Der musikalische Brückenbauer

In Sri Lanka war er Kinderstar und Meister im Gedichtaufsagen, in Berlin macht Lalith Ganhewa seit Jahren Radio: Mit seiner Hilfe für die Tsunami-Opfer führt der Journalist beide Kulturen zusammen

von Clemens Grün

Lalith Ganhewa hat große Hände. Hände, die bestens geeignet wären, große Gesten zu machen. Doch die sind seine Sache nicht. Nur Nuancen in seiner Mimik verraten seine Wut und seine Leidenschaft. Ganhewa sitzt inmitten einer farbenfrohen Sammlung asiatischer Masken im Wohnzimmer seiner Wilmersdorfer Wohnung und erzählt von seiner Reise ins Tsunami-Gebiet. Von Spendengeldern, die ihre Adressaten nicht erreichen, von westlichen Experten, die glauben, alles besser zu wissen, von christlichen und sonstigen Missionaren, die als Gegenleistung für ihre Nächstenliebe Beitrittserklärungen zu ihrer Kirche einfordern, oder jene haarsträubende Geschichte eines Amerikaners, der ein Heim für Flutwaisen gründete, um dort Kinderpornos zu drehen – und sich nach seiner vom amerikanischen Kinderschutzbund NCPA (National Child Care Protection Authority) veranlassten Festnahme der geballten Rückendeckung diplomatischer wie karitativer Kreise sicher sein konnte.

„Pappnasen“ nennt Ganhewa solche Entwicklungshelfer, die sich die Verteidigung von Menschenrechten auf die Fahnen schrieben und dann für einen derart üblen Gesellen ins Zeug legten, nur weil es sich um einen ihrer Landsleute handelt.

Lalith Ganhewa versteht es, seinen Worten von Zeit zu Zeit eine dem Anlass angemessene Schärfe zu verleihen. Einen kühlen Kopf zu bewahren und den richtigen Ton zu treffen – das ist sein Job. Sei es als Radiojournalist bei Multikulti oder als Veranstalter kultureller Events wie jenem Benefizkonzert für das Kinderhilfswerk Unicef, das er aus Anlass der Katastrophe im vergangenen Januar auf die Beine stellte und das in die halbe Welt übertragen wurde.

Benefizkonzert für Unicef

„Es war mir wichtig, nicht nur etwas für meine eigenen Leute zu machen“, sagt Ganhewa. „Berlin for Asia“ Ende Januar war deswegen nicht nur in Finnland, Japan oder Pakistan zu hören, sondern auch auf TBC (Tamil Broadcasting Corporation), einem Londoner Sender, der neben der tamilischen Diaspora in Europa auch jene vom Nahen Osten bis ans Kap der Guten Hoffnung bedient. Dass er als gebürtiger Singhalese Kontakte mit Tamilen pflegt, ist für Ganhewa selbstverständlich. Schließlich müsse man „bereit sein, sich die Hände zu reichen“. Und wenn er von etwas überzeugt sei, dann ziehe er „das auch gnadenlos durch“.

Um die zeitgleiche Ausstrahlung des Konzerts durch weltweit 16 Radiostationen zu ermöglichen, hängte er sich drei Wochen lang täglich ab fünf Uhr morgens ans Telefon. Wenn es die Umstände erfordern, passt Ganhewa seinen Arbeitstag auch an die Bürozeiten von Kuala Lumpur an. „Mit meiner Arbeit beim Radio“, sagt er, „habe ich mir einen Kindertraum erfüllt.“

Sein Leben begann gleichwohl wie ein Albtraum: 1956 geboren, fiel er mit elf Monaten aus dem Kinderbett und verdrehte sich die Wirbelsäule. Mehrere Nerven waren eingeklemmt, doch die Ärzte erkannten das Problem nicht. Mitte der 50er-Jahre konnte man in Kandy, der Stadt des berühmten Zahntempels, froh sein, einen Zahnarzt zu finden. Orthopäden und Neurologen haben sich in das zentrale Bergland Sri Lankas selten verirrt. Dann grassierte die Polio. Als Lalith seine Beine und seinen linken Arm nicht mehr bewegen konnte, wurde er künstlich beatmet. Zwei Jahre lang hing er an der Eisernen Lunge. Als man die fatale Fehldiagnose erkannte, hatte sein Rücken bereits dauerhaft Schaden genommen.

