Tierschutzskandal in Niedersachsen: Gequält für Westfleisch

Das Deutsche Tierschutzbüro wirft einem Schweinemäster massive Verstöße vor. Sieben Westfleisch-Zulieferer sind im Visier.

Schweine liegen auf dem Boden, eines von ihnen hat eine bltuige Wunde am Schwanz

Schockierende Bilder: Ein Schwein mit blutender Wunde am Schwanz liegt zwischen anderen am Boden Foto: Deutsches Tierschutzbüro

OSNABRÜCK taz | Westfleisch, einer der größten Fleischvermarkter Deutschlands, weiß, was gut klingt. „Der gute Umgang mit Tieren“, so beginnt seine „Leitlinie Tierschutzmana­gement“, „ist für uns eine Selbstverständlichkeit.“

Wirklich? Der Schweinemastbetrieb Weser Agrar GbR von Carsten A. im niedersächsischen Hessisch Oldendorf, Landkreis Hameln-Pyrmont, ein Konventionalbetrieb, lässt Zweifel aufkommen. Das Deutsche Tierschutzbüro wirft dem Betrieb, gestützt auf schockierende Fotos und Videos, Tierquälerei und Misshandlung vor, und hat Anzeige erstattet wegen des Verdachts des Verstoßes gegen Paragraf 17 Nr. 2b Tierschutzgesetz. Der Betrieb ist Zulieferer von Westfleisch; 7,3 Millionen Schweine hat der Konzern 2021 geschlachtet.

„Die Akten und das zusammen mit der Anzeige übersandte Videomaterial befinden sich derzeit bei einer Sachverständigen“, sagt Staatsanwalt Thorsten Stein, Sprecher der Staatsanwaltschaft Oldenburg, der taz. Sie sei „mit der Erstellung eines Gutachtens zu möglichen Straftaten und Ordnungswidrigkeiten nach dem Tierschutzgesetz beauftragt“. Es solle „noch im Laufe dieses Jahres“ fertig werden.

Der Fall A. stammt aus dem Frühjahr 2022. Warum er ihn erst jetzt öffentlich macht, begründet Jan Peifer, Vorstandsvorsitzender des Tierschutzbüros, mit einem Strategiewechsel: „Früher haben wir oft den Vorwurf gehört, dass wir zu schnell an die Öffentlichkeit gehen, dass es die Behörden dadurch in ihren Ermittlungen schwerer haben. Diesmal haben wir erst Veterinäramt und Staatsanwaltschaft informiert. Beiden haben wir ein halbes Jahr Zeit gelassen, den Fall zu bearbeiten.“

Blutig, kotverschmiert, verletzt

Am 20. Februar 2022 habe seine Behörde eine tierschutzrechtliche Beschwerde erreicht, sagt Peter Bolten, Amtstierarzt und Leiter des Amtes für Veterinärwesen und Lebensmittelüberwachung beim Landkreis Hameln-Pyrmont, der taz. „Bemängelt wurde, dass es in dem Stall massive Probleme mit Kannibalismus gebe und kranke und verletzte Tiere nicht versorgt oder separiert würden.“

Am Folgetag seien bei einer unangekündigten Kontrolle „Verstöße festgestellt“ worden. Es seien „umgehend diverse verwaltungs- und strafrechtliche Schritte eingeleitet“ worden, sagt Bolten, auch „eine ordnungsbehördliche Verfügung sowie die Abgabe an die Staatsanwaltschaft“, Nachkontrollen inklusive.

Die Videoaufnahmen sind schwer zu ertragen: Blutige, kotverschmierte Tiere. Einige lahmen, andere sind zu schwach, um aufzustehen. Entzündete Schwanzstummel, schwere Gelenk­schwellungen. Ein Tier liegt mitten zwischen den anderen, mit heraushängender Zunge, aufgequollen – tot. „Furchtbar!“, sagt Peifer. „Klar, Arbeitsgruppen werden gegründet, und irgendwer sagt was Wohlklingendes. Aber wirklich verbessert hat sich für die Tiere seit Jahren nichts!“ Das Problem sei „flächendeckend, systemisch“.

Ein Indiz dafür: Der Betrieb von Carsten A. ist nicht der einzige Westfleisch-Zulieferer, gegen den Peifer derzeit zu Felde zieht. „Nach dem Zufallsprinzip wurden sieben Betriebe, die Westfleisch auf seiner Website als Hof-Porträt vorgestellt hat, für eine Kontrolle bestimmt. Bei allen wurden Missstände vorgefunden.“ Der von Carsten A. sei „der schlimmste“ gewesen.

