Verstörende Rede im Bundestag: Rechte entzückt über Wagenknecht

Sahra Wagenknecht wirft Deutschland einen Wirtschaftskrieg gegen Russland vor. Die Linksfraktion klatscht gemeinsam mit der AfD.

Sahra Wagenknecht am Rednerpult im Bundestag

Sahra Wagenknecht am Donnerstag im Bundestag Foto: Michael Kappeler/dpa

BERLIN taz | Es war ein Eklat mit Ansage – und ein Affront gegen die eigene Partei. Ausgerechnet Sahra Wagenknecht bot die Linksfraktion für die Bundestagsdebatte um den Wirtschafts- und Klimaschutzetat als Rednerin auf. Und sie lieferte, was von ihr zu erwarten war.

„In Deutschland bahnt sich eine soziale und wirtschaftliche Katastrophe an“, begann Wagenknecht ihre knapp sechsminütige Rede. Von diesem Ausgangspunkt aus spannte sie den Bogen: Zunächst bescheinigte die Ex-Linksfraktionsvorsitzende der Ampelkoalition eine „völlige Rückgratlosigkeit gegenüber den Absahnern und Krisenprofiteuren“ und prangerte an, dass es in der Bundesrepublik nicht längst einen Energiepreisdeckel und eine Übergewinnsteuer gibt. Das bewegte sich noch ganz auf der Linie ihrer Partei.

Doch etwa zur Hälfte ihrer Rede wechselte Wagenknecht über zu ihrem Lieblingsthema: „Das größte Problem ist Ihre grandiose Idee, einen beispiellosen Wirtschaftskrieg gegen unseren wichtigsten Energielieferanten vom Zaun zu brechen“, giftete sie in Richtung Regierungsbank – zur Freude der heftig applaudierenden AfD. Wenn Deutschland ein Industrieland bleiben wolle, dann brauche es russische Rohstoffe und auf absehbare Zeit auch noch russische Energie. „Und deshalb Schluss mit den fatalen Wirtschaftssanktionen!“, forderte sie. „Verhandeln wir in Russland mit Russland über eine Wiederaufnahme der Gaslieferungen!“

Zum Abschluss attackierte Wagenknecht dann noch frontal den grünen Wirtschaftsminister Robert Habeck: „Mag ja sein, dass Ihnen auch egal ist, was Ihre deutschen Wähler denken, aber Sie haben nicht das Recht, Millionen Menschen, die Sie mehrheitlich nicht gewählt haben, ihren bescheidenen Wohlstand und ihre Zukunft zu zerstören“, ereiferte sich Wagenknecht. „Und deshalb treten Sie zurück, Herr Habeck, denn Ihre Laufzeitverlängerung, die führt mit Sicherheit zum Super-GAU der deutschen Wirtschaft.“

Streit schon im Voraus

Die Antworten auf die Rede Wagenknechts folgten prompt. Die „oberste Kremllobbyistin“ in dieser Debatte reden zu lassen, sei eine „dumme Idee“ gewesen, attestierte der unmittelbar nach Wagenknecht ans Pult getretene Grüne Felix Banaszak der Linksfraktion. Seine Fraktionskollegin Claudia Müller sprach Linksfraktionschef Dietmar Bartsch direkt an: „Dass du die einzige Redezeit eurer Fraktion hergegeben hast für eine Täter-Opfer-Umkehr, für populistische und falsche Argumente“, das sei auch der Linksfraktion „nicht würdig“. Wagenknecht habe einem Kriegsverbrecher das Wort geredet.

Die Mehrzahl der anwesenden Abgeordneten der Linkspartei klatschte Wagenknechts Rede hingegen brav bis frenetisch Beifall. Das ist nicht verwunderlich. Denn es war nur etwa die Hälfte da – und von den gerade mal 19 Linksparlamentarier:innen, die Wagenknechts Rede im Plenum verfolgten, gehörten die meisten zu ihrer Anhänger:innenschaft, wie beispielsweise Sevim Dağdelen oder Klaus Ernst.

