Enteignungen von Stromfirmen gefordert: Das Gespenst der Enteignung geht um

Angesichts der Krise fordert „Deutsche Wohnen Enteignen“ die Vergesellschaftung von Energiefirmen. Nicht nur Verluste dürften sozialisiert werden.

Aktivist*innen tanzen vor dem Roten Rathaus bei Pyrotechnik und guter Laune

Angesichts von Gaskrise ist weniger Partystimmung, aber Vergesellschaftung könnte auch hier helfen Foto: Christoph Soeder/dpa

Berlin taz | Was die Bundesregierung bereits mit dem in Schieflage geratenen Gasversorger Uniper gemacht hat, fordert nun auch die Inititiative „Deutsche Wohnen Enteignen“ für die gesamte private Energiewirtschaft: die Vergesellschaftung von Stromkonzernen. Auch weil der rot-grün-rote Senat die Umsetzung des Volksentscheids blockiere und sich die Krise zuspitze, hat das Bündnis einen Forderungskatalog vorgelegt.

Darin fordert es neben der Vergesellschaftung von Energiekonzernen die Abschaffung von Gasumlage und Strombörse sowie ein Verbot von an die Inflation gekoppelten Indexmietverträgen. Darüber hinaus fordert DW Enteignen den sofortigen Stopp von Kündigungen und Zwangsräumungen und eine „mietenneutrale“ ökologische Sanierung der Wohnungsbestände.

Kalle Kunkel, Sprecher von DW Enteignen, sagt, die derzeitige Situation der Menschen habe sich seit dem erfolgreichen Volksentscheid vor genau einem Jahr angesichts explodierende Energiepreise deutlich verschlimmert: „Viele von uns wissen nicht, wie sie über den Winter kommen sollen. Und währenddessen fahren die Konzerne weiterhin saftige Gewinne ein. Sie werden immer reicher, weil wir immer ärmer werden – das muss jetzt aufhören!“ Vergesellschaftung von Immobilien- und Energiekonzernen stelle eine dauerhafte und sichere Entlastung für Mie­te­r*in­nen dar.

Die Initiative kritisiert, „dass die Konzerne mit Gütern der Daseinsvorsorge Profite erzielen“, so Kunkel, „und die Politik schaut dabei zu.“ Laut Kunkel helfen Einmalzahlungen, Energiespartipps und Subventionierung von Konzernen nicht auf lange Sicht: „Das einzige zukunftsfähige Mittel gegen die Inflationskrise ist die Überführung der Energie- und Immobilienkonzerne in Gemeineigentum.“

Verluste sozialisiert, Gewinne privatisiert

In der Energiekrise habe sich erneut gezeigt, dass der Markt es einfach nicht richte, so Kunkel: „Existenzielle Güter gehören nicht in die Hände des Marktes.“ Es sei gut, dass die Politik mit der Verstaatlichung von Uniper reagiert habe – „aber warum wird eigentlich nur der Konzern verstaatlicht, der am meisten Miese macht?“ Wie in der Bankenkrise würden die Verluste sozialisiert und die Gewinne privatisiert. Deswegen sei es nun wichtig, mit Vergesellschaftungen die Kontrolle über den Energiesektor zu bekommen, so Kunkel. „Gleichzeitig stellen sich bei Stromkonzernen andere Fragen als bei Wohnraum: Der Staat könnte mit Produktionsmitteln als Teil der ökologischen Transformation vorangehen.“

Wer fällige Entschädigungen für Vergesellschaftung von Stromkonzernen nach Artikel 15 zahlen soll, will Kunkel auf Nachfrage der taz nicht beantworten. „Dafür ist es zu früh. Wir finden es zunächst wichtig, die gesellschaftliche Debatte darüber zu beginnen.“ Die Energieproduktion wäre in Berlin dabei nicht der erste Versorgungssektor in öffentlicher Hand: Das Stromnetz ist seit Juli 2021 wieder Eigentum des Landes Berlin, die Wasserversorgung seit 2013 rekommunalisiert.

Zudem kritisiert Kunkel auch die Preisbildung beim Strom: Die Strombörse zeige gegenwärtig, dass der Markt ein irrationales Instrument sei, wenn nach “Merit-Order“ derjenige mit den höchsten Kosten den Preis insgesamt bestimme. Das gehe zu Lasten der Gesellschaft. Entsprechend forderte die Initiative die Abschaffung der Strombörse.

Die Forderungen hat das mobilisierungsfähige Bündnis anlässlich des Jahrestags des erfolgreichen Volksentscheids gestellt. Bei diesem hat eine deutliche Mehrheit der Berliner Bevölkerung für die Vergesellschaftung großer privater Immobilienkonzerne mit einem Enteignungsgesetz gemäß Artikel 15 Grundgesetz gestimmt.

Mit diesem Artikel könnte man nun auch Energiekonzerne vergesellschaften, fordert die Initiative. Tatsächlich lässt der Grundgesetzartikel die Vergesellschaftung ganzer Wirtschaftszweige gegen Entschädigung zu, auch wenn er noch nie Grundlage eines Gesetzes wurde. Bei Uniper hat sich der Staat kurzum über den Erwerb von Anteilen die Mehrheit verschafft, beim Tage- oder Straßenbau enteignen Konzerne und Staat bislang auf Grundlage von Artikel 14 Grundgesetz. Seit vergangenem Jahr spricht sich in NRW auch bereits die Kampagne RWE und Co. enteignen für die gemeinwohlorientierte Vergesellschaftung von Stromkonzernen aus.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.