Nonconsensual Porn: Ohne Zustimmung

Bei bildbasierter sexueller Gewalt werden Bilder und Videos ohne Einwilligung verbreitet. Betroffene werden rechtlich oft alleingelassen.

Eine Person mit rot lackierten Fußnägeln liegt nackt auf einem roten Bettlaken

Auf vielen Pornoseiten gibt es die Genres „non-consensual“, „revenge porn“ oder „hidden camera“ Foto: Maren Becker/plainpicture

Zunächst dachte Judith, es sei ja gar nicht so schlimm. Die Fotos, die jemand von ihr auf der Pornoplattform xHamster hochgeladen hatte, zeigen sie alle angezogen. Harmlose Bilder, teilweise von ihr selbst bei Facebook gepostet. Judith heißt in Wirklichkeit anders, möchte aber lieber anonym bleiben. Die Dimension des Geschehens wird ihr erst durch andere betroffene Frauen bewusst. Sie wird eingeladen in eine Whatsapp-Gruppe, in der in Laufe weniger Tage rund 50 vom selben mutmaßlichen Täter betroffene Frauen zusammenfinden. Die meisten kennen sich aus der Leipziger Partyszene, identifizieren weitere Frauen auf den Bildern und informieren sie.

Unter den Fotos sind auch intime Aufnahmen, auf denen Brüste, Po und Genitalbereich von Frauen zu sehen sind. Eine wurde bei einer Übernachtung abgelichtet. Der Urheber des Fotos hatte ihr die Decke weggezogen und ihren entblößten Genitalbereich fotografiert. Später stellt sich heraus: Diese Frau wurde von ihm missbraucht. Doch auch die Fotos bekleideter Frauen auf dieser Seite sind ein Angriff. Häufig finden sich darunter obszöne Kommentare voller Gewaltfantasien, teilweise stehen Name und Adresse dabei: „Diese Nutte würde sich über einen Besuch freuen.“

Was den Frauen der Leipziger Initiative „Our bodies, not yours“ geschehen ist, ist eine Form von bildbasierter sexueller Gewalt. Unter diesem Sammelbegriff versteht man das Aufnehmen, Erstellen oder Verbreiten intimer oder sexueller Bilder und Videos ohne Zustimmung, sowie die Androhung der Verbreitung. Beim Verbreiten persönlicher Bilder im pornografischen Kontext geht es nicht nur um intime Bilder.

Die Verwendung des Gewaltbegriffs ist unter Ju­ris­t:in­nen umstritten. Nach streng juristischer Auffassung muss es sich bei Gewalt um einen unmittelbar körperlichen Eingriff handeln. Dennoch wird die Bezeichnung auch von vielen Ju­ris­t:in­nen befürwortet, weil sie den Schaden für Betroffene besser fasse, die mit anderen Formen sexueller Gewalt vergleichbar sind. Bekannt ist eher der Ausdruck „Racheporno“.

Er greift jedoch zu kurz, handelt es sich dabei nur um eine von vielen Formen bildbasierter sexueller Gewalt. Auch das sogenannte ­Upskirting und andere „Creepshots“ zählen dazu, also heimlich aufgenommene Bilder „unterm Rock“ oder etwa vom Ausschnitt. Am extremsten für betroffene Frauen ist die Herstellung und Weitergabe von Aufnahmen sexueller Übergriffe.

Das Tatmotiv ist häufig nicht Rache, sondern schlicht sexuelle Befriedigung, finanzieller Gewinn oder ein Macht- und Kontrollbedürfnis. Auf vielen Pornoseiten gibt es eigene Genres namens „non-consensual“, „revenge porn“ oder „hidden camera“.

