Entlastungspaket der Bundesregierung: Wer hat, der kriegt

Das Entlastungspaket der Ampel ist sozial unausgewogen. Steuergeschenke helfen ärmeren Menschen kaum. Ein 0-Euro-Ticket wie in Spanien würde unterstützen.

Ein junger Mann zählt Münzen

Öko­no­m*in­nen weisen darauf hin, dass bei der geplanten Steuerentlastung mehr als die Hälfte bei den oberen 20 Prozent ankommt Foto: Imago

Neulich rief in der Berliner S-Bahn eine ältere Frau den Fahrgästen zu: „Vergesst nicht, armen Menschen Geld zu geben, die Regierung tut es nicht. Auch Olaf Scholz bekommt 300 Euro Energiepauschale!“ Obwohl die Frau mit ihrem Appell lediglich allgemeines Desinteresse und vereinzeltes Schmunzeln erntete, hatte sie doch einen zentralen Kritikpunkt an der bisherigen Krisenpolitik der rot-grün-gelben Bundesregierung angesprochen: Per Gießkannenprinzip wird Geld an alle Bürger*innen, ob arm oder reich, verteilt, statt diejenigen gezielt zu unterstützen, die angesichts steigender Energie- und Lebensmittelpreise in existenzielle Not geraten.

Um die Bür­ge­r*in­nen zu entlasten, schnürt die Ampelkoalition ein Paket nach dem anderen. Bislang vor allem zugunsten der Wirtschaft und von Gutverdiener*innen. Die jüngsten Maßnahmen mit einem Gesamtvolumen von stattlichen 65 Milliarden Euro sollen nun die Fehler der Vergangenheit ausbügeln. Mit Einmalzahlungen für Rent­ne­r*in­nen und Studierende, einer Erhöhung des Kinder- und Wohngeldes, Steuererleichterungen und einer Strompreisbremse sollen auch armutsbetroffene Menschen in die Lage versetzt werden, Grundbedürfnisse wie Heizen, Essen und Miete noch bezahlen zu können.

Doch löst das Entlastungspaket sein Versprechen auch ein? Und vor allem: Ist es sozial gerecht? Auf den ersten Blick mutet es so an, schließlich werden ärmere Haushalte durch die Sozialtransfers tatsächlich entlastet. Bei genauerem Hinsehen entpuppen sich die Maßnahmen aber doch als sozial unausgewogen: So weisen Öko­no­m*in­nen darauf hin, dass bei der geplanten Steuerentlastung mehr als die Hälfte bei den oberen 20 Prozent ankommt – die nun wirklich keine Hilfe benötigen, um über den Winter zu kommen.

Auch gegen die größte Belastung der privaten Haushalte – die Gasrechnung – gibt es keine passgenauen Maßnahmen. Dabei hätte ein Gaspreisdeckel sowie ein Moratorium für Gas- und Stromsperren sicherstellen können, dass niemand im Dunkeln sitzen und frieren muss.

Das 9-Euro-Ticket war die sinnvollste Maßnahme

Auch die Einmalzahlungen sind kaum dazu geeignet, die Menschen von den steigenden Lebenshaltungskosten zu entlasten. Nicht nur, weil eine einmalige Geldspritze langfristig keine Probleme löst und 300 Euro nicht ausreichen, um die Preissteigerung bei Gas um bis zu 200 Prozent auszugleichen. Vor allem aber werden auch hier wieder pauschale Geldgeschenke auch denen gemacht, die sie gar nicht brauchen. Denn nicht alle Rent­ne­r*in­nen oder Studierenden brauchen finanzielle Unterstützung, einige von ihnen sind durchaus wohlhabend.

Es ist wie mit der Energiepauschale für Erwerbstätige: Warum sollte Bundeskanzler Olaf Scholz, der rund 30.000 Euro im Monat verdient, oder eine Top­ma­na­ge­rin mit Topgehalt steuergeldfinanzierte Unterstützung erhalten, während eine alleinerziehende Mutter von drei Kindern nicht weiß, wie sie ihren Einkauf bezahlen soll?

Sozial gerecht ist das nicht. Doch kann der Staat den Anspruch sozialer Gerechtigkeit überhaupt einlösen? Per Definition müsste er dann sicherstellen, dass die Lebensbedingungen, Chancen und Möglichkeiten für alle Menschen annähernd gleich sind. In einer kapitalistischen Gesellschaft, in der eine Minderheit die Mehrheit der Gesellschaft ausbeutet, ist das per se unmöglich. Doch auch ohne die Abschaffung des Kapitalismus kann der Staat zumindest eine Annäherung an dieses Ziel erreichen. Und Maßnahmen verabschieden, die soziale Ungleichheit abmildern und soziale Härten abfedern – statt diese wie durch die Gasumlage noch zu vergrößern.

Die einzige Krisenmaßnahme, die diesen Anspruch erfüllt hat, wurde nach nur drei Monaten wieder abgeschafft: Das 9-Euro-Ticket. Dadurch wurde allen, auch armen Menschen, Mobilität ermöglicht, die so vom sozialen Status entkoppelt wurde. Mit dem nun geplanten 49- oder 69-Euro-Ticket wird Mobilität wieder zu einem Privileg, das man sich leisten können muss. Dabei macht Spanien vor, wie es geht: Ein per Übergewinnsteuer finanziertes 0-Euro-Ticket für alle. Das ist das einzige Gießkannenprinzip, das wirklich hilft – der Umwelt und den Menschen.

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Leiterin taz Berlin und Redakteurin für soziale Bewegungen, Migration und soziale Gerechtigkeit. Schreibt in ihrer Kolumne "Pöbelmanie" über Klassenkampf aus der Perspektive eines Kindes der Arbeiter*innenklasse. Hat politische Theorie studiert, ist aber mehr an der Praxis interessiert.

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