Grundeinkommen im Feldversuch: Die entspannende Wirkung von Geld

Seit einem Jahr läuft das Pilotprojekt Grundeinkommen. Einer hat seinen Zweitjob quittiert, die andere ist in Elternzeit.

Portrait von Sarah Bäcker vor einer grünen Hecke

Ohne Grundeinkommen müsste Sarah Bäcker mit 800 Euro Eltern- und 200 Euro Kindergeld auskommen Foto: Stefanie Loos

BERLIN taz | Dennis Dettmer hat seinen Zweitjob als Versicherungsmakler aufgegeben. „Glücklicherweise kann ich mir das jetzt leisten“, sagt der 29-jährige Zeitsoldat aus Meißen. Nun konzen­triert er sich auf seine Haupttätigkeit bei der Bundeswehr. Mit Blick auf seine finanzielle Lage fühlt Dettmer sich im Unterschied zu früher entspannt, weil er seit mehr als einem Jahr am Pilotprojekt Grundeinkommen teilnimmt.

Monatlich erhalten er und 121 weitere Bun­des­bür­ge­r:in­nen 1.200 Euro zusätzlich zu ihren normalen Verdiensten, steuerfrei und geschenkt. Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW), der Verein Mein Grundeinkommen und mehrere Universitäten untersuchen, wie eine bedingungslose Zahlung das Leben verändert. Legen sich die Leute etwa in die soziale Hängematte?

Das dreijährige Pilotprojekt entstand im Zuge der jahrzehntelangen Debatte um Hartz IV und die Reform des Sozialstaates. Es läuft seit Sommer 2021. Regelmäßig fragt die taz bei einigen Teil­neh­me­r:in­nen nach, was sich bei ihnen verändert.

Auch der Wertabsturz der Kryptowährungen bringt Dettmer nicht zur Verzweiflung. Vorsichtig hatte er ein paar Hundert Euro investiert, die Kurse explodierten, schließlich standen über 2.000 Euro in seinem Depot. Nun ist es fast wieder auf den Ausgangswert gesunken. „Ja, ich bin enttäuscht“, sagt Dettmer. Aber eine Katastrophe ist das für ihn nicht.

Mehr Lebensqualität

2.400 Euro netto monatlich verdient er als Gruppenführer, der 20 Sol­da­t:in­nen unter sich hat. Damit liegt er im Umfeld des durchschnittlichen Einkommens der deutschen Privathaushalte. Die 1.200 Euro mehr aus dem Grundeinkommensprojekt machen daraus einen überdurchschnittlichen Verdienst. Geld ist plötzlich nicht mehr knapp. So entschied sich Dettmer, den Zweitjob aufzugeben, der ihm einen kleinen Zusatzverdienst bringen sollte, bevor er als Versuchsperson ausgewählt wurde.

Nun kann er etwas mehr in eine höhere Lebensqualität investieren – einmal mehr essen gehen mit der Freundin, öfter ins Kino. „Und einen Kaffeevollautomaten habe ich mir auch gegönnt“, sagt Dettmer. Wobei er betont, dass er das meiste zusätzliche Geld spart, unter anderem um den Diesel abzubezahlen, den er braucht, um regelmäßig den weiten Weg vom sächsischen Meißen zur Kaserne in Hessen zurückzulegen.

Portrait von Dennis Dettmer auf seinem Balkon

Dennis Dettmer spart das meiste Geld, um sein Auto abzubezahlen Foto: Pawel Sosnowski

Die bessere materielle Ausstattung wirke sich auch positiv auf seine körperliche Verfassung aus, berichtet Dettmer. Weniger als früher leide er an Zahnschmerzen. Er führt das darauf zurück, dass er weniger unter allgemeinem Stress stehe.

Das Pilotprojekt generiert Berichte wie diesen über die individuellen Vorteile eines Grundeinkommens. Kein Wunder: 1.200 Euro netto monatlich bedeuten einen wesentlichen Unterschied und bringen viele Leute materiell in einen Bereich, in dem sie sich keine finanziellen Sorgen mehr machen müssen. Aber reicht das als politische Begründung für eine superteure gesellschaftliche Reform?

Die Idee Grundeinkommen wirkt

Erhielten 80 Millionen Bun­des­bür­ge­r:in­nen jeweils 10.000 Euro pro Jahr, kostete das die Gesellschaft 800 Milliarden Euro – eine utopische Größenordnung. Einige Sozialleistungen fielen dann zwar weg, weil sie überflüssig würden. Ein paar Hundert Milliarden Euro pro Jahr blieben als Mehrkosten unterm Strich jedoch zu finanzieren – unklar, wie. Trotzdem wirkt die Idee des Grundeinkommens schon jetzt auch praktisch. Die politische Lage verschiebt sich. Die SPD räumt gerade Hartz IV ab, den wichtigsten Auslöser für die hiesige Debatte über das Grundeinkommen.

