ZDF-Doku „Wahnsinnig schön“: Das bisschen Botox

Eine neue Doku über den Schönheitswahn zeigt, dass der Filter-Trend nicht in den sozialen Medien endet. Sie verpasst, über das Bekannte hinauszugehen.

Eine Frau mit Botox-Lippen und gelifteter Haut macht ein Spiegel-Selfie.

Der Film will dem Schönheitswahn den Spiegel vorhalten, doch liefert nur bekannte Plattitüden Foto: VPRO 2021

Spieglein, Spieglein an der Wand, wer ist die Schönste im ganzen Land? Mit der längst nicht mehr nur aus dem Märchen bekannten Frage beginnt die ZDF-Doku „Wahnsinnig schön – Der Kult ums Aussehen“ von Bregtje van der Haak. Der wenig einfallsreiche Einstieg zieht sich durch die in den Niederlanden produzierte Doku, die an vielen Stellen verpasst, über das Bekannte hinauszugehen.

„Du weißt, dass du eine schöne Frau bist?“, fragt der plastische Chi­rurg Tom Decats seine Patientin, bevor er ihr die „Krähenfüße“, das sind die kleinen Fältchen um die Augenpartie, wegspritzt. Früher habe er vor den Eingriffen gewarnt. Heute versucht er nur noch, bestmöglich zu beraten. Von den Eingriffen abzuraten, würde nur dazu führen, dass sie woanders unter schlechteren Bedingungen gemacht werden. Denn der Schönheitshype hat einen neuen Höhe­punkt erreicht.

Die zwei Zauberwörter lauten: Botox und Filler. Botox zum Straffen. Filler zum Aufpolstern. Gleich zu Beginn gelingt eine Bestandsaufnahme. Es wird gezeigt, wie weit verbreitet die Nutzung von Filtern in sozialen Netzwerken wie Instagram ist. Und dass der Filter-Trend längst nicht mehr nach dem Hochladen der Bilder endet. Immer mehr Menschen wollen aussehen wie auf den bearbeiteten Fotos.

Doch auch die besten Chir­ur­g*­in­nen können keine Filter in die reale Welt übertragen. Und das zum Leidwesen vieler, wie in den knapp 40 Minuten gezeigt wird. Denn aus der emotionalen Abhängigkeit – das eigene Ich gefiltert sehen zu wollen – ist auch eine finanzielle geworden: Influencer*innen, die Fol­lo­wer:­in­nen verlieren und Stars, die in Musikvideos ihre Kurven nur an den richtigen Stellen gebrauchen können.

Doku schneidet wichtige Aspekte oft nur an

„Wahnsinnig schön“ verspricht Einblicke in die Welt des Schönheitswahns in Zeiten sozialer Netzwerke. Sie wird diesem Versprechen zwar gerecht, streift wichtige Aspekte wie die Gefahren und Folgen des ständigen Strebens nach Schönheit jedoch oft nur. Und verharrt zu lange an Stellen, wo es schon andere Dokus vor ihr getan haben: bei Influencer*innen, Models und der Modeindustrie.

Keine Frage, dass sie es sind, die eine entscheidende Rolle in dem gesellschaftlichen Verständnis von Schönheit einnehmen. Dennoch bleiben die Erkenntnisse vorhersehbar: Die Norm in der Modelwelt ist schlank. Die Modelwelt ist zu wenig divers. Was fehlt: ein stärkerer Fokus darauf, dass die Problematik nicht nur auf den Laufstegen und in den OP-Sälen, sondern auch im Alltag stattfindet.

Auch Diskriminierung aufgrund des Aussehens wird nur vage genannt. Dabei hat sie einen Namen: Lookismus. In einer aktuellen Dokumentation über das Thema Aussehen müsste dies klarer benannt werden. Expertin und Soziologin Sylvia Holla verpasst nicht nur, Lookismus zu benennen, sondern auch, die Abwertung aufgrund des Aussehens intersektionell zu betrachten. Denn sie tritt zusammen mit anderen Diskriminierungsformen auf.

Sexismus und Rassismus sind nur einige Beispiele. Holla lässt diese Aspekte außen vor. Und merkt stattdessen an, dass das neue Schönheitsideal schlank und kurvig „für die weiße Frau“ schwerer zu erreichen sei. Von Schönheitsidealen zu sprechen, ohne Weißsein als europäisches Schönheitsideal zu benennen, wirft viele Fragen auf und wird erst wieder von einer Schwarzen Aktivistin aufgefangen. Diese weist zwar auf die Diskriminierung von People of Color hin, beschränkt sich aber leider größtenteils auf Modemagazine, die diverser werden müssen.

Die Doku suggeriert zudem in Gestalt von Soziologin Holla, das Schönheitsideal „schlank und dünn“ sei früher einfacher zu erreichen gewesen. Nämlich, indem man einfach auf das Essen verzichtete. Heute sei das aufgrund der Kurven schwerer. Den Leidensdruck und die Krankheitsbilder zu verkennen, die aufgrund von „einfach weniger essen“ entstehen, ist fatal. Die Dokumentation will dem Schönheitswahn den Spiegel vorhalten, entpuppt sich aber als Ansammlung von teils bedenklichen Plattitüden. Sie verpasst damit die Chance, einen wirklichen Mehrwert zu liefern.

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