Revision zu Fretterode-Urteil eingelegt: „Nicht im Ansatz plausibel“

Für einen brutalen Angriff auf zwei Journalisten bekamen zwei Neonazis ein mildes Urteil. Staatsanwaltschaft und Nebenklage legen Revision ein.

Die beiden Angeklagten im sogenannten fretterode-Prozesse das Landgericht Mühlhausen - bewacht von Polizisten

Das Urteil gegen die Angeklagten löste große Empörung aus Foto: Silvio Dietzel/dpa

BERLIN taz | Das Urteil verursachte einen bundesweiten Aufschrei. Die Deutsche Journalistenunion äußerte sich „empört und fassungslos“. Der Rechtsstaat dürfe so nicht mit Jour­na­lis­t*in­nen umgehen. Der Deutsche Journalistenverband sprach von einem „haarsträubenden Gerichtsurteil“ und einem „fatalen Signal in Richtung der rechten Szene“.

Zuvor hatte das Landgericht Mühlhausen zwei Neonazis zu äußerst milden Strafen für einen brutalen Angriff auf zwei Journalisten im Jahr 2018 im Thüringer Fretterode verurteilt. Am Freitag erklärten nun Staatsanwaltschaft und Nebenklage, dass sie dagegen Revision einlegen werden.

„Wir wollen das Urteil vom Bundesgerichtshof rechtlich überprüfen lassen“, sagte Staatsanwalt Benedikt Ballhausen der taz. Anders als das Gericht ziehe man die Glaubwürdigkeit der angegriffenen Nebenkläger nicht in Zweifel. Auch habe das Gericht die politische Motivation der Angreifer „nicht hinreichend berücksichtigt“.

Sven Adam, Anwalt eines der angegriffenen Journalisten, sprach ebenso von einem „unfassbaren und lächerlichen Urteil“. Noch befinde man sich in Gesprächen und rechtlicher Prüfung. Das Ziel aber sei klar, so Adam zur taz: „Wir wollen uns der Revision der Staatsanwaltschaft anschließen.“

Mit Schraubenschlüssel und Messer attackiert

Die beiden Journalisten hatten im April 2018 ein Neonazi-Treffen auf dem Anwesen der Thüringer NPD-Größe Thorsten Heise in Fretterode dokumentiert. Daraufhin liefen von dem Gespräch sein Sohn Nordulf H. und dessen Bekannter Gianluca B. auf sie zu, verfolgten sie mit ihrem Auto und versuchten sie von der Straße zu drängen. Als die Journalisten sich in einem Straßengraben festfuhren, sollen der 23- und 28-Jährigen sie mit einem Schraubenschlüssel, Baseballschläger, Messer und Reizgas attackiert, das Auto zertrümmert und eine Kamera geklaut haben. Die Opfer erlitten eine Stichverletzung am Oberschenkel, eine blutende Kopfwunde und Prellungen. Der PKW war ein Totalschaden.

Nach einjähriger Verhandlung verurteilte das Landgericht Mühlhausen Gianluca B. dafür zu einem Jahr auf Bewährung und Nordulf H. zu einer Jugendstrafe von 200 Arbeitsstunden. Die Angeklagten hätten die Opfer nicht als Journalisten, sondern als Angehörige der linken Szene identifiziert, erklärte die Richterin. Dafür spreche, dass sie bei dem Angriff als „Zecken“ tituliert wurden – was in den Augen des Gerichts allerdings ein geläufiger Begriff sei und noch keinen Rückschluss auf die politische Gesinnung der Täter zulasse.

Staatsanwaltschaft wollte mehrere Jahre Haft

Die Staatsanwaltschaft hatte dagegen gut drei Jahre Haft für Gianluca B. und eine neunmonatige Bewährungsstrafe für Nordulf H. gefordert. Die Behörde geht nicht nur gegen die Verneinung der politischen Motivation der Angreifer vor, sondern greift auch einen zweiten Punkt auf. So sah das Gericht auch den Raub der Kamera der Journalisten als nicht nachgewiesen an – Nordulf H. und Gianluca B. hatten diesen schlicht bestritten. „Das ist nicht im Ansatz plausibel“, sagte Staatsanwalt Ballhausen der taz. Zwar ist die Kamera bis heute verschwunden, tatsächlich aber gibt es sogar ein Foto des Angriffs, einer der Journalisten hatte die Speicherkarte der Kamera in seiner Socke versteckt.

Es ist dieser Revisionspunkt, dem sich laut Nebenklageanwalt Adam auch einer der angegriffenen Journalisten anschließen will. „Das Urteil ist ein Schlag ins Gesicht der beiden Nebenkläger“, erklärte Adam. Statt die „Hetzjagd“ angemessen zu bestrafen, habe das Gericht „Verständnis für die Gedankenwelt gewalttätiger Neonazis“ offenbart. Das bleibe „unbegreiflich“.

Nicht die einzige Justizposse in Thüringen

Derweil beschäftigt auch eine zweite Posse die Thüringer Justiz. Im August war vor dem Landgericht Erfurt der Prozess gegen die rechtsextremen „Turonen“ wegen Drogenhandels in großen Stil geplatzt. Einer der Angeklagten, der Szeneanwalt Dirk Waldschmidt, war laut seinen Verteidigern nicht mehr verhandlungsfähig, weil an einem Bandscheibenvorfall erkrankt. Das Gericht ließ den Prozess darauf platzen – zum Unverständnis der Staatsanwaltschaft. Auch politische Pro­zess­be­ob­ach­te­r*in­nen von SPD, Grünen und Linke kritisierten den Schritt.

Nun soll am 10. Oktober der Prozess neu gestartet werden, wie ein Sprecher des Landgerichts der taz am Freitag bestätigte. Ob dabei mit oder ohne Waldschmidt verhandelt wird, blieb vorerst offen. Seine Verteidigerin Nicole Schneiders sagte am Freitag der taz, der Gesundheitszustand ihres Mandanten habe sich nicht geändert. Das Gericht müsse nun entscheiden, ob sie dessen Verfahren abtrennt oder nicht.

Befürchtet wurde, dass durch den geplatzten Prozess auch die bereits seit anderthalb Jahren andauernden Haftbefehle gegen sechs der neun Angeklagten aufgehoben werden könnten. Das Thüringer Oberlandesgericht teilte am Freitag aber mit, dass eine Fortdauer der Haft angeordnet wurde und die Haftprüfungsbeschwerden zurückgewiesen wurden.

Haftbefehle haben Bestand

Es gebe weiterhin einen dringenden Tatverdacht gegen die Beschuldigten, begründete das Gericht seinen Beschluss. Auch bestehe eine Flucht- und Verdunkelungsgefahr fort. Eine Untersuchungshaft auch über anderthalb Jahre hinaus sei damit gerechtfertigt.

Die Beschuldigten wurden im Februar 2021 verhaftet. Mehrere von ihnen werden den rechtsextremen „Turonen“ zugerechnet, die in der Vergangenheit Rechtsrockkonzerte organisierten. Die Anklage wirft ihnen nun Drogengeschäfte, Waffenverstöße, Geldwäsche und einen Fall von Zwangsprostitution vor.

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