Alter Knast in Göttingen besetzt

Der Streit um die Nutzung der Ex-JVA spitzt sich zu. Aktivisten wollen ein soziales Zentrum. Stadt verhandelt mit Investor und stellt Ultimatum bis Donnerstag

Von Reimar Paul

In Göttingen ist die ehemalige, seit Jahren leer stehende Justizvollzugsanstalt (JVA) besetzt worden. Nachdem sie schon tagsüber einen „Tag der offenen Tür“ in dem Gebäude ausgerufen hatten, erklärten Aktivisten die JVA am Montagabend für besetzt. An der Fassade, zwischen den immer noch vergitterten Fenstern, befestigten sie ein Transparent mit der Aufschrift „Lasst uns aufbau’n was uns aufbaut. Gegen den Ausverkauf der Stadt – Für ein soziales Zentrum“.

Das frühere Untersuchungsgefängnis in der nördlichen Innenstadt befindet sich seit 2008 im Besitz der Stadt und ist seitdem ungenutzt. Bemühungen um eine Nachnutzung blieben lange Zeit ohne Ergebnis – Pläne, die JVA etwa zu einem Hostel umzubauen, scheiterten an der Finanzierung.

Erst in diesem Sommer kam die Diskussion wieder in Schwung. Eine Initiative „Soziales Zentrum“, die das Gebäude mieten will, legte ein detailliertes Konzept vor, den Knast zu einem Gesundheitszentrum für das Quartier umzubauen. Gleichzeitig bekundete ein privater Investor aus Braunschweig Interesse am Kauf der Immobilie. Er will dort unter anderem Wohnungen, Büros und Start-ups ansiedeln.

Gegen das Votum des Bauausschusses beschloss im Juli der Verwaltungsausschuss des Stadtrates mit Mehrheit von SPD und CDU, ausschließlich mit dem Investor zu verhandeln. Der Initiative „Soziales Zentrum“ wurde ein anderes Gebäude in Aussicht gestellt, das noch von der Heilsarmee genutzt wird. Mit dieser hatte die Verwaltung allerdings gar nicht gesprochen.

„Wir wehren uns gegen den Ausverkauf der Stadt und fordern, dass die Räume der JVA saniert und der Initiative ‚Soziales Zentrum‘ übergeben werden“, sagt Ebba Grimme, eine Sprecherin der Besetzer:innen. Aus ihrer Sicht handelt es sich „hier nicht bloß um einen Interessenkonflikt zwischen der Stadt und der Nachbarschaft im Viertel, sondern um eine konkrete Ausformung von Gentrifizierung und rassistischer Verdrängungspolitik“. Der Konflikt um die alte JVA sei „ein intersektionaler Konflikt“.

Göttingens Oberbürgermeisterin Petra Broistedt (SPD) stellte den Besetzern am Dienstagnachmittag ein Ultimatum. Sie sollen die JVA bis Donnerstag, 10 Uhr, verlassen. Anderenfalls werde die Stadt Strafantrag wegen Hausfriedensbruchs stellen. „Wer die Umsetzung demokratischer Entscheidungen der politischen Repräsentantinnen und Repräsentanten der Stadt durch Hausbesetzungen verhindern will, hat ein befremdliches Demokratieverständnis und ist auf dem Irrweg“, erklärte Broistedt.

CDU und FDP in Göttingen verurteilten die Besetzung scharf und verlangten strafrechtliche Konsequenzen für die Aktivist:innen. Die Grünen signalisierten hingegen Unterstützung. „Die Verwaltung hat ihr eigenes Süppchen gekocht und intransparent gehandelt“, sagte Hannah Rudolph vom Stadtvorstand. „Die Besetzung ist ein klares Zeichen dafür, dass Quartiersentwicklung nur gemeinsam mit den Menschen und nicht über ihre Köpfe hinweg gelingen kann.“ Die Be­set­ze­r:in­nen selbst haben unterdessen alle Interessierten eingeladen, in der JVA vorbeizuschauen. Die Menschen könnten sich dann „selbst ein Bild davon machen, wie viel Potenzial in dem Projekt steckt“.