In den USA verschaffte schon 2011 die Debatte um die Pornoseite „Is Anyone Up!?“ dem Phänomen „Racheporno“ größere Aufmerksamkeit. In Deutschland taucht das Thema erst seit wenigen Jahren in der breiteren Öffentlichkeit auf. 2019 hatte Anna Nackt, die unter diesem Pseudonym mittlerweile anderen Betroffenen hilft, intime Fotos von sich auf xHamster entdeckt. Anfang 2020 hatte das Investigativ-Team des Funkformats STRG F aufgedeckt, dass ein Mitarbeiter des Festivals Monis Rache Spannervideos von Frauen auf Dixi-Klos gemacht und die Aufnahmen veröffentlicht hatte – ebenfalls auf xHamster.

Oft werden Betroffene auch gedoxxt

Die Plattform war unter Usern lange bekannt als die Seite für Amateurpornovideos. In Deutschland wird sie 1,3 Milliarden Mal im Monat besucht und hat damit ein höheres Nutzeraufkommen als Netflix oder PayPal.

Den Leipziger Frauen ist schnell klar, wessen xHamster-Profil es ist, von dem aus über 1.000 Fotos von ihnen hochgeladen wurden. Einige der Betroffenen kennen ihn nur flüchtig von Partys, bei denen er als DJ auflegte. Andere waren gut mit ihm befreundet oder liiert, mit einer von ihnen ist er aufgewachsen, hat Weihnachten mit ihrer Familie gefeiert. Der Schock ist nachhaltig. Manche Betroffene haben das Gefühl, insbesondere Männern nicht mehr trauen zu können.

Eine Betroffene konnte zeitweilig nicht mehr zu Hause wohnen, weil ihre Adresse veröffentlicht wurde. „Einige von uns haben sich nicht mehr alleine aus dem Haus getraut, sich paranoid gefühlt in der Öffentlichkeit, eine war arbeitsunfähig“, berichtet Judith. Dass die Gruppe einander hat, ist die positive Seite der Medaille. Diese kollektive Kraft bezeichnet Judith als „Superpower“.

Fälle bildbasierter sexueller Gewalt strafrechtlich zu verfolgen, ist nicht einfach. „Im geltenden Recht ist das Problem absolut unterbelichtet“, sagt Juristin Anja Schmidt von der Uni Halle. Sie leitet ein Forschungsprojekt zum Thema Pornografie und sexuelle Selbstbestimmung. Wenn es um Straftaten im Internet geht, hinke die veraltete Gesetzeslage der digitalen Realität hinterher. Und generell fehle es in Strafverfolgungsbehörden an Wissen. Deshalb würden Fälle oft auch bagatellisiert, ihre Ermittlung eingestellt.

Bei Kinder- und Jugendpornografie ist die Strafbarkeit umfassend geregelt: Herstellung, Verbreitung, Besitz und Abruf sind verboten. In Bezug auf die Wiedergabe von Erwachsenen gelte das nicht, erklärt Schmidt. Regelungen seien in unterschiedliche Rechtsbereiche verteilt und lückenhaft. So greift das Verbot der „Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereichs und von Persönlichkeitsrechten durch Bildaufnahmen“ gemäß Paragraf 201a Strafgesetzbuch nur, wenn eine Person fotografiert wird, die sich in einem gegen Einblicke geschützten Raum befindet, beispielsweise in einer Wohnung, und wenn die Aufnahme den höchstpersönlichen Lebensbereich der Person verletzt, beispielsweise durch Nacktheit oder erkennbare sexuelle Handlungen.

Umstritten ist seine Geltung, wenn eine Person zum Beispiel in einer öffentlichen Dusche gefilmt wurde, wie es gelegentlich bei Festivals passiert ist. Nicht geregelt sind Fälle, in denen die betroffene Person bekleidet ist und lediglich der Kontext das Bild sexualisiert.

Die meisten Straftatbestände, die sich auf Fälle von bildbasierter sexueller Gewalt anwenden lassen, befinden sich laut Dr. Anja Schmidt außerhalb des Sexualstrafrechts. Häufig komme der allgemeine Schutz am eigenen Bild aus dem Kunst-Urhebergesetz zum Tragen, was mit einem unangemessen geringen Strafmaß einhergehe. „Wenn eine Aufnahme auf einer Pornoseite hochgeladen wird, ist aber weit mehr verletzt als das Recht am eigenen Bild“, betont Schmidt.

