Parlamentswahl in Schweden: Bullerbü war immer nur Fantasie

Der Erfolg der Schwedendemokraten bei der Parlamentswahl wird mit Sorge beobachtet. Doch ob sie etwas zu melden haben werden, ist ungewiss.

Ein rotes Holzhäuschen steht an einer Bucht

Wer an Schweden denkt, landet ziemlich schnell an roten Holzhäuschen in der Landschaft Foto: Rico Ködder/imagofRico Ködder/imago

Mythen haben es an sich, dass ihre Widerlegung meist scheitert. Oktoberfest, Rüdesheimer Drosselgasse und Berliner Mauer: Bei Touristen, die Deutschland mal besuchen wollen, kann man nicht punkten, sagt man, es gebe hierzulande noch mehr als diese seltsamen Orte. Wer an Schweden denkt, in grünalternativen Kreisen und über sie weit hinaus, kommt in der Fantasie vielleicht auf die Geschichten Astrid Lindgrens, auf Wälder, falunrote Häuser, Ikea und natürlich auch Abba und Königin Silvia.

Dieses Land wird nun mit einem skrupelarmen liberalkonservativen Politiker namens Ulf Kristersson einen Ministerpräsidenten bekommen, der sich mit unverhohlener Ansage von einer aus Nazistoff erwachsenen Partei, den Schwedendemokraten, mindestens dulden lassen will. Das scheint diesem Phantasma, Schweden sei seit hundert Jahren ein Land sozialdemokratisch gefärbten Einvernehmens, zu widersprechen.

Wahr ist nur: Der bürgerliche Block um Kristersson hätte auf alle Ewigkeiten keine Chance gegen den sozial-links-liberalen Block mit den Sozialdemokraten an der Spitze, er musste insofern ein politisches Risiko eingehen. Das tat er, indem er, der politische Dauerwendehals, transparent machte, sich von den rechtspopulistischen Schwedendemokraten wählen zu lassen.

Zumal diese keine Naziformation mehr ist, wie einst, als sie ihre Popularität in den achtziger Jahren zunächst an der südschwedischen Küste um Karlskrona zu nähren begann. Was die Rechtspopulisten eint, ist der Glaube, man müsse die Migration zurückschrauben, man brauche viel mehr Geld im Staatshaushalt, um Mi­gran­t*in­nen – und gar kriminelle Schweden mit Migrationshintergrund – wieder aus dem Land zu schaffen, man brauche weniger Queeres im Fernsehen und möge ein Land wie in den seligen Sechzigern wiederbegründen.

Desaströses Wahlergebnis

Noch wahrer ist: Kristersson und seine Parteien fuhren, abgesehen von ihren schwedendemokratischen Alliierten, ein desaströses Wahlresultat ein, im Land wie bei den gleichzeitig abgehaltenen Kommunal- und Gemeindewahlen. Sieger sind eigentlich die Sozialdemokraten mit der zurückgetretenen Ministerpräsidentin Magdalena Andersson der Spitze – und natürlich nämliche Schwedendemokraten. Die sind nun zweitstärkste Kraft im Stockholmer Riksdag, hinter den ihnen verhassten Sozialdemokraten, aber noch vor den Moderaten, wie die Partei Kristerssons heißt.

Kurzum: Was Kristersson nun realisieren wird, ist etwas, was auch der Hamburger CDU-Politiker Ole von Beust 2001 ins Werk setzte – trotz massiver Verluste seiner Partei konnten er und die FDP die SPD und Grüne aus der Regierung werfen, weil man in den Senat auch noch die Rechtspopulisten um den früheren Richter Ronald Schill holte. Das geschah übrigens zum großen finanziellen Schaden der Stadt – die in dieser Zeit unter anderem Energiewerke und Grundstücke verkaufte.

Fast am wahrsten wird sein, dass Kristersson und seine Allianz die Polizei im angeblich dann erfolgreicheren Kampf gegen sogenannte migrantische Clankriminalität aufrüsten wird; dass er, darauf kommt es diesen Parteien an, die Bildungspolitik mehr denn je auf Elitenrekrutierung und weniger auf die Partizipation von Schü­le­r*in­nen aus nichtprivilegierten Schichten setzen wird.

Das neue Schweden, wie der liberalkonservative Politiker es erträumt, soll leistungsbewusster und weniger sozialstaatlich sein. Ob die Schwedendemokraten wirklich etwas zu melden haben werden, ist ungewiss, sie sagen ja nur: Schweden zuerst! Sie werden aber nicht wirklich gebraucht, ihr Politikangebot ist nicht mehrheitsfähig.

Kein demographisches Arbeitskräfteprobleme

Am allerwahrsten ist indes, dass Bullerbü immer nur ein Fantasiedorf war; dass das Land zukunftsfähig ist, weil es unter anderem mithilfe seiner offenen Migrationspolitik die Einwohnerzahl seit 1970 um ein Viertel gesteigert hat. Schweden hat eben kein demografisch begründetes Arbeitskräfteproblem, so wie Deutschland, Frankreich und Italien.

Im Übrigen ist das politische Bekenntnis des „Schweden zuerst!“ nicht rechtspopulistischer Provenienz, sondern stammt aus sozialdemokratischem Regierungsgemüt. Ihre Flüchtlingspolitik während der Nazizeit war nur ausnahmsweise freundlich deutschen Juden gegenüber; die Hilfen für baltische Flüchtlinge, die vor den stalinistischen ­Imperatoren in den vierziger Jahren flohen, waren rar: Schweden ist erst in jüngerer Zeit ein einwanderungsfreundlicheres Land geworden. Und so wird es vermutlich bleiben – die Grenzen zu schließen, wie im Ungarn Viktor Orbáns, schließen die Liberalen und Christdemokraten in Kristerssons Allianz aus.

Gegen alle Mythen bleibt Tatsache, dass Schweden ohne die neuen, migrierten Schweden kein funktionierendes Res­taurantwesen hätte, keinen Dienstleistungsbereich, der diesen ­Namen verdient – und ein Showbusiness, das ohne die Helden und Heldinnen im Pop, die alle nicht wie einst Annika, Lisa, Karlsson oder Bosse aus­sehen, keinen ästhetischen Weltanschluss hätte.

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