Turbulenzen in der Linkspartei: Banalitäten als Provokation

Die Linksfraktion beschließt mehrheitlich Selbstverständlichkeiten. Für das Wagenknecht-Lager ist das aber schon eine Majestätsbeleidigung.

Dietmar Bartsch telefoniert

Hat einigen Beratungbedarf: Linksfraktionschef Dietmar Bartsch übt sich im Krisenmanagement Foto: Kay Nietfeld/dpa

Wer wissen will, in welchem Zustand sich die Linkspartei befindet, braucht sich nur anzuschauen, was ihre Bundestagsfraktion nach rund dreistündiger Diskussion am späten Dienstagnachmittag beschlossen hat. Nein, Dietmar Bartsch, Amira Mohamed Ali & Co. haben nichts Skandalöses verabschiedet, ganz im Gegenteil. Ihr „Beschluss über die Arbeitsweise der Fraktion“ enthält eigentlich nur Selbstverständlichkeiten.

Doch in der Linkspartei ist eben nichts mehr selbstverständlich. Weswegen das Wagenknecht-Lager seine Zustimmung zu der Feststellung von Banalitäten verweigert hat. Das zeigt, wie tief die Zerrüttung ist.

Die zentralen Punkte des beschlossenen Papiers: Für die Mitglieder der Linksfraktion bilden das Partei- und Wahlprogramm, sowie die Beschlüsse der Parteitage die Grundlage ihrer Arbeit. Grundsätzlich sollen Red­ne­r:in­nen im Bundestag die Mehrheitsmeinungen der Fraktion vortragen, über die Zuteilung von Redezeiten für davon abweichende Positionen entscheide die Fraktion. Außerdem sollen die Linken-Abgeordneten ihre Pflichten wahrnehmen, was insbesondere die Teilnahme an Fraktions-, Bundestags- und Ausschusssitzungen bedeute.

Das ist nicht mehr als die Definition von Grundstandards parlamentarischer Zusammenarbeit, über die in anderen Fraktionen gar nicht erst diskutiert werden muss. Bei der Linksfraktion schon. Vier Abgeordnete stimmten dagegen, einer enthielt sich. Sahra Wagenknecht stimmte nicht mit. Und Sevim Dağdelen, eine ihrer treuesten Verbündeten, glänzte mal wieder durch Abwesenheit.

Dass der Fanclub der nur per Video zugeschalteten Wagenknecht schon Selbstverständlichkeiten als Majestätsbeleidigung begreift, ist ein Beleg dafür, wie wenig in der Fraktion noch zusammengeht. Trotz aller wortreichen Appelle zum Zusammenhalt, die es auf der Sitzung gegeben hat. Es hat also nichts genützt, dass der Fraktionsvorstand eine eigene Vorlage eingebracht hat, die gegenüber dem – zurückgezogenen – Antrag des Kreises um den bewegungslinken Ex-Parteichef Bernd Riexinger deutlich entschärft war, weil nicht mehr Ross und Reiter genannt wurden.

Wagenknechts bedingungsloses Grundeinkommen

Für Außenstehende ist dadurch die Provokation des Beschlusses nicht einmal wirklich erkennbar. Wer weiß schon, dass Wagenknecht ihren parlamentarischen Pflichten schon lange nicht mehr ernsthaft nachkommt. Sie lässt sich kaum im Bundestag blicken, sitzt in keinem einzigen Ausschuss und zu Fraktionssitzungen kommt sie auch nur selten. Im Grunde nimmt sie für sich bereits – wenn auch weitaus höher dotiert – jenes bedingungslose Grundeinkommen in Anspruch, über das in der Linkspartei gerade per Mitgliederentscheid abgestimmt wird.

Zudem wäre eine Rede, wie die Wagenknechts, in der sie der Bundesregierung vorgeworfen hat, „einen beispiellosen Wirtschaftskrieg gegen unseren wichtigsten Energielieferanten vom Zaun“ gebrochen zu haben, auch weiterhin möglich. Die Fraktion müsste sich nur zuvor mehrheitlich dafür aussprechen, ihrer umstrittenen Ex-Fraktionschefin die entsprechende Redezeit einzuräumen.

Da allerdings wird es spannend. Bislang wird die Linksfraktion dominiert von einem rein machttaktisch begründeten Bündnis der „Reformer:innen“ um Fraktionschef Dietmar Bartsch mit den Wagenknechtianer:innen. Das ermöglichte einen solchen deutschnationalen Auftritt wie den Wagenknechts am 8. September. Doch für Bartsch wird der Gegenwind selbst aus den eigenen Reihen immer stärker. Und er scheint langsam zu begreifen, was die Stunde geschlagen hat.

Dass Bartsch und seine Un­ter­stüt­ze­r:in­nen gemeinsam mit dem Kreis um Bernd Riexinger gestimmt haben, ist ein Hoffnungsschimmer. Es ist auch eine Stärkung der Parteivorsitzenden Martin Schirdewan und Janine Wissler.

Bisher war das alleinige Bestreben von Bartsch darauf gerichtet, die 39 Abgeordneten, die derzeit noch für die Linkspartei im Bundestag sitzen, irgendwie zusammenzuhalten. Das ist einerseits nachvollziehbar. Treten nur drei aus, ist der Fraktionsstatus futsch. Andererseits: Zusammenhalten lässt sich nur, was sich nicht schon zur Trennung entschieden hat. Wer sich aber nicht mehr auf Selbstverständlichkeiten der Zusammenarbeit verständigen will, ist dabei, seinen Abschied vorzubereiten. Da helfen auch keine Appelle mehr.

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Jahrgang 1966. Arbeitet seit 2014 als Redakteur im Inlandsressort und gehört dem Parlamentsbüro der taz an. Zuvor fünfzehn Jahre taz-Korrespondent in Nordrhein-Westfalen. Mehrere Buchveröffentlichungen (u.a. „Endstation Rücktritt!? Warum deutsche Politiker einpacken“, Bouvier Verlag, 2011). Seit 2018 im Vorstand der taz-Genossenschaft.

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