghausen

Herr Meyer, Ihr Institut hat den Zusammenhang von Landnutzungsrechten und Abholzung von Wäldern in Brasilien untersucht. Sind Wälder in Staatseigentum besser geschützt als solche in Privateigentum?

Carsten Meyer: Nicht grundsätzlich. Wenn Wald sich in Staatsbesitz befindet und die örtlichen Landrechte nicht klar geregelt sind, dann wird er am ehesten abgeholzt. Wenn es also keine genauen Vorgaben gibt, wer den Wald wann wie nutzen darf – oder was darin verboten ist – dann wird es schwierig. In solchen Gebieten haben wir deutlich höhere Entwaldungsraten.

Privatbesitzer haben keine höheren Profitinteressen als der Staat?

Unsere Analysen zeigen, dass in den meisten Fällen eine Privatisierung solch „rechtloser“ staatlicher Flächen zwar helfen würde, den Wald zu schützen. Sie würde dies aber weniger effektiv tun als Staatsbesitz mit klar definierten Landrechten, wie beispielsweise in Naturschutzgebieten. Wenn Privatbesitz aber an strenge Umweltauflagen gekoppelt ist – die auch durchgesetzt werden – dann ist er mitunter sogar gut für den Wald. Das können wir in Amazonien gut zeigen: Anfang der 80er Jahre war Privatbesitz für die Natur die schlimmste Alternative zum völligen Fehlen von definierten Landrechten. Nach den 2000er Jahren wurde er dann zur effektivsten Methode für den Waldschutz.

Warum?

In Amazonien finden wir einerseits sehr entlegene, riesengroße Gebiete, die staatliche Institutionen kaum kontrollieren können, das ist schon logistisch schwierig. Gleichzeitig ist es so, dass seit 2001 in Amazonien private Landrechte viel stärker an Umweltgesetze gekoppelt sind.

Was sind das genau für Landrechte?

Hierbei geht es nicht lediglich darum, das Land privat zu besitzen, sondern auch darum, ob man es beispielsweise beleihen darf, um so an Kredite zu kommen, ob man andere von diesem Land ausschließen darf, wie man es nutzen darf und so weiter. Letztlich entscheidet dieses Bündel der verschiedenen Landrechte, wie gut der Wald geschützt ist. In Amazonien beispielsweise sind die Nutzungsrechte für Privatbesitz sehr eingeschränkt. So müssen private Waldbesitzer dort 80 Prozent der natürlichen Vegetation stehen lassen, im Vergleich zu 20 oder 35 Prozent in anderen brasilianischen Regionen. Ob sie sich daran halten, können die Behörden mit Satellitenbildern überprüfen und bei Verdachtsfällen sogar mal Mitarbeiter vorbeischicken.

Spricht das für Privatisierung in jedem Fall?

Nein, auf der Skala von ganz Brasilien zeigen uns die Daten: Würden die Landrechte der indigenen Bevölkerung wegfallen und der Wald privatisiert, würde dies in den meisten Fällen zu einem Anstieg der Entwaldung führen. In den letzten Jahren, in denen die Regierung Jair Bolsonaros die indigenen Landrechte geschwächt hat, ist es stellenweise bereits zu genau diesem Szenario gekommen. Aber daraus können wir nicht ableiten: Wenn wir die Menschenrechte schützen, schützen wir die Natur. So einfach ist es nicht.

Entwicklungs-Organisationen betonen, verbriefte Landrechte für indigene oder lokale Bevölkerungen seien der beste Waldschutz. Das zeigen ihre Daten nicht?

Zumindest haben wir keine eindeutigen Effekte gefunden. In einigen Gebieten haben Landrechte für indigene Gruppen nachweisbar zu weniger Entwaldung geführt, in anderen nicht. Landrechte für diese Bevölkerungsgruppen sind ein Menschenrecht und daher als Wert an sich wichtig. Aber dass sie automatisch mit einem besseren Naturschutz einhergehen, das zeigen unsere Daten nicht.

Zu gemeinsamer Landnutzung wie der Allmende macht ihre Untersuchung keine Aussage?

Unsere Daten zeigen an, dass die Besitzform zwar ein entscheidender, aber nicht der einzige Faktor ist. Entscheidend ist, ob der Waldschutz im Mittelpunkt staatlicher Regulierung steht und ob die Behörden fähig sind, die klaren Regeln auch durchzusetzen.

Wie sind Sie in Ihrer Untersuchung vorgegangen?

