Bäume, Schafe und Kartoffeln

In der Langzeitdoku „Verabredungen mit einem Dichter“ von Frank Wierke wird Michael Krüger porträtiert

Von Fabian Tietke

„Da hinten ist ein Sofa, auf das man sich legen kann, wenn man nachdenken will, und das tue ich gerne.“ Gesagt, getan, Michael Krüger, Dichter, ehemals Verleger, im Büro der Bayerischen Akademie der Schönen Künste, wechselt aufs Sofa. Fast zehn Jahre begleitete ihn Dokumentarfilmer Frank Wierke für seinen Film „Verabredungen mit einem Dichter – Michael Krüger“. Der Film zeigt den Porträtierten beim allmählichen Rückzug aus dem Arbeitsleben. Die ersten Aufnahmen stammen von 2013, bevor Krüger die Leitung des Hanser-Verlags abgab, die letzten sind aus der Zeit, als sich Krüger aufgrund seiner Leukämie-Erkrankung während der Coronapandemie in Quarantäne begab.

Die Verfilmung lexikalischen Wissens geht Wierkes Film erfreulicherweise ab. Letztlich liefert Krüger selbst beim Gespräch einen kurzen Abriss seines Lebens. Ausbildung zum Buchhändler, Gasthörer an der Freien Universität Berlin. Dann folgen ein Wechsel nach London und eine Rückkehr nach Westdeutschland, bevor er 1968 als Lektor zum Hanser-Verlag kam, dessen literarischer Leiter er 1986 wurde und 1995 schließlich Geschäftsführer. Ab 1976 erscheinen eigene Gedichtbände.

Doch bevor diese Koordinaten festgezurrt werden, geht es um Krügers geistige Welten, die sich als geerdet erweisen. Viel geht es im Film um Bäume, Schafe und Kartoffeln. In seinem Büro im Hanser-Verlag weist Krüger dem Filmemacher auf den Baum vor dem Fenster hin. Im Münchner Wohnhaus erzählt Krüger lieber die Geschichte der Apfelbäume im Garten und die der Nussbäume an der Straße, als über die Ordnung der Bücher in seiner Bibliothek zu sprechen.

„Verabredungen mit einem Dichter“ ist filmische Tablewear. Es beginnt mit einer monochrom grauen Fläche, auf der mit Verzögerung ein Auszug aus einem Text Krügers erscheint, dazu Streicherklänge. Vom ersten Moment an werden alle Erwartungen an ein Intellektuellenporträt erfüllt. Dass der Film nicht gänzlich erstarrt, liegt am Protagonisten. Seine Assoziatio­nen öffnen den Film zur ländlichen Welt, die ihrerseits auf Krügers Herkunft verweist. Viel des Wissens über die Natur und ihre Abläufe stammt von Krügers Großvater, einem anhaltinischen Landwirt, der von der DDR im Zuge der Bodenreform enteignet wurde. In seiner gediegenen Zurückhaltung findet Wierke eine Form, um Krügers Gedanken zu rahmen.

Eingeblendete Zeitangaben machen den Prozess des Rückzugs sichtbar. Am Anfang steht eine Reihe von geräumten Büros, dem im Verlag und dem in der Akademie. Im Büro in der Akademie erzählt Krüger dem Filmemacher von dem Einschnitt der Leukämie-Diagnose, die unvermittelt die Frage nach dem Umgang mit den letzten Jahren, wann immer diese beginnen mögen, aufwirft. Trotz dieser Nachdenklichkeit wird „Verabredungen mit einem Dichter“ nie ganz zum Rückblick.

Filme über Schriftsteller sind die Nische, die Wierkes Werk ausfüllt. Nach dem Bauernhof-Porträt „Man denkt, man kennt das Land“ von 2003 folgten Filme zum britischen Schriftsteller und Übersetzer Michael Hamburger (2007), zum in Finnland lebenden deutschen Schriftsteller und Übersetzer Manfred Peter Hein (2012) und zuletzt 2017 zum norwegischen Naturlyriker Kjartan Hatløy („Solreven“/ „Der Sonnenfuchs“).

„Verabredungen mit einem Dichter“ ist das gelungene Porträt eines Dichters und großen Verlegers. Wierkes Film zeigt Krüger als bisweilen klagenden, doch äußerst umtriebigen Schriftsteller auf dem Weg in ein ungewohntes Privat­leben. Durch Krügers Überlegungen und Erzählungen hindurch wird eine Aufstiegsgeschichte erkennbar, in der sich die Geistesgeschichte der alten Bundesrepublik spiegelt. „Verabredungen mit einem Dichter“ ist ein ruhiger, kluger, innerlich bewegter Film.

„Verabredungen mit einem Dichter – Michael Krüger“. Regie: Frank Wierke. Deutschland 2022, 91 Min.