Bundesarbeitsminister Hubertus Heil legte Ende Juli seinen Vorschlag für die neue Sozialleistung namens „Bürgergeld“ vor. Das Prinzip: Die monatlichen Überweisungen sollen großzügiger ausfallen.

Bei der Vorstellung des dritten Entlastungspakets, das die Regierung vorige Woche beschlossen hat, gab SPD-Bundeskanzler Olaf Scholz bekannt, dass die Empfänger und Empfängerinnen des neuen Bürgergelds ab dem Jahreswechsel rund 500 Euro erhalten sollen. Ab 2023 wären das etwa 860 Euro pro Kopf statt heute durchschnittlich 800 Euro inklusive Wohnkosten.

Außerdem will Heil die Bedingungen für den Erhalt des Bürgergeldes entschärfen. Man soll mehr eigenes Vermögen behalten dürfen, und der Staat größere Wohnungen finanzieren. Die Regierung würde sich damit ein paar Schritte in Richtung Grundeinkommen bewegen, wobei der Abstand zu einer existenzsichernden bedingungslosen Leistung immer noch beträchtlich bliebe.

Kleine Schritte

Dass die Idee des Grundeinkommens einflussreich ist, sieht man auch an einer weiteren Initiative. Ein „Bildungsgrundeinkommen“ propagierten kürzlich das Zentrum Liberale Moderne und die Bertelsmann-Stiftung. Alle Erwerbspersonen sollen demnach das Recht erhalten, drei Jahre lang 1.200 Euro monatlich vom Staat zu bekommen, um sich weiterzubilden.

Die grundsätzliche Idee: Für die Wirtschaft wie für die Individuen ist es gleichermaßen nötig und vorteilhaft, dass die beruflichen Qualifikationen an die Erfordernisse der Digitalisierung und ökologischen Transformation angepasst werden. Der Staat soll das ermöglichen, indem er für eine gewisse Zeit einen gesicherten Lebensunterhalt zur Verfügung stellt.

Als die neue Chefin der Bundesagentur für Arbeit, Andrea Nahles (SPD), noch Bundesarbeitsministerin war, ließ sie eine vergleichbare Vision niederschreiben. Auch dies kann man als kleinen Schritt in Richtung eines „bedingten Grundeinkommens“ bezeichnen.

„Ich schaue entspannt in die Zukunft“, sagt Sarah Bäcker. Sie ist eine weitere Teilnehmerin im Pilotprojekt. Bei der 40-jährigen Architektin haben sich während des Projekts große Dinge getan: Seit vier Monaten ist sie Mutter ihrer Tochter Alva.

Dank des Grundeinkommens hat Bäcker eine „luxuriöse“ Entscheidung getroffen: „Ich nehme anderthalb Jahre Elternzeit.“ Die 1.200 Euro zusätzlich erleichtern das. Ihre materielle Situation empfindet Bäcker als „komfortabel“. Sie lässt sich Zeit damit, eine Kita zu suchen. Erst ab September 2023 will sie wieder im Architekturbüro arbeiten.

Kein finanzieller Druck

Ohne das Grundeinkommen müsste sie mit etwa 800 Euro Eltern- und 200 Euro Kindergeld auskommen – und stünde unter finanziellem Druck. Im Prinzip ist sie alleinerziehend, sie wohnt nicht mit dem Vater der Tochter zusammen, wobei sich dieser aber ebenfalls um die Erziehung kümmert.

Unter normalen Umständen würde Bäcker jetzt wohl aufstockendes Hartz IV und Wohngeld beantragen. „Zum Glück spielen diese Fragen keine Rolle“, sagt sie. „Ich brauche nicht nachzuweisen, ob ich bedürftig bin.“ Und „hoffentlich“, fügt sie hinzu, „muss ich mir darüber niemals Gedanken machen“.

Auch diese Situation einer Teilnehmerin des Pilotprojekts steht in Verbindung zu einer aktuellen Debatte. Bundesfamilienministerin Lisa Paus (Grüne) arbeitet an einem Vorschlag für die Kindergrundsicherung, die die Koalition einführen will. Details gibt es noch nicht. Aber richtig ausgestaltet wäre das ebenfalls ein Schritt in Richtung Grundeinkommen, der die Lage von Eltern mit niedrigen Einkommen deutlich entspannen würde.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.