Schweigeminute im Parlament: Bundestag gedenkt Gorbatschow

„Er veränderte die Welt.“, sagt Bundestagspräsidentin Bas. Sie würdigt den Ex-Sowjet-Präsidenten als „Wegbereiter der Wiedervereinigung“.

Blick in den Bundestag mit Bild von Gorbatschow.

Bundestagspräsidentin Bärbel Bas spricht während der Gedenkstunde für Gorbatschow im Bundestag Foto: Kay Nietfeld/dpa

BERLIN taz | Bevor es am Mittwochmorgen bei der Generaldebatte erhitzt und teils laut zugeht, wird es im Bundestag kurz ganz still. Die Abgeordneten im Plenum und die Be­su­che­r:in­nen auf den Tribünen, darunter Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, haben sich von ihren Plätzen erhoben und gedenken schweigend dem verstorbenen ehemaligen Präsidenten der Sowjetunion Michail Gorbatschow. Ein großes Porträt von ihm ist an der Kopfseite des Bundestags zu sehen, auf dem Redepult steht ein zartgelber Blumenstrauß, draußen wehen die Fahnen auf Halbmast.

„Präsident Gorbatschow war ein Mann des Friedens. Er veränderte die Welt zum Besseren. Er machte möglich, was über Jahrzehnte undenkbar schien: Den Kalten Krieg friedlich zu beenden und die Teilung unseres Landes und unseres Kontinents zu überwinden“, so hatte Bundestagspräsidentin Bärbel Bas zuvor den Verstorbenen in einer Rede gewürdigt. Sie sagte auch: „Wir Deutschen haben Michail Gorbatschow viel zu verdanken.“

Bas erinnerte daran, wie unter Gorbatschow auf eine von Blockkonfrontation und nuklearer Abschreckung geprägte Ära ein friedlicher Wandel folgen konnte und sich Vertrauen bildete. „Es gibt wohl wenige Politiker, die in Deutschland so viel verehrt werden wie er“, sagte Bas, die Gorbatschows Beitrag zum Ende des Kalten Krieges und zur deutschen Vereinigung hervorhob. Gleichzeitig habe der Friedensnobelpreisträger Unschätzbares für die historische Aussöhnung zwischen Deutschen und Russen geleistet. Er habe das Selbstbestimmungsrecht der Völker ausdrücklich respektiert.

Gorbatschow habe, so Bas weiter, die Vision eines gemeinsamen europäischen Hauses gehabt. „Es ist Russland, das unter Putin mit diesem Geist gebrochen hat.“ Sie räumte ein: „Gerade wir Deutschen haben zu lange Gorbatschows Streben nach Verständigung, Frieden und Partnerschaft als Grundlage unserer Beziehungen mit Russland vorausgesetzt.“

Bas erinnert auch an dunkle Seiten Gorbatschows

Dabei habe man übersehen oder nicht wahrhaben wollen, „dass sich Russland unter Putin längst und radikal von Gorbatschows Zielen abgewandt hatte“. Die Welt müsse aber nicht bleiben, wie sie ist, auch nicht nach diesem brutalen Krieg, den Russland gegen die Ukraine führt, sagte Bas.

In ihrer Rede erwähnte die Bundestagspräsidentin aber auch Gorbatschows Glauben an den Zusammenhalt der Sowjetunion und die teils dramatischen Folgen. „Im Südkaukasus und im Baltikum erinnert man sich schmerzhaft an das brutale Vorgehen gegen friedliche Demonstranten 1989 in Tiflis, den ‚Schwarzen Januar‘ 1990 in Aserbaidschan und den ‚Blutsonntag‘ von Vilnius 1991 während seiner Amtszeit“, sagte Bas. Auch unterschlug sie nicht, dass es später trotz aller Bewunderung und Dankbarkeit auch „eine gewisse Entfremdung mit dem Westen etwa in der Bewertung der russischen Außenpolitik von Putin“ gegeben habe.

Gorbatschow war in den Jahren 1985 bis 1991 der letzte Staatschef der Sowjetunion, in seiner Heimat lasten ihm viele deren Zerfall an. Er ist in der vergangenen Woche im Alter von 91 Jahren gestorben und am Samstag beedigt worden. Eine Staatsbegräbnis gab es nicht, Putin blieb der Trauerfeier fern. Wegen des Ukrainekriegs reisten auch keine hochrangigen Staatsgäste aus dem Ausland an, aus der EU kam allein Ungarns Regierungschef Viktor Orban. Zuvor hatten tausende Rus­s:in­nen an dem offenen Sarg Blumen niedergelegt.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.