„Sie können ja nichts für die Situation“

Familie Böhm hat Anfang April kurzentschlossen eine Mutter mit zwei Kindern bei sich aufgenommen. Die drei Ukrai­ne­r:in­nen sind vor den russischen Angriffen auf ihren Heimatort Charkiw nach Berlin geflohen. Für den Familienvater Timm Böhm war es eine Selbstverständlichkeit, Geflüchtete bei sich aufzunehmen. „Drei meiner Großeltern waren auch Flüchtlinge. Hätte es da nicht Menschen gegeben, die mit Essen und Unterkunft geholfen haben, dann gäbe es mich heute nicht“, erläutert der Unternehmensberater die Motivation, seinen Wohnraum mit Geflüchteten aus der Ukraine zu teilen.

Katja und ihre zwei Kinder haben im Haus der Familie Böhm ein eigenes Schlafzimmer. Beim Einzug der Familie wurden Schränke und ein eigener Kühlschrank für die Ukrai­ne­r:in­nen besorgt. Wohnzimmer und Garten werden geteilt.

Die Sprachbarriere stelle eine besondere Schwierigkeit für das Zusammenleben dar. Kulturelle Differenzen spielen auch eine Rolle, erklärt Herr Böhm. Unterschiedliche Vorstellungen von Hygiene und Kindererziehung treffen da aufeinander, wo Lösungen, mit denen sich alle Mit­be­woh­ne­r:in­nen wohlfühlen, gefunden werden müssen. „Ich weiß nicht, was falsch oder richtig ist, aber es ist halt anders“, meint Herr Böhm. Die Gast­ge­be­r:in­nen sprechen Konfliktthemen sofort offen mit den Gästen an. Das sei wichtig für ein langfristiges Zusammenleben, aber mitunter auch anstrengend.

Katja leidet unter den Folgen eines Schlaganfalls und ihr Sohn hat wohl eine posttraumatische Belastungsstörung. Die zerstörerischen Folgen seines aggressiven Verhaltens haben die ersten zwei Monatszahlungen des Jobcenters gekostet, berichtet Herr Böhm. Aber die Gast­ge­be­r:in­nen sind verständnisvoll. „Sie können ja nichts für die Situation. Man kann ihnen keinen Vorwurf machen, aber das heißt nicht, dass es nicht nervt“, so der Gastgeber.

Herr Böhm hat Kindergeld für die Familie beantragt, Arzttermine organisiert und begleitet und eine Unterbringung in einer nahegelegenen Schule beziehungsweise Kita für die Kinder gefunden. Der Unternehmensberater telefoniert im Auto mit Behörden und Ärzten und schreibt auf Rastplätzen schnell E-Mails. Er legt seine beruflichen Termine so, dass er die Familie zum Beispiel zum Jobcenter begleiten kann. Aufgrund des Engagements ihres Gastgebers erhalten Katja und ihre Kinder bereits Leistungen vom Jobcenter.

Es gab auch ein Jobangebot für die Ukrainerin. Aber, wer als in den Arbeitsmarkt integriert gilt, der:­die hat keinen rechtlichen Anspruch auf einen Sprachkurs mehr. Deswegen wurde das Jobangebot abgelehnt und Katja bezieht vorerst Hartz IV und lernt Deutsch. Alles in allem sei es sehr kostenintensiv und zeitaufwendig, so die Erfahrung von Familie Böhm. Aber trotz der Sprachbarriere, der kulturellen Differenzen und des bürokratischen Aufwands erfreut sich Böhm an dem Zusammenleben. Marita Fischer