kritisch gesehen
: Ein Bühnenhaus, und wie es mit seiner Stadt spielt

Braunschweigs Staatstheater also: Die kuratorische Logik nach der man beim Stadtwandel-Verlag die Reihe „Die Neuen Architekturführer“ plant, wirkt etwas brüchig. Neben Glanzlichtern modernen und postmodernen Bauens hat man eine gewisse Vorliebe für den Korpus der meist neohellenischen Kulturtempel des 19. Jahrhunderts. Zu denen auch das neue Hof-, später Landes- und ab 1938 Staatstheater Braunschweig zählt, ein besonders exemplarisches Exempel, sozusagen. Wollte man darüber wirklich mehr wissen?

Nach Lektüre des Bändchens wird man die Frage bejahen. Denn taz-Autorin Bettina Maria Brosowsky blättert darin nicht nur architektonische und bauhistorische Details dieses Bühnenhauses im Neorenaissance-Stil auf, sondern erzählt die Geschichte des Zusammenspiels der Institution mit ihrer Gesellschaft. Dass das Staatstheater Braunschweig die erste Bühne Westdeutschlands war, die nach dem Zweiten Weltkrieg ihren Spielbetrieb wieder aufnahm, unterstreicht die Bedeutung des Theaters als Sinnstiftungsort für die Stadt.

Zu den mitunter beklemmenden Anekdoten, die Brosowsky aufruft, zählt aber auch jene, dass Mitte des 19. Jahrhunderts nur infolge eines tödlichen Unfalls der Bedarf festgestellt wird, ein neues Gebäude zu errichten: Das Kleid der Primaballerina hatte sich an der Beleuchtung der herzoglichen Bühne entzündet.

Während der Blick auf das Ende der 1980er errichtete Kleine Haus sehr kursorisch bleibt, diskutiert Brosowsky kritisch, wie das Zentralgebäude sich in die Stadt hinein verhält: Dass das kecke 1960er-Jahre Vordach über der Freitreppe mit anderem Zierrat 2005 abgetragen wurde, sodass sich der Bau „als schiere Architektur“ präsentiert, schön und gut. Aber dass man darum den Vorplatz mit einer doch eher formalen Grüngestaltung und einem mittigen, von Bildhauer Emil Cimiotti geschaffenen kreisrunden Brunnen gegliedert hat, erscheint denn doch mehr als „akademisches Pathosgebaren“ denn als Einladung an eine offene Stadtgesellschaft.

Hier hätte vielleicht daran erinnert werden können, dass der Umbau in einer Zeit erfolgte, in der Braunschweig seine Geschicke einem von der NPD zur CDU gekommenen Oberbürgermeister anvertraut hatte. Aber vielleicht ist es auch schön, das mal für einen Moment zu vergessen.

Benno Schirrmeister

Bettina Maria Brosowsky: Staatstheater Braunschweig. Die Neuen Architekturführer Nr. 195, Berlin, Stadtwandel Verlag 2022, 64 S. 3 Euro