20 Seiten Strafanzeige

Die übrigen sechs liegen in Nordrhein-Westfalen, von Ibbenbüren bis Beckum. Westfleisch steht jetzt stark in der Kritik. Aus seinem Werbeslogan „Westfleisch – direkt vom Bauern“ hat das deutsche Tierschutzbüro in einer Aufklärungskampagne„Qualfleisch – direkt vom Bauern“ gemacht.

20 Seiten lang ist die Strafanzeige des Tierschutzbüros gegen Weser Agrar. Sie spricht von entzündeten Klauen, geschwächten Tieren, kot- und urinverschmutzten Buchten, Tränken und Futterautomaten. Schweine seien unter Einsatz eines Elektrotreibers verladen worden.

„Individuelle Verstöße einzelner Tierhalter“ könne das Ministerium nicht verhindern, sagt Sabine Hildebrandt, Pressesprecherin des niedersächsischen Agrarministeriums, der taz. Das Ministerium setze sich „fortlaufend“ dafür ein, „dass die Sachkunde der Tierhalter noch besser sichergestellt wird“. Jüngster Ansatz: Mitte 2022 sei ein Erlass an die überwachenden Tierschutzbehörden ergangen, in 2023 „in allen Produktionsstufen Schwerpunktkontrollen“ durchzuführen, nicht zuletzt zum Umgang mit erkrankten und verletzten Schweinen.

Es klingt wie Ironie: Der Betrieb von Carsten A. nimmt an der „Initiative Tierwohl“ (ITW) teil, einer Zertifizierung der „Gesellschaft zur Förderung des Tierwohls in der Nutztierhaltung“, eines Branchenverbandes der deutschen Fleisch­industrie.

„Leider liegen uns die Videoaufnahmen bislang noch nicht vollumfänglich vor“, sagt Patrick Klein, Sprecher der ITW, der taz. Das sei „höchst bedauerlich“, so könne man sich „nicht selbst ein Bild im nötigen Umfang machen, welche akuten Missstände wo genau anscheinend festgestellt wurden“.

Die ITW habe „umgehend Sonderaudits“ durchgeführt. „Dabei konnten die offenbar auf Video aufgezeichneten schweren Verstöße nicht festgestellt werden. Hätten uns die Videoaufnahmen unmittelbar nach dem Entstehen vorgelegen, hätten wir den Vorwürfen unmittelbar nachgehen können. Vielleicht hätte sich dann ein anderes Bild ergeben.“ Sobald „Bildmaterial und entsprechende Informationen“ auch der ITW vorlägen, werde man „mögliche weitere Schritte prüfen“.

Betriebe weiterhin lieferberechtigt

Jeder ITW-Betrieb werde „sehr streng kontrolliert“, zweimal pro Jahr, teils ohne vorherige Ankündigung. „Bei diesen Kontrollen wird nicht nur die Umsetzung der Tierwohlkriterien überprüft, sondern auch der Zustand der Tiere und des Stalls“, sagt Klein. „Dadurch decken auch wir leider manchmal Missstände auf.“ Notfalls komme es zur Sanktionierung der Tierhalter.

Carsten A., von der taz um Kommentierung der Vorwürfe gebeten, ist am Telefon offen, erklärt Hintergründe, schildert Entscheidungen, verweist für ein offizielles Statement aber an seinen Anwalt. Er werde dessen Kontaktdaten übermitteln. Die Übermittlung unterbleibt.

Westfleisch verweist auf eine taz-Anfrage auf seine Website. Da steht in einer Pressemitteilung: Die Aufnahmen „machen auch uns betroffen“. Aber: Nach Audits sind alle Betriebe weiterhin lieferberechtigt. „Bis zur endgültigen Klärung aller Vorwürfe behalten wir uns sanktionierende Maßnahmen bis hin zur Kündigung der Lieferverträge vor.“

Die Zahl der Schweine haltenden Betriebe ist in Niedersachsen stark rückläufig. 4.400 waren es Mitte 2022 – gegenüber 2021 ein Rückgang um fast 11 Prozent. Auch die Zahl der gehaltenen Schweine sinkt. Binnen eines Jahres ging sie um 10 Prozent zurück, auf knapp 7,4 Millionen. „Der Wandel in der Nutztierhaltung hat längst begonnen“, sagt Ministeriumssprecherin Hildebrandt. „Die Transformation läuft bundesweit.“

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