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: „Wir werden mit unseren Eltern alt“

Buchvorstellung in Hamburg: Die Psychologin Anne Otto über das manchmal schwierige Erwachsenwerden innerfamiliärer Beziehungen

Foto: Silje Paul

Anne Otto Jahrgang 1970, ist zertifizierte Psychodramatherapeutin und arbeitet seit 2002 hauptberuflich als Journalistin, Autorin und Coach/psychologische Beraterin Mit Mann und Sohn lebt sie in Hamburg.

Interview Alexander Diehl

taz: Frau Otto, hat sich am Verhältnis zwischen Eltern und Kindern etwas verändert?

Anne Otto: Eigentlich ist es ein zeitloses Thema: Wie verstehen sich Eltern und Kinder? Aber der demografische Wandel ist schon etwas, das diese Beziehungen extrem verändert hat – weil sie einfach länger dauern. Ich zitiere im Buch Zahlen, zum Beispiel vom Sozialwissenschaftler Hans Bertram. Der sagt: Väter und Kinder hatten früher 15 bis 20 Jahre gemeinsam, heute sind es 60. Und bei den Müttern ist es wahrscheinlich noch mehr. Wir werden also mit unseren Eltern alt. Und das, glaube ich, ist eine neue Situation.

Eine Folge: Es gibt vermutlich kaum Vorbilder, bei denen erwachsene Kinder abschauen könnten, wie es funktionieren könnte, dieses andere Umgehen miteinander. Was tun?

Schwierig. Weil da natürlich jeder Einzelfall, jede Familie anders ist. Ich glaube aber, sich Vorbilder zu suchen, ist nicht der schlechteste Ansatz. Es gibt zwar vielleicht noch nicht so viele, in den Medien oder so, aber ja vielleicht ältere Freundinnen und Freunde, die Ähnliches schon erlebt haben – und vielleicht ja gangbare Lösungen gefunden. In den vergangenen 20 oder 30 Jahren ist man weggekommen von diesem Absoluten. Man sagt also nicht mehr ganz so selbstverständlich: Entweder betreue ich meine Eltern voll, bin immer für sie da und ermögliche ihnen alles – oder aber: Oh Gott, wahrscheinlich müssen sie ins Heim. Zwischen dieser Dichotomie gibt es viele Wege.

Die zu finden, also auch sich abzustimmen mit den Eltern: Das kann glimpflich verlaufen und zu einem Konsens führen. Aber da können auch sehr unterschiedliche Interessen aufeinandertreffen.

Ich glaube, es ist für beide eine Riesenherausforderung. Ich glaube auch, dass es wichtig ist, so frühzeitig wie möglich über diese Sachen zu sprechen – umso mehr, wenn man zum Beispiel schon weiß, dass die eigenen Eltern halsstarrig sind. Was für die alt werdenden Eltern schwierig ist: Sie müssen sich mit der eigenen Sterblichkeit auseinandersetzen; damit, dass sie nicht mehr so stark sind. Und dann müssen sie sich auch noch etwas sagen lassen von den eigenen Kindern! Das hat Potenzial für sehr viele Konflikte.

Spielt es eine Rolle, ob ich als erwachsenes Kind selbst Kinder habe?

Buchpremiere „Für immer Kind? Wie unsere Beziehung zu den Eltern erwachsen wird“ mit Anne Otto: Di, 13. 9., 19 Uhr, Hamburg, Körberforum.

Eintritt frei, Anmeldung erforderlich unter https://koerber-­stiftung.de/veranstaltungen

Das lässt sich so nicht verallgemeinern. Es gibt Forschungen, die nahelegen: Wenn man selbst Kinder hat, versteht man seine eigenen Eltern plötzlich besser, weil man nun mit ähnlichen Problemen zu kämpfen hat, wie sie es hatten. Aber ich finde, man sollte das nicht zu hoch hängen mit der Erfahrung, die angeblich aus der Elternschaft entsteht. Ich finde, Reife an sich, also sich bewusst erwachsen zu verhalten, gerade den eigenen Eltern gegenüber: Das ist der wichtige Punkt.

Für das Buch haben Sie Interviews geführt unter anderem mit nicht mehr ganz jungen Söhnen und Töchtern. Gibt es da Unterschiede zwischen den Geschlechtern?

Absolut. Und es ist eigentlich geradezu eine Gemeinheit, dass sich immer noch ganz überwiegend die Frauen und die Töchter und die Schwiegertöchter um das Thema kümmern. Es passiert ein ganz klein bisschen was, dass sich also auch Söhne mehr interessieren. Aber der Gender Care Gap ist einfach riesig – und er zieht sich durch: erst Kindererziehung, dann halbtags arbeiten und dann noch die Eltern oder Großeltern betreuen.