Ausgehen und rumstehen von Ruth Lang Fuentes
: Ibu schmeißen und in den Tag der Deutschen Einheit pogen

Es ist Sonntagabend, wir sind noch nicht ganz ausgekatert – perfekte Bedingungen für eine Runde Punk. Ibu schmeißen, Lederjacke überziehen und rüber zum Lido. Zum Auftakt der „Schlachtrufe BRD Tour“ zu Rawside, The Idiots und A.C.K. in den Tag der Deutschen Einheit pogen. Geil.

„Punk ist mehr als nur Powerchords und Distortion“, meinst du. Ach ja? „Eine Gegenposition zum Establishment.“ Bin gespannt, ob wir das im edlen Lido finden. Roter Teppich und Absperrung flankieren den Eingang. Julian, der Gitarrist von „Frittiert und Zugelötet“, lotst uns rein. Die Newcomer-Band, bevor die Urgesteine spielen. Sie legen los, der Sound macht Laune, die Tanzfläche ist noch nicht gefüllt genug, um sich voll reinzuschmeißen. Über uns dreht sich die Diskokugel.

Die zweite Band ist dran, der Raum füllt sich, so ganz ist die Pogo-Stimmung noch nicht da, aber mein Kopfweh langsam weg und Zeit für Bier. Dann kommt Rawside auf die Bühne, hart und laut und schreit „Nieder mit dem Faschopack“. In den ersten Reihen prallen endlich Körper aufeinander. Hart und zärtlich zugleich. Es geht los.

An der Bar gibt’s Cola und Carlsberg. Oder wie ein Freund von mir es nennt: „Kapitalistenbier“. Alt- und Neupunker stehen herum in Converse oder Docs, nietenbesetzte Lederjacken, mancher mit Iro, nippen am Bier, fragen sich, ob man die Fanshirts auch mit Karte zahlen kann. (Kann man nicht.) „Ist Punk jetzt doch tot?“ Wir sitzen auf alten Kinostühlen, lassen den Schweiß auf unseren Rücken trocknen und wissen es nicht.

„Cut my skin“ ist dran, die volltätowierte Sängerin, direkt aus den 80ern hierher teleportiert, reißt die Menge mit. Dann: Schluss. Die nächste Band steht auf dem Plan, heißt es von der Orga. Zugabe, wollen die Fans. Die Band auch. Widerwillig müssen sie ihre Gitarren zusammenpacken. Ist das Punk heute? Ein durchorganisiertes Event? „So viel zur Gegenposition zum Establishment“, kommentierst du.

„Habt ihr das Shirt da, das The Idiots auf der Bühne anhatten?“ frage ich eine als Nonne gekleidete Frau hinter einem Verkaufstisch. „Das I-love-sushi-Shirt mit den zwei Frauen, die sich gegenseitig lecken“, spezifiziere ich.

„Das ist leider ausverkauft. Eine Neuauflage ist nicht geplant, zu polemisch. Wir hätten aber eine jugendfreie Variante von dem Bluthund, der Penis mit Hoden im Maul zerreißt, ohne eben diesen … Man muss ja auch aufpassen, wo man die dann trägt, solche Shirts“, sagt sie noch.

„Sowas brauchen wir hier nicht!“ Ein bärtiger, stämmiger Typ kommt auf uns zu. „Früher hat man sich die T-Shirts selbst bemalt. Jetzt hängen hier so 18-Jährige, die nicht mal Bier trinken. Die fühlen‘s einfach nicht.“

Irgendwann im Laufe des Abends wird er sich komplett abschießen, an den Beinen des The-Idiots-Sängers hängen, in einer Bierlache über den Parkettboden schlittern. Ich hoffe sehr, dass er ES heute Abend noch spürt, und stürze mich in die Leute, die die Härte der Musik aus sich raustanzen. Eine Schulter rammt mich von rechts, für die, die nicht tanzen, muss es aussehen wie ein tödliches Gemetzel. Steckt man drin, weiß man, es ist das Gegenteil: Dass dir aufgeholfen wird, wenn du stürzt, dass es ein gemeinsames Loslassen ist von allem, was uns festzuhalten versucht.

Punk ist noch nicht ganz tot, denke ich als wir später im Backstage sitzen und ihn dann schnell wieder verlassen, weil man darin nicht rauchen darf. Er verblasst nur langsam hinter Normen und Regeln, die er sich vorschreiben lässt.