EuGH und die Vorratsdatenspeicherung: Neuauflage oder Begräbnis

Seit 20 Jahren streitet Deutschland über die Vorratsdatenspeicherung. Am Dienstag entscheidet nun der EuGH darüber. Kassiert er das Gesetz?

Demonstration mit einem großen Transparent.

Der Widerstand währt schon lange: Demo gegen die Vorratsdatenspeicherung in Berlin im Jahr 2007 Foto: imago

BERLIN taz | An diesem Dienstag wird der Europäische Gerichtshof (EuGH) voraussichtlich das deutsche Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung beanstanden. Und er wird damit eine zentrale Debatte der deutschen Innenpolitik neu befeuern.

Innenministerin Nancy Fae­ser (SPD) setzt sich bereits für eine Neuauflage der Vorratsdatenspeicherung ein, vor allem um besser gegen Missbrauchsdarstellungen von Kindern vorgehen zu können. Sie will alles einführen, was nach dem EuGH-Urteil noch möglich ist. Justizminister Marco Buschmann (FDP) hält das Instrument dagegen für „tot“. Er pocht auf den Koalitionsvertrag, der anlasslose Vorratsdatenspeicherungen ausschließt. Die Grünen stehen bisher hinter der FDP, äußern sich aber wenig.

Als Vorratsdatenspeicherung bezeichnet man die anlasslose Speicherung aller Telefon- und Internetverbindungsdaten der gesamten Bevölkerung. Provider wie die Telekom müssen dabei festhalten, wer wann wen angerufen, angechattet oder angesimst hat und wer wann wo sich mit welcher IP-Adresse ins Internet einloggte.

Bei Mobiltelefonen wird auch der Standort gespeichert. Inhalte werden jedoch nicht erfasst. So soll ein riesiger Datenfundus entstehen, auf den die Polizei bei Bedarf zugreifen kann.

2007 eingeführt, drei Jahre später gekippt

Erstmals wurde die Vorratsdatenspeicherung 2007 in Deutschland eingeführt. Die damalige Große Koalition setzte damit eine EU-Richtlinie um. Die Daten wurden aber nur von 2008 bis 2010 gespeichert. 2010 erklärte das Bundesverfassungsgericht das Gesetz für nichtig. Geklagt hatten unter anderem FDP-Politiker um Sabine Leutheusser-Schnarrenberger. Sie sorgte als Justizministerin dafür, dass in den nächsten Jahren kein neuer Anlauf unternommen wurde.

Das heute geltende Gesetz wurde erst 2015 in der nächsten Großen Koalition beschlossen. Justizminister war damals Heiko Maas (SPD). Der seinerzeitige Kompromiss: Statt sechs Monaten würden die Verbindungsdaten und IP-Adressen nur noch zehn Wochen gespeichert, die Standortdaten der Mobiltelefone nur noch vier Wochen. E-Mail-Verbindungsdaten sollten gar nicht mehr gespeichert werden.

Doch 2017 – kurz vor Beginn der Speicherpflicht – setzte das Oberverwaltungsgericht Münster das Gesetz im Fall einzelner Provider aus, weil es vermutlich gegen EU-Grundrechte verstoße. Die Bundesnetzagentur verzichtet deshalb seit Jahren auf die Durchsetzung. Das aktuelle Gesetz wurde also keinen einzigen Tag angewandt.

Strenge Rechtsprechung des EuGH

Rechtliche Probleme macht nicht das Bundesverfassungsgericht. In Karlsruhe wird die Vorratsdatenspeicherung grundsätzlich akzeptiert, wenn bestimmte Anforderungen berücksichtigt sind, insbesondere zur Sicherung der Daten. Der gerichtliche Widerstand kommt vom EuGH, der anfangs jede Form anlassloser Massenspeicherung für unverhältnismäßig hielt. 2014 beseitigte der EuGH deshalb die EU-Richtlinie. 2016 beanstandete er auch nationale Regelungen in Schweden und Großbritannien.

Wegen der wütenden Reaktionen der EU-Staaten ruderte der EuGH 2020 deutlich zurück. Er lässt nun die anlasslose Vorratsdatenspeicherung von IP-Adressen zu. Bei Verbindungs- und Standortdaten sind „gezielte“ Vorratsdatenspeicherungen bei bestimmten Personengruppen und in bestimmten Gegenden möglich. Auch bei einer Bedrohung der nationalen Sicherheit sollen Ausnahmen möglich sein. Doch auch mit diesen abgeschwächten Vorgaben ist das deutsche Gesetz eindeutig nicht zu vereinbaren, weil es auch eine anlasslose Speicherung aller Verbindungs- und Standortdaten vorsieht.

Das Bundesverwaltungsgericht hat das deutsche Gesetz dem EuGH dennoch 2019 zur Prüfung vorgelegt. Die Leipziger Richter hoffen, dass der EuGH seine strengen Vorgaben weiter aufweicht. Dafür gibt es bisher aber keine Anzeichen. Der unabhängige Generalanwalt Manuel Campos Sanchez-Bordona empfahl dem EuGH im November 2021, an seiner Rechtsprechung festzuhalten.

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