AfD nach Wahl in Niedersachsen: Angstpropheten im Aufwind

Die AfD profitiert von der Krise und schürt weiter Ängste. Sozialpsychologin Pia Lamberty widerspricht der These einer reinen Protestwahl.

Tino Chrupalla schaut nach rechts

Ist gern gesehener Gast in Moskau: Tino Chrupalla, Co-Vorsitzender der extrem rechten AfD Foto: Michael Tantussi/reuters

BERLIN taz | AfD-Bundessprecher Tino Chrupalla machte am Montag dort weiter, wo er am Sonntagabend aufgehört hat: Er instrumentalisierte Abstiegsängste, ohne nachhaltige Lösungen anzubieten, sprach von einem „Wirtschaftskrieg“ Deutschlands gegen Russland und malte apokalyptische Szenarien an die Wand: „Wir stehen kurz vor dem dritten Weltkrieg!“, sagte Chrupalla am Montag nach der Landtagswahl in Niedersachsen. Man müsse mit Russland verhandeln, so Chrupalla – wohlgemerkt kurz nachdem Russland erneut Kiew und andere ukrainische Städte bombardiert hatte.

Das Wahlergebnis bei der Landtagswahl in Niedersachsen ist für die AfD ein großer Erfolg: Es ist das erste Mal seit 2018, dass die Partei in einem westdeutschen Bundesland zweistellig abgeschnitten hat. Ihre Mandate konnte die AfD sogar verdoppeln. Entsprechend selbstbewusst wirkte nicht nur Chrupalla, sondern auch der niedersächsische Spitzenkandidat Stefan Marzischewski-Drewes bei einer Pressekonferenz zur Wahlnachlese in dem Steigenberger Hotel am Kanzleramt. Marzischewski-Drewes sprach davon, dass die Zeit der AfD im Westen nun komme und dass es sich mitnichten um eine Protestwahl gehandelt habe.

Demoskopen sehen das anders: AfD sei klarer Krisenprofiteur. Wähler wählten die AfD laut Infratest Dimap überwiegend aus Enttäuschung über andere Parteien. Neu ist allerdings, dass die extrem rechte Partei erstmals auch aus ökonomischen Erwägungen gewählt wurde, etwa Preissteigerungen (37 Prozent) und Energiesicherheit (30 Prozent).

In der Wählerwanderung profitierte die AfD vor allem von CDU und FDP. Hier dürften sowohl die rechtspopulistischen Merz-Einlassungen sowie enttäuschte mittelständische Unternehmen und das Handwerk eine Rolle gespielt haben. Die AfD zielt in ihrer Ansprache seit geraumer Zeit auf die Abstiegsängste von Handwerkern und mittelständischen Betrieben.

In Cottbus reicht es nicht für die AfD

Eine schlechte Nachricht für die AfD gab es dennoch am Sonntag: Für das Oberbürgermeisteramt im brandenburgischen Cottbus hat es bei Weitem nicht gereicht: Der dortige AfD-Kandidat Lars Schieske hatte sich in der Stichwahl in der rechten Hochburg erhebliche Chancen ausgerechnet. Er erzielte jedoch lediglich 31,4 Prozent, kaum mehr als im ersten Wahlgang. Der SPD-Kandidat Tobias Schick gewann deutlich mit 68,6 Prozent.

Mit Blick auf die bevorstehenden Monate nannte Sozialpsychologin Pia Lamberty vom Cemas, einem Thinktank zu Verschwörungsideologie und Desinformation, die These von der reinen Protestwahl beim RND „verkürzt“: Beim Erstarken der AfD kämen verschiedene Faktoren zusammen, es gebe neben einem gefestigtem Wählerpotential Menschen, „die ideologische Übereinstimmung mit Rechtspopulismus haben und in der aktuellen Krisenlage Rechtsextremismus, Hass und Hetze als Lösungsstrategie wählen“, so Lamberty.

Es gebe sicher auch Protestwähler, aber es brauche einen antidemokratischen Vorraum und Offenheit für Ressentiments, um die AfD zu wählen. Lamberty warnte davor, dass die AfD in den kommenden Monaten weiteren Zulauf bekommen könnte. Akteure der Desinformation arbeiteten weiter daran, die Vertrauenskrise in den Staat zu vergrößern. Auch deswegen dürften Politiker der anderen Parteien „nicht in den Chor der Antidemokraten“ einschwören.

Offener Rechtsextremismus stört offenbar nicht

Es spricht für Lambertys These, dass die Einstufung der AfD als rechtsextremer Verdachtsfall Wäh­le­r*in­nen der AfD ebenso wenig gestört haben wie die fortgesetzte Radikalisierung der Partei. In Konsequenz lässt sich immer unverhohlener rechtsextremes Auftreten von Anhängerschaft und Funk­tio­nä­r*in­nen beobachten: Vergangenen Samstag bei der AfD-Großdemo in Berlin posierte ein Thüringer AfD-Politiker Holger Winterstein freudestrahlend mit den Händen zum Himmel auf einer Stele des Holocaust-Mahnmals und schrieb dazu: „Wir da unten haben denen da oben ihren Weg gezeigt – ohne Umweg, über die hochverdiente Hölle, ins Nirvana.“

Ähnlich revisionistisch wie der Thüringer Landeschef Björn Höcke, der das Denkmal der ermordeten Juden 2017 als „Denkmal der Schande“ bezeichnete und eine „erinnerungspolitische Wende“ forderte, schrieb Winterstein nach öffentlicher Empörung dazu, der Zeitgeist sei nur eine kurze Erscheinung: „Thüringer, Franken, Sachsen, Bayern, Schwaben, Friesen … wir sind das Volk.“ Winterstein war 2019 Landtagskandidat der von Höcke dominierten völkischen AfD Thüringen.

Nicht nur Ralf Stegner von der SPD empörte sich: „Wer immer noch nicht kapiert hat, dass das ekelhafte rechtsradikale Pack bekämpft und diese Typen wieder aus den Parlamenten vertrieben werden müssen, dem ist nicht zu helfen!“

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Wer hat wie wo gewählt in Niedersachsen? Die Wahlergebnisse im Land und in den Wahlkreisen und die Wählerwanderung in Grafiken finden Sie hier.

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