10 Jahre Refugee-Camp Oranienplatz: Die Idee ließ sich nicht räumen

Einst war der Oranienplatz das Zentrum des deutschen Flüchtlingsprotestes. Nach traurigem Ende ist die Bewegung bis heute ungebrochen.

Zelte des Flüchtlingscamps auf dem Oranienplatz im Winter 2012 mit Herbstlaub

Zeitweise sehr kalt und ungemütlich: Das Flüchtlingscamp vom Oranienplatz im Dezember 2012 Foto: Annette Hauschild/Ostkreuz

BERLIN taz | Die zwei Mahnmale, die heute auf dem Oranienplatz stehen, sind Teil des Erbes der Flüchtlings-Bewegung: Mitten in Berlin-Kreuzberg eröffneten sie im Oktober 2012 ein Protestcamp. Eine Eisenplatte mit zwei Quadern aus Stein erinnert seit 2020 an Opfer von Rassismus und Polizeigewalt. Und eine aus sechs Flügeln bestehende Stelltafel wirft Fragen zu Freiheit, Flucht und Grenzen auf.

Ab Mittwoch wird auf dem Oranienplatz das zehnjährige Jubiläum der Bewegung gefeiert. Die Bühne für die Podiumsdiskussionen und Konzerte steht schon. Aber wären da nicht die Ankündigunsplakate, man würde den blauweißen, doppelstöckigen Container glatt für einen Baustellencontainer halten. Vielleicht ist diese Assoziation sogar Absicht: Quer über die Plakate „O-Platz wird 10“ verläuft ein rot-weißes Flatterband mit der Aufschrift „Baustelle Migration“.

Am 6. Oktober 2012 trafen rund 70 Geflüchtete und 100 Un­ter­stüt­ze­r*in­nen nach vier Wochen und 600 Kilometern Fußmarsch aus Süddeutschland in der Hauptstadt ein. Proteste und Hungerstreiks in vielen Städten waren dem Treck vorausgegangen. Die wichtigsten Forderungen der Bewegung: Bleiberecht für alle, keine Residenzpflicht, keine „Lager“, also Massenunterkünfte.

Dass es die Residenzplicht so wie früher heute nicht mehr gibt, sei ihr Erfolg, sagt Adam Baher, damals einer der Köpfe der Bewegung: „Es war auch unsere Forderung, dass die Essenspakete und Gutscheine abgeschafft werden. Heute bekommen die Flüchtlinge fast überall Bargeld.“

Das Fest Der „International Women Space“ (IWS), der in der besetzten Gerhart-Hauptmann-Schule gegründet wurde, hat zum 10-jährigen Jubiläum ein Kunst- und Kulturfestival auf dem Oranienplatz organisiert. Es gibt Workshops und Podiumsdiskussionen, Konzerte, Fotoausstellungen, Kunst-Performances. Das ganze Programm unter: oplatz.net

Die Sondernutzung Dass das Ganze auf dem Oranienplatz stattfinden kann, ist ein weiteres Vermächtnis der Bewegung. Mit der Zustimmung zur Räumung im April 2014 erhielten die Geflüchteten eine Sondernutzungserlaubnis für ein permanentes „Info-Zelt“. Für dieses Recht besetzte Napuli Langa vom O-Platz zweimal eine Platane, zuletzt vor einem Jahr. Das erste Info-Zelt wurde im Sommer 2014 von Unbekannten angezündet, auch der Nachfolger, das „Haus der 28 Türen“, hielt nur wenige Monate. (sum)

Der Politik ein Dorn im Auge

Damals gingen vom Oranienplatz zahlreiche Demonstrationen aus. Es gab Hungerstreiks. Ak­ti­vis­t*in­nen besetzten Botschaften und Kirchengebäude. Und sie hielten ein „Refugee Tribunal against Germany“ ab.

Im Dezember 2012 besetzen Geflüchtete die ehemalige Gerhard-Hauptmann-Schule in Kreuzberg, wo dann ebenfalls bis zu 200 Geflüchtete lebten. Im Laufe des Jahres 2013 kamen weitere hinzu, die aus Lampedusa vor den schlechten Lebensbedingungen nach Berlin geflüchtet waren.

Der Politik waren Camp und Schule ein politischer Dorn im Auge – auch wenn das grün regierte Friedrichshain-Kreuzberg durchaus Sympathien mit den politischen Forderungen erkennen ließ. Sozial und logistisch waren die Besetzungen ebenfalls eine Herausforderung: Trotz solidarischer Unterstützung fehlte es den Menschen oft am Notwendigsten, von Zukunftsperspektiven ganz zu schweigen.

Nach langen Verhandlungen kam es im Frühjahr 2014 zum „Einigungspapier Oranienplatz“. Darin versprach die damalige Integrationssenatorin Dilek Kolat (SPD) den Geflüchteten Unterstützung für ihre politischen Forderungen, eine wohlwollende rechtliche Prüfung der Einzelfälle und Unterstützung bei der beruflichen Eingliederung. Das Angebot war unter den Ak­ti­vis­t*in­nen umstritten: Eine Minderheit um Bahar, die den Protest begonnen hatte, lehnte es ab, die Mehrheit, die „Lampedusas“ um Bashir Zakaria, war dafür. So beendeten die Flüchtlinge am 8. April 2014 die Platzbesetzung.

Senat hielt Abkommen nicht ein

Tatsächlich war das Misstrauen begründet: Der Senat hielt sich nicht an seinen Teil der Abmachung. Von 576 Männern auf einer Liste hatten ein Jahr später nur 3 einen Aufenthaltstitel, ein Dutzend bekam eine Duldung. So ging die Geschichte für viele Beteiligte nicht gut aus: Einige verzweifelten, rutschten in Obdachlosikeit oder Drogenabhängigkeit. Mindestens zwei sind gestorben: Yusuf wurde 2016 erstochen, Zakaria, der bei der Flucht aus Libyen übers Meer seine zwei Kinder verloren hatte, starb 2016 mit nur 44 Jahren an Herzversagen. Über das Schicksal vieler anderer ist nichts bekannt.

Die Bewegung als ganzes hat dennoch nie aufgehört, viele Geflüchtete sind weiter aktiv. Nur anders.

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