Affektlehre

■ 43, studierte Religionswissenschaft, Geschichte und vergleichende Literaturwissenschaft. Sie ist Autorin von Lyrik, Prosa und Essays, die in zahlreichen Anthologien, Literaturzeitschriften und eigenen Büchern erschienen sind. Zuletzt: „Ich bin der Wind. Geschwinde Lieder für Kinder“. Mit Andreas Töpfer (Illustration), Wilhelm Taubert (Lieder), Katia Tchemberdji (Komposition), Kookbooks Berlin 2011.

■ Das hier abgedruckte Gedicht stammt aus Monika Rincks Band „Honigprotokolle“. Mit vier Liedern von Bo Wiget und einem Poster von Andreas Töpfer. Kookbooks, Berlin 2012. Monika Rinck lebt in Berlin.

Hört ihr das, so höhnen Honigprotokolle: Du kannst hier schlankweg nicht in aller Roheit reingehn. Komisch, ich kann euch gar nicht hören, weil ich so schreie, vermutlich. Ich trage meinen Zorn als Hirschgeweih. Ich habe die Räume, wo Schönes gewesen, hüfthoch mit Brühe geflutet, ich habe überblasen die Flöte, das Posthorn, mir platzten am Mundstück die Lippen. Ich wütete, wüte. Ich rauchte, ich rauche. Ich singe, scherze, küsse, schlafe. Ich starrte und starre ins Weiße. Ich habe Lieder in mir und eine Sense. Es ist jetzt Sense, sagt mir die Sense. Und gleichsam dunkler und klarer erscheint das verwüstete Dorf. Durch den Abgrund meiner Seele zieht eine Herde. Wo ist denn die Flöte? Ich weiß nicht. Das vorbeglückte Vieh weidet auf verrotteten Wiesen e e e ekligen Klee. Morgen wird sich selber geschlachtet, ausgefellt, abgenagt, eingemacht, verkündet die Sense. Keiner glaubt ihr das, obwohl keiner widerspricht. Das ist die auf den Kopf gestellte, von oben bis unten verdreckte Idylle. Es scheint, das Ende der Anmuth ist da. Hier muss ich nun schließen. Von Herzen alles Gute wünscht Dir Deine Maid. Watch me explode.

Monika Rinck

■ Mehr als 180 Künstler aus 44 Ländern der Welt kommen vom heutigen Freitag an zum traditionellen Poesiefestival nach Berlin. Es wird von der Literaturwerkstatt Berlin in Zusammenarbeit mit der Akademie der Künste veranstaltet, findet zum 13. Mal statt und läuft bis zum 9. Juni. Die meisten Veranstaltungen sind im Akademiegebäude am Hanseatenweg.

■ Zum heutigen Auftakt kommen Vertreter der internationalen Dichtkunst in der Akademie zu einer Nacht der Poesie zusammen. Unter dem Titel „Weltklang“ lesen sie in ihrer Muttersprache ohne eingesprochene Übersetzung. Vertreten sind etwa Tomomi Adachi (Japan), Yan Jun (China), Abdelwahab Meddeb (Tunesien), Michael Palmer (USA) und auch Monika Rinck. Im Rahmen der „Poets’ Corner“ lesen am Samstag Autoren in mehreren Bezirken. Eintritt frei.

■ Programm unter www.poe siefestival.org

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