Probleme in Hamburger Feuerbergstraße: Notruf aus dem Kindernotdienst

Mitarbeitende des Kinder- und Jugendnotdienstes in Hamburg beklagen Überlastung und Überfüllung. Kinder würden in einer Turnhalle untergebracht.

Zwei Menschen fahren mit einem Fahrrad an einem Parkplatz vor einem großen Gebäude in roten Klindersteinen vorbei

Glücklich, wer nur dran vorbeiradelt: Kinder- und Jugendnotdienst in der Hamburger Feuerbergstraße Foto: Jannis Große

HAMBURG taz | Zum zweiten Mal innerhalb weniger Wochen erreichte die taz ein Hilferuf von Mitarbeitenden des Kinder- und Jugendnotdienstes (KJND) in Hamburg-Alsterdorf. „Wir können nicht mehr und hoffen, dass sie uns unterstützen“, schreiben die Beschäftigten, die anonym bleiben wollen. Der beim Landesbetrieb Erziehung (LEB) zuständige Abteilungsleiter habe schon das Handtuch geschmissen. „Wir stehen allein auf weiter Flur und wurden angewiesen, die Turnhalle mit Kindern zu befüllen.“

Es geht um das Gelände an der Hamburger Feuerbergstraße. Dort gibt es neben einem Mädchenhaus und einer Unterbringungshilfe für in Obhut genommen Kinder und Jugendliche eine Erstaufnahme für junge unbegleitete Ausländer (Uma) ab 8 Jahren mit 44 Plätzen. Vor allem dieser Bereich, das räumte der Hamburger Senat bereits ein, ist in Folge des Ukraine­kriegs und der Afghanistankrise seit Monaten überlaufen.

Der erste Hilferuf erreichte uns Anfang Juli. Die Erstaufnahme „platzt aus allen Nähten“, hieß es dort. Den verwahrten Kindern gehe es schlecht, die Lage sei prekär. „Und die Sozialbehörde unternimmt nichts. Selbst die Heimaufsicht wird von der Behördenleitung zum Stillschweigen verdonnert“, so der Brief. Die Heimaufsicht habe zunächst eine Überschreitung der Aufnahmezahl um einige Plätze erlaubt und – als auch diese Zahl überschritten wurde – einen Belegungsstopp auferlegt. Den habe die Aufsicht „auf Ansage der Behördenleitung“ zurücknehmen müssen und einen Maulkorb bekommen. Es gebe eine „Zwei-Klassen-Jugendhilfe mit absolut kindeswohlgefährdenden Tatbeständen“ in der Unterbringungshilfe. Es gebe im KJND viele Polizeieinsätze, da viel Gewalt herrsche. Wir sollten mit der Geschäftsführung sprechen.

Nur gehört der Landesbetrieb zur Sozialbehörde. Unsere Anfragen, so hören wir, sollen wir dort stellen. Behördensprecher Martin Helfrich beantwortete die Frage, ob es Beanstandungen der Heimaufsicht bezüglich der Uma-Erstaufnahme gab, ausweichend. Die Heimaufsicht sei vor Ort gewesen und habe die sehr hohe Auslastung „genehmigt“, erklärte er. Und auf Nachfrage, ob die Heimaufsicht einen Belegungsstopp verfügte und diesen auf Ansage der Behördenleitung zurücknehmen musste, schrieb Helfrich: „Die Behördenleitung war mit den diesbezüglichen Entscheidungen nicht befasst.“

Vor allem die Erstaufnahme für junge unbegleitete Geflüchtete ist seit Monaten überlaufen

Die Linken-Jugendpolitikerin Sabine ­Boeddinghaus hakte in der Sache nach Erscheinen eines Artikels über diesen Hilferuf in der taz mit einer schriftlichen Anfrage nach. Siehe da: Aus der Antwort geht hervor, dass die Heimaufsicht zwar im Juni für einen Monat die Aufstockung um zehn Plätze gestattete, aber mit Schreiben vom 23. Juni tatsächlich einen Aufnahmestopp aussprach, bis die genehmigte Zahl erreicht sei. Dieser „erlassene Aufnahmestopp“ sei dann am 5. Juli nach „rechtlicher Überprüfung der Sozialbehörde“ von der Aufsicht „zurückgenommen“ worden, schreibt der Senat. Insofern stimmte, was die Mitarbeitenden schrieben.

Der Senat argumentiert, dass die Stadt gezwungen ist, alle Kinder in Obhut zu nehmen, hier gibt es eine „Garantenpflicht“. Deshalb sei „temporär“ diese Ausweitung der Aufnahmekapazität des KJND „unumgänglich“. Neben dem Zustrom aus der Ukraine gebe es auch in Folge der Belastungen von Familien durch die Coronapandemie einen steigenden Bedarf an Inobhutnahmen der hier aufgewachsenen Kinder.

Und es seien weder geeignete Fachkräfte noch Räume „am Markt kurzfristig verfügbar“. Immerhin eröffnete der LEB am 3. August eine neue Uma-Folgeeinrichtung, um die Erstaufnahme des KJND zu entlasten. Darüber hinaus sei die Sozialbehörde mit den bezirklichen Jugendämtern im Gespräch, um den Aufenthalt der jungen Menschen im KJND „möglichst kurz“ zu halten.

Auch eine Quelle aus dem Umfeld der Mitarbeitenden sagt, dass die taz-Nachfragen „intern einiges bewegt“ hätten. Die Mitarbeitenden seien jetzt auch angehalten, Überbelegungen künftig gar nicht mehr der Heimaufsicht zu melden. Dass die Lage weiter prekär ist, geht auch aus weiteren Daten hervor, die die Linke abfragte. So wurden die – dürftigen – Betreuerstellen der Uma-Erstaufnahme zwar aufgestockt, sind aber zum Teil unbesetzt. Es gab längere Krankmeldungen und Ende August insgesamt 13 „Überlastungsanzeigen“ von KJND-Mitarbeitenden. Auch stieg die Zahl sogenannter „Vorkommnisse“ gegenüber dem Vorjahr an. Es gab allein zwölf Polizeieinsätze beim KJND und 97-mal war ein junger Mensch „entlaufen“.

Die Sozialbehörde schweigt

Die taz wollte von der Sozialbehörde wissen, ob es stimmt, dass die Überbelegung 50 Prozent beträgt und Betreute in der Turnhalle schlafen müssen. Außerdem wollten wir wissen, wie viele Plätze am 3. August zur Entlastung geschaffen wurden. Die Behörde antwortete diesmal nicht, obwohl sie fünf Tage Zeit hatte und mehrfach erinnert wurde.

Alle, auch die Sozialbehörde, seien angewiesen zu schweigen, schreiben uns die Hinweisgebenden. Dabei brauche man dringend Lösungen, um die Kinder woanders unterzubringen. Linken-Politikerin Boeddinghaus erwägt nun, das Thema im nächsten Familienausschuss der Bürgerschaft anzusprechen. Sie schlägt vor, eine „Krisenkonferenz“ zu machen, mit Behördenvertreten, Verbänden und freien Trägern, um gemeinsam kurzfristige Lösungen zu finden. Im Sinne der Kinder und Jugendlichen aber auch zum Erhalt der Gesundheit der Fachkräfte vor Ort, sagt sie, müsse man „schnellstmöglich Abhilfe schaffen“.

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