Kritik aus EU an Hilfspaket: „Gefährliche Verzerrungen“

Das deutsche 200-Milliarden-Hilfspaket gegen hohe Energiepreise stößt in der EU auf Kritik. Finanzminister Lindner verteidigt es als „angemessen“.

Christian Lindner steht in einem Sitzungssaal, umgeben von Kollegen und lächelt in die Kamera

Lässt die Kritik am „Abwehrschirm“ nicht gelten: Finanzminister Lindner am Dienstag in Luxemburg Foto: Michailidis/picture alliance

BRÜSSEL taz | Der deutsche „Doppelwumms“ gegen die Energiekrise hat einen unerwarteten Nebeneffekt: In der EU wird der Ruf nach einem neuen, schuldenfinanzierten Hilfsprogramm für alle 27 Mitgliedstaaten laut. Es könne nicht angehen, dass Deutschland bis zu 200 Milliarden Euro ausgebe, kleinere Staaten jedoch leer ausgingen, hieß es bei einem Treffen der Finanzminister am Dienstag in Luxemburg.

Angestoßen wurde die Debatte von den EU-Kommissaren für Wirtschaft und Binnenmarkt, Paolo Gentiloni und Thierry Breton. In einem Zeitungsbeitrag warben der Italiener und der Franzose gemeinsam für neue „europäische Instrumente“ auf Schuldenbasis. Zur Begründung verwiesen sie auf die deutsche Gaspreisbremse, die einen „Subventionswettlauf“ in der EU erzeugen könnte.

Als Vorbild für das neue „Instrument“ gilt der Wiederaufbaufonds, den die EU in der Coronakrise aufgelegt hatte. Das 750 Milliarden Euro schwere Programm wird durch Schulden finanziert, ist aber schon weitgehend verplant. Auch gegen den Wiederaufbaufonds hatte sich Deutschland zunächst gewehrt. Nun zeichnet sich eine Wiederauflage des Streits ab, der „Doppelwumms“ führt zum „Rumms“.

Bundesfinanzminister Christian Lindner sagte, die EU könne die Instrumente der Pandemie nicht „eins zu eins“ auf die heutige Lage übertragen. Das deutsche Hilfsprogramm sei keine „Bazooka“, sondern ein begrenzter Abwehrschirm im „Energiekrieg“ mit Russland. Deutschland zeige damit Präsident Wladimir Putin: „Wir nutzen unsere wirtschaftliche Stärke, um uns zu schützen“.

Draghi warnt vor „Verzerrung des Binnenmarktes“

Aus Sicht anderer EU-Länder wie Italien, Ungarn oder Belgien ist dies jedoch ein deutscher Alleingang, der ein Ungleichgewicht in der EU schafft. Der scheidende italienische Regierungschef Mario Draghi warnte vor „gefährlichen und ungerechtfertigten Verzerrungen des Binnenmarktes“, wenn sich die EU-Staaten mit ihren Entlastungspaketen überböten.

Der ungarische Regierungschef Viktor Orbán sagte: „In der Energiekrise kann Deutschland seinen eigenen Unternehmen mit Hunderten Milliarden Euro helfen“. Ärmere Länder könnten das nicht. „Das ist der Beginn des Kannibalismus in der EU“, empörte sich Orbán. Brüssel müsse handeln, „denn das wird die europäische Einheit zerstören“.

Scholz verteidigt das Paket

Ärger gibt es auch in Belgien. Premierminister Alexander De Croo hatte schon im Frühjahr eine EU-weite Gaspreisbremse gefordert. Deutschland war und ist jedoch dagegen. Dass das größte EU-Land nun eine nationale Gaspreisbremse einführt, ist aus belgischer Sicht ein Problem – denn das Königreich ist hoch verschuldet und kann sich keine großen Schuldenprogramme mehr leisten.

Rückendeckung bekam Lindner von Bundeskanzler Olaf Scholz. Der Wiederaufbaufonds sei noch längst nicht ausgeschöpft, sagte Scholz nach einem Gespräch mit dem niederländischen Premier Mark Rutte in Berlin. Rutte hatte sich bis zuletzt gegen den Fonds gesträubt. Er gilt als Anführer der „sparsamen Vier“ („frugal four“), der auch Dänemark, Schweden und Österreich angehören.

Unterstützung kommt dagegen aus dem Europaparlament. „Wir brauchen dringend abgestimmte Programme, um ein weiteres wirtschaftliches Auseinanderdriften innerhalb der EU zu verhindern“, sagte der Sprecher der deutschen Grünen, Rasmus Andresen. Der SPD-Wirtschaftsexperte Joachim Schuster sprach sich für einen „entschlossenen, koordinierten und solidarischen Ansatz der europäischen Wirtschaftspolitik“ aus. Er plädiert für einen dauerhaften Investitions-mechanismus mit einem Volumen von etwa einem Prozent der europäischen Wirtschaftskraft. Sein Modell: der Corona-Wideraufbaufonds.

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