Ebenso viele Linke-Abgeordnete fehlten hingegen, darunter fast alle scharfen Wagenknecht-Kritiker:innen, die aus Protest gegen die Entscheidung, ihre umstrittene Fraktionskollegin sprechen zu lassen, dem Auftritt ferngeblieben waren.

Für die Debatte um den Wirtschafts- und Klimaschutzetat hätte es mehrere gegeben, die aufgrund ihrer entsprechenden Ausschusstätigkeit als Red­ne­r:in­nen in Frage gekommen wären. Dass sich die Fraktionsspitze um Dietmar Bartsch und Amira Mohamed Ali lieber für Wagenknecht entschieden hat, die weder dem Wirtschafts-, dem Klima- oder dem Haushalts- noch sonst einem Bundestagsausschuss angehört, hatte schon für Unverständnis und Streit auf der Fraktionssitzung am Montag gesorgt.

Derbe Kritik von anderen Linken

Doch die Fraktionsführung ließ sich davon nicht beeindrucken und beharrte auf Wagenknecht. Bartsch rang ihr nur das Versprechen ab, dass sie nicht die Öffnung von Nord Stream 2 fordern werde. Das reichte ihm. Und daran hat sie sich auch gehalten. Warum Bartsch dafür war, Wagenknecht sprechen zu lassen, konnte er auch auf Nachfrage beim Sommermedientreff der Fraktion am Mittwochabend nicht schlüssig beantworten.

Auch ohne die Erwähnung von Nord Stream 2 war Wagenknechts Rede – wie zu erwarten – auch und nicht zuletzt eine innerparteiliche Provokation. Zahlreiche Lin­ken­po­li­ti­ke­r:in­nen reagierten denn auch mit empörtem Widerspruch.

So twittere etwa Ex-Parteichef Bernd Riexinger: „Die Position der Partei für Sanktionen gegen Russland ist auf dem letzten Bundesparteitag beschlossen worden. Es gibt keinen ‚Wirtschaftskrieg gegen Russland‘. Russland führt Krieg gegen die Ukraine. Es darf niemals einen Zweifel daran geben, auf welcher Seite DIE LINKE steht!“ Ebenso deutlich distanzierten sich die Abgeordneten Anke Domscheit-Berg, Caren Lay, Cornelia Möhring, Nicole Gohlke, Martina Renner sowie Kathrin Vogler, die als einzige der Kri­ti­ke­r:in­nen während der Rede im Bundestag saß.

„Die Sanktionen gegen Russland könnten übrigens am einfachsten beendet werden, wenn Russland seinen verbrecherischen Angriffskrieg gegen die Ukraine beenden und seine Truppen zurückziehen würde“, twitterte ihr Fraktionskollege Pascal Meiser. Diese „einfache Wahrheit“ auszusprechen, würde die Glaubwürdigkeit derer deutlich erhöhen, „die den ‚Wirtschaftskrieg‘ zwischen dem Westen und Russland aktuell für das größte Problem halten, aber selbst keine Vorschläge zur Beendigung des realen Krieges parat haben, die über einen russischen Diktatfrieden hinausgehen“.

Besonders derbe fiel die Kritik des früheren Bundesgeschäftsführers Jörg Schindler aus, der auf Twitter schrieb, im Bundestag sei nicht der demokratisch beschlossene Willen der Linkenmitglieder artikuliert worden. Die Linksfraktion habe sich vielmehr „verhalten wie ein arroganter feudaler Hofschranzen-Staat“. Die Leipziger Stadträtin und Landtagsabgeordnete Jule Nagel forderte den Rausschmiss von Wagenknecht aus der Fraktion.

Nach der Leipziger Demonstration am Montag vergangener Woche glaubten viele in der Partei an einen Aufschwung. Doch die Krise geht weiter. Und Fraktionschef Dietmar Bartsch steht einfach kompasslos dabei und schaut zu. Der Auftritt Wagenknechts und die innerparteilichen Gegenreaktionen zeigen: Da geht nicht mehr viel zusammen. Die Spaltung rückt näher. Aber möglicherweise ist das auch die einzige Chance, die die Linkspartei überhaupt noch hat.

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