Depression bei Jugendlichen: Die Jungs nicht vergessen

Nach einer neuen Studie sind 2021 mehr Mädchen als Jungen an Depressionen erkrankt. Trotzdem sollten auch Jungs stärker in den Fokus genommen werden.

Ein Junge mit Kopfhörern

Sensibles Mädchen, starker Junge? Oft findet man dieses Geschlechter-Stereotyp vor Foto: harry + lidy/plainpicture

Die Pandemie hat vieles verschlechtert. Ein Satz, der schon oft geschrieben wurde, aber nicht an Relevanz verlieren sollte. Denn die Folgen der Pandemie sind drastisch – auch mit Blick auf die psychische Gesundheit. Besonders Mädchen scheinen laut neuen Daten der Krankenkasse DAK-Gesundheit in Brandenburg häufiger an Depressionen oder Angststörungen zu erkranken. Das ist der richtige Zeitpunkt, um psychisch erkrankte Jungs stärker in den Fokus zu nehmen.

Wieso Jungs? Schließlich sind doch gerade die seltener betroffen als die Mädchen. Aus besagter Studie geht hervor, dass in Brandenburg viele Mädchen zwischen 15 und 17 Jahren neu an Depressionen erkrankt sind. Die Zahl der weiblich gelesenen Teenager, die neu in Behandlung sind, ist im Vergleich zu 2019 um 12 Prozent gestiegen. Auch Angststörungen wurden bei Mädchen 14 Prozent häufiger diagnostiziert. Eine Studie der DAK Schleswig-Holstein kam zu ähnlichen Ergebnissen.

Die Anzahl der neu erkrankten Jungs hingegen sank um 17 Prozent. Die Zahlen scheinen zu zeigen, dass es Jungs seltener an neu diagnostizierten Depressionen leiden und die Zahlen während der Pandemie sogar zurückgegangen sind. Eigentlich der perfekte Moment für die Gesellschaft, sich guten Gewissens und laut aufatmend zurückzulehnen. Das wäre fatal.

Gerade jetzt dürfen depressive Jungs nicht vergessen werden. „Aus anderen Studien wissen wir, dass es Mädchen leichter fällt, sich zu öffnen und über ihre Probleme zu sprechen“, sagt die Leiterin der DAK-Gesundheit Brandenburg Anke Grubitz.

Das ist bekannt. Doch an welcher Stelle wird mitgedacht, dass es auch Eltern leichter fällt, Probleme eher bei Mädchen zu sehen und zu akzeptieren? Die Sozialisierung des hilfsbedürftigen Mädchens und des starken Jungen ist schließlich fester Bestandteil der Vorstellungswelt vieler Eltern oder Lehrer:innen. Es ist ein Geschlechter-Stereotyp, der sich gesellschaftlich manifestiert hat.

Wir müssen als Gesellschaft genauer hinschauen

Es sind also nicht nur die Jungs, die mit ihren Sorgen anders umgehen als die Mädchen. Es ist auch die Außenwelt, die für diese Signale nicht sensibilisiert ist. Die stattdessen bestimmte Männlichkeitsbilder exponiert, an denen sich noch viel zu viele Jungen – vor allem diejenigen im Teenage-Alter – orientieren.

Dabei sind Jugendliche auf Hilfe von außen angewiesen, um entsprechende Hilfsangebote zu bekommen. Auf die Einschätzung und Rückmeldung, die von Eltern und Leh­re­r:in­nen kommen muss. Sie ist wichtig, wenngleich eine Erkennung nicht unmittelbar zu einer Behandlung führt. Und gerade hier kommt es zu großen Unterschieden in verschiedenen sozialen Kontexten.

In einer Studie einer Krankenkasse als Jugendlicher berücksichtigt zu werden, heißt auch, dass man das Privileg hatte, in einer Krankenkasse zu sein und in dieser überhaupt erst gesehen zu werden und die Möglichkeit, sich etwa an eine Ärztin oder einen Therapeuten zu wenden. Nicht alle Jugendlichen schaffen das. Sei es, weil die Krankheit das erschwert oder weil es keine Therapieplätze gibt.

Dabei gelten zwei einfache Gesetze: Wer ein aufmerksames Umfeld hat, kommt leichter an Hilfe. Wer ein gut situiertes Umfeld hat, kommt oft schneller an Hilfe. In Form von privaten Therapiestunden oder Privatkliniken. Nicht viele Jugendliche – und in Bezug auf ersteres vor allem die Jungs – können hinter beide Punkte einen Haken setzen. Die Dunkelziffer könnte deutlich höher liegen.

Zur Einordnung: Jeder fünfte bis sechste Erwachsene leidet in seinem Leben einmal an einer Depression. Angststörungen und andere psychische Krankheiten kommen noch hinzu. Und ja, auch wenn bei Frauen häufiger eine Depression diagnostiziert wird – einigen Studien zufolge doppelt so häufig – erkranken viele Männer im Erwachsenenalter.

Durch das Verdrängen von psychischen Problemen in jungen Jahren kann es bei Jungs zu häufigeren Erkrankungen im Erwachsenenalter kommen. Das erwarten übrigens auch die Ex­per­t:in­nen der Krankenkasse. Die Zahl von psychischen Erkrankungen und Verhaltensstörungen könnte bei männlichen Teenagern mittelfristig steigen. Wir müssen als Gesamtgesellschaft genauer hinschauen, Geschlechter-Stereotype bei der Erziehung meiden und Betroffenen helfen.

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