Wir haben Katasterdaten mit Satellitenbildern verknüpft, vereinfacht gesagt. Insgesamt war das komplex: Wir haben aus behördlichen Online-Datenbanken parzellenweise Millionen von Einträgen über den rechtlichen Status von Land heruntergeladen. Das ist in Brasilien relativ einfach möglich, da solche Daten hier frei zugänglich sind. Den rechtlichen Status haben wir dann mit Satellitenbildern abgeglichen, die die Entwaldung zeigen. Andere Faktoren, wie etwa die Größe der Parzellen oder Zugänglichkeit von Gebieten, die Dichte der Besiedlung oder Anbindung an Märkte, haben wir herausgerechnet. Wir haben versucht, ein Experiment nachzubilden, um den kausalen Effekt von Landrechten auf Abholzung nachzuweisen.

Foto: Stefan Bernhardt

Dr. Carsten Meyer ist Nachwuchs-Forschungsgruppenleiter am Deutschen Zentrum für integrative Biodiversitätsforschung (iDiv) Halle-Jena-Leipzig. Das DFG-Forschungszen-trum wird von den Universitäten Halle-Wittenberg, Jena und Leipzig in Kooperation mit dem Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ) gemeinsam betrieben und ist in Leipzig angesiedelt.

Welchen Zeitraum und welche Regionen haben Sie untersucht?

Wir haben Daten seit den 80er Jahren verwendet und ganz verschiedene Regionen untersucht. Dabei haben wir Zeiten und Räume kombiniert, so, als hätten wir unsere Studie unter ganz unterschiedlichen ökonomischen, sozialen oder politischen Bedingungen durchgeführt.

Heißt das, man kann die Ergebnisse aus Brasilien auf andere Länder übertragen?

Das ist so einfach nicht möglich. Schließlich herrschen im Kongo oder in Indonesien, die ebenfalls über große Urwälder mit einer enormen Biodiversität verfügen, ganz andere historische, politische oder geografische Gegebenheiten. Aber einige grundsätzliche Aussagen lassen sich zumindest mit größerer Wahrscheinlichkeit übertragen. Am wichtigsten ist: Nicht klar reglementierte Rechte sind schlecht für den Wald. Ist nicht klar geregelt, wem was erlaubt oder verboten ist, dann wird am meisten abgeholzt. Das gilt unter ganz verschiedenen Gegebenheiten innerhalb Brasiliens, und daher am ehesten auch außerhalb. Außerdem sind, zweitens, Naturschutzgebiete der beste Schutz gegen Entwaldung, und zwar sowohl solche Gebiete, die noch nachhaltig genutzt werden, also auch solche, die streng geschützt sind. Unsere Aussagen insbesondere zu privaten und indigenen Landrechten sind allerdings immer noch mit Unsicherheiten verbunden. Für eine bessere Übertragbarkeit helfen nur mehr Daten. Ich würde mir wünschen, dass alle Länder so offen mit ihren Daten umgehen, wie Brasilien das macht. Wenn Wissenschaftler überall Zugang zu parzellengenauen Daten zu Landrechten hätten, dann könnten sie jeweils landesspezifisch erforschen, unter welchen Bedingungen sich Wald wie am besten schützen lässt.

Was bedeuten Ihre Ergebnisse für die anstehenden Verhandlungen für ein neues UN-Biodiversitätsabkommen?

Sie sind auf verschiedene Weise relevant. Zum Beispiel steht in dem Entwurf für einen neuen Vertragstext, dass alle Ländereien unter integrierter Flächenplanung stehen sollen, die auch den Schutz der Biodiversität berücksichtigt. Wenn hier eine starke Formulierung durchgesetzt wird, dann müssen sich die Behörden, die für Regionalplanung zuständig sind, grundsätzlich auch mit Biodiversität befassen. Das wäre ein sehr großer Schritt vorwärts, denn es würde den Naturschutz flächendeckend stärken, unabhängig von der vorherrschenden Besitzform, und insbesondere natürlich in den Gebieten, in denen derzeit das Fehlen von klar definierten Besitz- und Nutzungsrechten zu hohen Entwaldungsraten führt. Auch für ein weiteres Ziel im Vertragstext sind unsere Ergebnisse von Interesse: Es sieht vor, dass der Erhalt der Biodiversität in alle anderen Entwicklungsprozesse einbezogen wird. Dann müssten also beispielsweise Strategien, Landrechte als Instrument für den Kampf gegen Hunger oder für Wirtschaftswachstum zu nutzen, auch den Schutz der Natur berücksichtigen. Unsere Studie unterstützt sehr deutlich die Erkenntnis, dass Naturschutz explizit als Ziel benannt und durchgesetzt werden muss, als Beigabe ist es nicht zu haben.

Die Studie zu Landrechten und Entwaldung wurde von Andrea Pacheco und Carsten Meyer in der Zeitschrift Nature Communications veröffentlicht.