berliner szenen
: Was heute Schönes passiert ist

Nemo arbeitet in der S1. Er verkauft die Obdachlosenzeitung und wirkt wie ein starker, sanfter Mensch. Seine Augen sind braun und lieb, er ist freundlich und findet immer etwas Positives zum Mitteilen. Oft erzählt er den Leuten davon, was sich heute wieder Gutes zugetragen hat. Und sei es nur, dass die Sonne herauskam. Ich kenne ihn schon von meinen Fahrten und freue mich, wenn ich ihn sehe. Einmal erzählte er, dass er ein Paar Schuhe geschenkt bekommen hätte und wie bequem sie seien, viel bequemer als seine alten, und so leicht. Man sah ihm die Freude richtig an und es störte ihn nicht, dass die meisten Menschen noch nicht mal aufsahen.

Als ich neulich mit einem Freund in der Bahn sitze, hatten wir kurz zuvor schwere Themen am Wickel. Es ging unter anderem auch darum, wie man für sich damit umgeht, wie man weitermacht.

Nemo kommt herein und während er spricht und sich vorstellt, flüstere ich dem Freund zu, dass ich Nemo mag, weil er immer allen erzählt, was heute wieder Schönes passiert ist. Es gibt Menschen, die man einfach sofort mag. Nemo gehört dazu.

Als Nemo zu uns kommt, lächelt er. Der Freund kramt in seiner Hosentasche und reicht ihm ein paar Münzen auf seine als Tablett hingehaltene Zeitung. „Danke“, sagt Nemo, „wie geht es Ihnen heute?“ „Ach ja“, sagt der Freund, „eigentlich gut, danke. Und selbst?“ „Besser als gestern“, sagt Nemo. „Gestern war es nicht gut, aber heute ist es besser.“

„Das ist schön“, sagt der Freund. Nemo nickt zufrieden und irgendwie ein bisschen erleichtert. Als er weitergeht, sage ich zu dem Freund: „Er lenkt den Blick immer auf das Positive, ohne dabei das andere zu vergessen.“

„Das ist wahrscheinlich der Trick“, sagt der Freund und sieht mich bedeutungsvoll an.

Und ich glaube, so ist es.

Isobel Markus