Aggressionen im Landtagswahlkampf: Bespuckt, bepöbelt, ausgebuht

In Niedersachsens Landtagswahlkampf klagen Parteien über Übergriffe. Grüne und SPD verorten die Stö­re­r:in­nen in der Querdenken-Szene.

Stephan Weil redet vor Anhängern im Lister Turm Biergarten.

Wurde beim Wahlkampfauftakt gestört: Ministerpräsident Stephan Weil, hier nur mit An­hän­ge­r:in­nen Foto: Moritz Frankenberg/dpa

HANNOVER taz | Plötzlich nähert sich jemand von hinten, schwarz gekleidet, den Schlapphut ins Gesicht gezogen. Er reißt Flyer und Materialien vom Stand, rennt weg und wirft sie in den nächsten Mülleimer. So erinnert sich eine Wahlkampfhelferin an einen Vorfall am Stand der Grünen in der hannoverschen Innenstadt. In diesem Artikel möchte sie ­anonym bleiben – die kleinen Übergriffe hinterlassen bei ihr ein Gefühl der Unsicherheit.

In Niedersachsen wird am 9. Oktober gewählt, in der Landeshauptstadt sind die Parteien voll in Wahlkampfstimmung. Und nicht nur die Grünen berichten von Aktionen gegen ihre Wahlkampfstände. Die Vermutung: Quer­den­ke­r:in­nen mobilisieren gegen die Parteien.

„Ich war erst mal total verblüfft“, sagt die Grüne. „Wir waren anfangs nur zu zweit am Stand, später dann zu dritt.“ Sie habe nicht gewusst, wie sie auf den Angriff reagieren solle. Als der Mann etwa eine Stunde später noch einmal gekommen sei und die Aktion wiederholt habe, sei ihr Kollege hinter ihm hergelaufen. Erwischt habe er ihn aber nicht. Insgesamt sei die Stimmung an diesem Tag sehr aufgeheizt gewesen: „Wir wurden viel beschimpft. Das war schon krass.“

Der Kröpcke ist der zentralste Platz in Hannovers Innenstadt. An der großen Stehuhr treffen sich Menschen oder schlendern in die Geschäfte drumherum. Die Grüne hat hier auch in früheren Wahlkämpfen Stände betreut und mit Pas­san­t:in­nen gesprochen. Ihrem Eindruck nach haben die Anfeindungen, die sie dabei erlebt, in diesem Jahr eine neue Qualität.

Angriffe aus Querdenker:innen-Szene

Mathis Weselmann, Geschäftsführer des Stadtverbandes der Grünen in Hannover, bestätigt das: „Wir sehen Anzeichen dafür, dass die Angriffe aus der Querdenker-Szene kommen.“

„Kriegstreiber“ sei eine der häufigsten Beleidigungen. Gänzlich unbekannt sei der Partei ein solcher Gegenwind allerdings nicht. Früher hätten die Grünen oft Anfeindungen erlebt, sagt Weselmann. Da seien die vergangenen, ruhigeren Jahre fast eher eine Ausnahme gewesen.

Doch auch die SPD berichtet von Stö­re­r:in­nen bei ihren Wahlkampfveranstaltungen, die sie dem Spektrum der Quer­den­ke­r:in­nen zuordnet. „Im letzten Wahlkampf war das für uns kein Thema, es kommt aber nicht unerwartet“, sagt Vivien Werner, Pressesprecherin des niedersächsischen Landesverbandes der SPD. Wahlkämpfe in anderen Bundesländern hätten bereits erahnen lassen, dass es auch in Niedersachsen zu Protesten kommen könnte.

Die Störungen bezögen sich vor allem auf große Wahlkampfveranstaltungen, bei denen der niedersächsische Ministerpräsident Stephan Weil auftritt, und richteten sich weniger gegen ehrenamtliche Wahlkampfhelfer*innen.

Handyvideos zeigen eine solche Aktion beim Wahlkampfauftakt Weils im Biergarten „Lister Turm“ Ende August. Der Ministerpräsident tritt in Jeans und Poloshirt freundlich winkend auf die Bühne, wird dort ausgebuht und muss dann gegen „Weil muss weg“-Rufe anreden. Kritik sei legitim, sagte er. „Was nicht legitim ist, ist der Versuch, andere Meinungen niederzuschreien.“ Unter die mit roten Klatschpappen ausgestatteten SPD-Fans hatte sich eine größere Gruppe Quer­den­ke­r:in­nen gemischt. Die Polizei führte sie weg.

Erstmals Sicherheitsfirma engagiert

Die Proteste sind allerdings nicht auf Hannover beschränkt. „Wir bereiten uns immer darauf vor, vor allem um die Zuschauerinnen und Zuschauer bei unseren Veranstaltungen zu schützen“, sagt SPD-Pressesprecherin Werner. Für die Wahlkampfveranstaltungen in Niedersachsen hätten sie in diesem Jahr erstmals eine private Sicherheitsfirma engagiert, auch die Polizei sei immer vor Ort.

Anne Wellhöner, Pressesprecherin der Polizei, bestätigt, dass es zu Protesten gekommen sei, die aber „grundsätzlich friedlich“ abgelaufen seien. „Eine grundlegende Veränderung der Proteste im Vergleich zu vergangenen Wahlkämpfen ist aus polizeilicher Sicht nicht erkennbar.“

CDU und Grüne berichten dennoch von einer Zunahme an zerstörten Plakaten im Vergleich zu anderen Wahlkämpfen. Bereits Anfang August wurden Ehrenamtliche der CDU in Hannover beim Plakatieren angegriffen. In einer Nacht von Freitag auf Samstag hätten sie mit dem Plakatieren begonnen, sagt Jakob Wiedekind, Vorsitzender des CDU-Ortsverbandes Linden-Limmer. Dabei seien sie zu zweit unterwegs gewesen und von einer Gruppe junger Erwachsener erst beleidigt, dann angegriffen worden.

Mit Bierdosen beworfen

Nachdem Bierdosen nach ihnen geworfen wurden, hätten sie das Plakatieren abgebrochen. Dem Querdenken-Spektrum ordnet er den Angriff nicht zu, auch war vermutlich Alkohol im Spiel. Dennoch ist Wiedekind insbesondere darüber beunruhigt, dass solche Attacken Ehrenamtliche treffen, die sich demokratisch engagieren.

Das bereitet auch Greta Garlichs, der Vorsitzenden des Grünen-Stadtverbandes Hannover, Sorgen. Beim Wahlkampfauftakt der Grünen Ende August mit der Bundesvorsitzenden Ricarda Lang gab es eine Gegendemo – bei der es laut Garlichs zu einem tätlichen Angriff kam. Die Quer­den­ke­r*in­nen hätten „vehement gestört“ und sich unter die anwesenden Leute gemischt. Es sei zu Handgreiflichkeiten in der Menge gekommen. Das sei insbesondere für neue Mitglieder und interessierte Bür­ge­r*in­nen einschüchternd.

Zwar sei die Stimmung insgesamt gut, aber „es ist bedenklich und demokratiezersetzend, sollten sich Leute deshalb nicht mehr trauen, Wahlkampf zu machen“, sagt Garlichs. Erst vergangene Woche wurde sie selbst bei einem Wahlkampfstand am Lindener Marktplatz in Hannover angespuckt. Nur knapp habe sie der Angreifer verfehlt. Sie sagt, die Angriffe hätten in der Breite zwar nicht zugenommen, „die einzelnen Anfeindungen sind aber aggressiver geworden“.

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