Sich bloß nicht quälen lassen

ERGONOMIE Richtiges Sitzen ist keine Kunst, vielmehr die konsequente Beachtung wissenschaftlicher Erkenntnisse. Juliane Neuß hat sie zusammengefasst, sodass der Radlerrücken sich gesundlesen lässt

Klingt altbacken, hat sich aber bewährt: Aufrecht sitze der Mensch, entspannt und unverkrümmt

In Deutschland, gern als Fahrradland bezeichnet, wird gejammert und geflucht. „Bis zu 80 Prozent der ambitionierten Radfahrer“ klagten über körperliche Beschwerden, so Juliane Neuß, Werkstoffkundlerin und Fahrradkonstrukteurin. Die „Brötchenholer“, wie sie die vielen Kurzstreckenfahrer nennt, würden schon eine Tour von 20 bis 30 Kilometer als Tortur empfinden.

Juliane Neuß beschäftigt sich seit Jahren mit der offensichtlich angespannten Beziehung zwischen Mensch und Maschine. Die Maschine ihres Interesses hat zwei Räder, Sattel und Lenker. Der Mensch jedoch hat eine anfällige Wirbelsäule, häufig kaum ausgebildete Rückenmuskulatur, aber ansonsten gleicht keiner dem anderen. Und deshalb reicht es nicht aus, mal kurz die Beinlänge zu messen und danach Rahmen- und Sattelhöhe zu bestimmen. Andere Parameter, etwa Lenkerabstand und -höhe, sind ebenso wichtig – das ist die Basis des neuen Buches von Juliane Neuß („Richtig sitzen – locker Rad fahren“). Wobei nach ihrer Meinung schon bei der simplen Einstellung des Sattels oft vergessen werde, dass beim Treten lediglich der vordere Fußballen auf dem Pedal zu ruhen hat – ergo ein Großteil der Fußlänge zur Beinlänge gehören kann. Tatsächlich sind auf Deutschlands Straßen nach wie vor eine Menge „Mittelfußtreter“ und „Fersentreter“ zu entdecken – Risikogruppen, die auf zu tiefem Sattel hocken und langfristig dafür zur Strafe mit Knieproblemen zu rechnen haben. Aufrecht sitze der Mensch, entspannt und unverkrümmt – diese scheinbar altbackene Maxime wird von der Autorin durchaus unterstützt. Doch aufgepasst: Das funktioniert nur dann, wenn sich der Lenker tief und dicht beim Fahrer befindet, also wie beim „echten Hollandrad“. Soll jedoch der gerade Rücken durch einen zu hohen Lenker erzwungen werden, droht eher das Gegenteil: der runde, zur Versteifung neigende Buckel. Andererseits kann auch eine gewisse Neigung als rückenschonend durchgehen – sofern die S-Form der Wirbelsäule erhalten bleibt. Wie zum Beispiel bei der Trekkingradposition, bei der die sich abstützenden Arme einen rechten Winkel mit dem Oberkörper bilden. Ansonsten: Aufbau von Rückenmuskulatur. Je aerodynamischer das Verhältnis zwischen Mensch und Maschine sein soll, desto mehr Muckis an den richtigen Stellen wären demnach vonnöten. Juliane Neuß’ Thema ist komplex.

Beschwerdefrei Rad fahren ist eindeutig machbar

Sie behandelt es ausführlich und nachvollziehbar. Sie räumt mit liebgewonnenen Alltagsmeinungen auf. Weicher Sattel? Für lange Strecken völlig ungeeignet. Multipositionslenker bei Handgelenksproblemen? Nur eine Behelfslösung, lieber über die Rahmenlänge nachdenken und die Sitzposition optimieren. Sinnvolle Fotos und Zeichnungen verdeutlichen ihre Botschaft. Und die ist eindeutig: Beschwerdefrei Rad fahren – das geht. Auf dem ergonomisch passenden Rad. Auf einem, das den Menschen nicht quält, sondern ihn und speziell seine Rückenmuskulatur so ganz nebenbei in Form bringt. HELMUT DACHALE

■ Juliane Neuß: „Richtig sitzen – locker Rad fahren“. Delius Klasing Verlag, 16,90 Euro