Vor allem Frauen sind betroffen

Viele Frauenberatungsstellen sehen das Hauptproblem nicht in erster Linie in Gesetzeslücken, sondern darin, dass Polizei und Justiz für das Thema nicht sensibilisiert sind. „Meistens kommen Betroffene gar nicht an den Punkt, wo wir evaluieren können, ob das materielle Recht ausreichend ist, weil auf dem Weg dahin schon so viele Fallstricke sind“, so Kerstin Demuth vom Bundesverband der Frauenberatungsstellen und Frauennotrufe in Deutschland. Frauen machten die Erfahrung, nicht ernst genommen zu werden, wenn sie Anzeige erstatten wollen. Sie würden etwa gefragt, warum sie einem Täter überhaupt intime Aufnahmen geschickt hätten, sodass die Verantwortung für die Tat den Betroffenen statt den Tätern zugeschoben würde.

Forschungen über das Ausmaß nicht einvernehmlicher Inhalte im Internet sind spärlich. Eine im Jahr 2020 erschienene Studie eines Netzwerks von Juristinnen und Kriminologinnen aus dem angelsächsischen Raum stellt empirisch fest: Jede dritte der befragten Personen hat mindestens eine Form bildbasierter sexueller Gewalt erfahren und jede fünfte zumindest eine Androhung der Verbreitung von Aufnahmen. Der Studie liegt eine Umfrage mit über 6.000 Befragten aus drei Ländern zugrunde.

In einem Gutachten von Forscherinnen desselben Netzwerks heißt es, betroffen seien unverhältnismäßig viele Frauen und Mädchen. Alle berichteten laut der Studie von erheblichen lebensverändernden bis -bedrohlichen psychologischen und physischen Schäden. Bei den Tätern handele es sich überproportional um Männer.

Im Fall der Leipzigerinnen liegt inzwischen eine Anklageschrift vor. Berücksichtigt wurden die Fälle von fünfzehn der Frauen. Dem mutmaßlichen Täter wird sexueller Missbrauch einer widerstandsunfähigen Person, die Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereichs durch Bildaufnahmen, Beleidigung und unerlaubtes Verbreiten von Bildnissen vorgeworfen.

Von der Anklageerhebung erfuhren die Leipziger Frauen erst fast zwei Jahre nach ihrer Anzeige und erst im Zuge der Recherchen für diesen Artikel. Auch kam eine zwischenzeitliche Hausdurchsuchung beim mutmaßlichen Täter erst zustande, nachdem eine Betroffene die Polizei anrief, als der Beschuldigte gerade online war und die Frau der Polizei mitteilte, dass auch Minderjährige auf den Bildern zu sehen seien.

Wegen der Überlastung der Justiz seien ein bis zwei Jahre für die Ermittlung solcher Fälle die Regel, sodass Verfahren bis zu einer rechtskräftigen Verurteilung der Täter drei bis vier Jahre dauern könnten, sagt Nadine Maiwald, die Anwältin der Betroffenen. „Das führt zu Verzögerungen der Verfahren, die für alle Betroffenen mittlerweile unzumutbar werden.“

Für die betroffenen Frauen, deren Fall nicht in die Anklage mit aufgenommen wurde, bleibt die Frage offen, ob und wie sie sich nach derzeitig geltender Gesetzeslage erfolgreich juristisch wehren können.

Anmerkung der Redaktion:

Die Hammy Media Ltd lässt uns wissen, dass xHamster im Dezember 2020 einen Verifizierungsprozess sowohl für den Hochladenden als auch für das hochgeladene Material eingeführt hat. Spätestens seitdem sei das Problem von „nonconsensual porn“ auf xHamster nicht mehr vorhanden.

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