Dass Lalith Ganhewa laufen kann, ist kein Wunder. Es war, wie er sagt, die Hingabe seiner Eltern, seiner Geschwister, seiner ganzen Familie. Und eines buddhistischen Mönches, der es sich, so Ganhewa, zur Aufgabe gemacht hatte, „die weiße Medizin herauszufordern“. Mit Atemübungen und Wärmetherapie, Ölen, Massagen und Kräuterbeuteln für den Muskelaufbau und die Durchblutung der Nervenbahnen. Fünf Jahre dauerte die Behandlung. Dann konnte Lalith in die Schule gehen.

Er hatte es schwerer als andere Kinder. Ohne fremde Hilfe konnte er das Haus nicht verlassen. Busse und Bahnen waren für ihn tabu. Treppen stellten ein unüberwindliches Hindernis dar. Doch sein Vater, ein Geschäftsmann, sagte: „Wenn wir einmal nicht mehr sind, musst du alleine zurechtkommen.“ Lalith lernte das Klavierspielen. Ganz nebenbei entwickelte er mit der ganzheitlichen Schulung von Körper, Seele und Geist auch sein Gesangstalent. Mit zwölf Jahren gewann Lalith einen nationalen Wettbewerb im Vortragen von kavi (Gedichten) – und wurde zum Kinderstar. Er trat im Fernsehen auf und hatte schon bald eine eigene Radiosendung. Mit fünfzehn bestand er die Eignungsprüfung der Sri Lanka Broadcasting Corporation. Aber studieren, so viel war ihm da schon klar, konnte er in Sri Lanka nicht: „Die Universität von Colombo hat acht Stockwerke.“

Mit siebzehn kam Ganhewa nach Deutschland und schrieb sich als Student an der Universität Köln ein. Nach seinem Diplom als Radio- und Fernsehproduzent in den USA arbeitete er als Produktionsassistent beim Fernsehen und lernte „das harte Brot des Privatrundfunks“ kennen.

Seit 1994 arbeitet er für Radio Multikulti. „Hier habe ich angefangen, über meine Herkunft nachzudenken“, sagt Ganhewa. Mit seinem Insiderwissen über die Politik und Kultur Südasiens hat er sich für das öffentlich-rechtliche Community-Programm längst unentbehrlich gemacht und fand zugleich die geeignete Plattform, um zur streitbaren Stimme Sri Lankas in Deutschland zu werden.

„Ich fühle mich nicht behindert“, sagt Ganhewa. „In der Redaktion mache ich Behindertenwitze.“ Schließlich sei es wichtig, über sich selbst zu lachen. Die Menschen in Deutschland seien sehr offen. Peinliche Situationen ignoriere er einfach – oder begegne ihnen mit der ihm eigenen Schlagfertigkeit.

Ayurvedischer Botschafter

Wenn er heute nach Sri Lanka reist, kommt er längst nicht mehr als jemand, der auf die Hilfe anderer angewiesen ist, sondern als Brückenbauer zwischen den Kulturen. Er vertritt eine Plattenfirma, ist Botschafter ayurvedischer Medizin und macht sich – wie unlängst für die Serendib-Stiftung – landesweit auf die Suche nach Hilfsprojekten, die einer dauerhaften Unterstützung lohnen. Und wenn er in Colombo aus dem Tuk-Tuk, einer motorisierten Rikscha, steigt und mal wieder „über den Haufen“ gerannt wird, dann sei das erstens „kein böser Wille“. Und zweitens stehe er dann eben einfach wieder auf.

In den letzten Jahren sind Ganhewas Beine schwerer geworden. Ab Windstärke vier versagt sein Gleichgewichtssinn. Ohne seine Freundin Ranjanie, seinen „Schatten“, wie er sagt, wären alltägliche Dinge kaum zu bewältigen. Der Weg zum Haus des Rundfunks, wo der RBB sitzt, mit der S-Bahn, über die endlosen Rampen der Fußgängerunterführung am Busbahnhof, ist keine Option mehr. Ein Taxi bringt ihn jeden Morgen in die Masurenallee. Von dort sind es nur wenige Treppenstufen zu seinem Arbeitsplatz. Mit dem Rollstuhl wäre er hier verloren. Doch den lässt Ganhewa, entgegen der Empfehlung seiner Ärztin, ohnehin zu Hause. Seit mehr als zwanzig Jahren.