Demokratie-Spielregeln in Hamburg: Schulpolitik ist abgeschafft

Eltern- und Lehrerkammer in Hamburg bemängeln, dass sie bei Bildungsplänen nicht mitreden sollen. Das liegt auch an der Abschaffung der Deputationen.

Stühle in einem Klassenzimmer stehen auf Tischen

Keine Anhörung, keine weitere Beteiligung – KritikerInnen der Bildungspläne können nach Hause gehen Foto: Sebastian Kahnert/dpa

HAMBURG taz | Schulpolitik in Hamburg – das gibt es nicht mehr. Oder wenn, dann in der Form, dass der Schulsenator etwas entscheidet und dann verkündet. Zu sehen ist dies beim Konflikt um die „Bildungspläne“, von denen die Kritiker sagen, sie wären ein Rückfall in die Lernkultur von vor hundert Jahren.

Obwohl es Kritik nicht nur von schulpolitischen Akteuren und Verbänden hagelt, sondern sogar von den regierenden Grünen, gibt es zu dem Thema nicht mal eine Anhörung im Schulausschuss. Mit ihrem Antrag dafür stand die Linke am Montag mutterseelenallein.

Das heißt, Schulsenator Ties Rabe (SPD) zieht sich jetzt zurück und entscheidet, was von den kritischen Stellungnahmen, die seit der Veröffentlichung der Entwürfe bei ihm eingetrudelt sind, berücksichtigt wird, bevor die Bildungspläne 2023 in Kraft treten. „Wir nehmen die Kritik ernst“, versprach er noch.

Lehrer-, Eltern- und Schü­le­r:in­nen­kam­mer begehrten in dieser Woche auf, weil Ties Rabe sie nicht mehr an der Erstellung der neuen Bildungspläne beteiligen will. Man habe sich konstruktiv mit den Entwürfen befasst, sagt der Lehrerkammervorsitzende Kai Kobelt. „Eine weiterführende Zieldiskussion war aber nicht erwünscht.“

Die „Depu“ war das Ohr in die Behörde hinein

Das sind diese drei Gremien anders gewöhnt. Bis vor Kurzem gab es in Hamburg die Schuldeputation, in der alle wichtigen Verordnungen, Lehrpläne und Personalien beschlossen wurden und in der der Senator – obwohl mit doppelten Stimmrecht – stets eine Mehrheit erreichen musste. Das war meist leicht, da die 15 Deputierten von den Parteien geschickt wurden – anlog zum Stimmverhältnis des Parlaments –, aber kein Selbstgänger. Und Lehrer-, Eltern- und Schü­le­r:in­nen­kam­mer konnten dort mitberaten und ihre Stellungnahmen vorstellen – und zwar auch kurz vor Schluss.

Die „Depus“ sollten dem Volk ermöglichen, an der Verwaltung mitzuwirken. Sie waren Ohr und Sprachrohr der Gesellschaft in die Behörden hinein, wie die Linken-Abgeordnete Carola Ensslen sagte. Und brachte ein Senator eine Vorlage nicht durch die „Depu“, zog er sie meist zurück. Aus der „Depu“ sickerte auch mal was an die Öffentlichkeit, etwa eine filzverdächtige Personalie.

Doch die Depus sind für alle Ressorts abgeschafft. Die rot-grüne Koalition nutzte gleich nach Regierungsbeginn 2020 ihre Mehrheit, um die Verfassung zu ändern und diese seit 500 Jahren bestehende Institution für alle Behörden zu vernichten. Zu aufwendig, bürokratisch und intransparent sei sie gewesen.

Und nun? Als Ersatz für die „Depu“ hat Ties Rabe einen „Beirat“ eingeführt. Dort sitzen nun vier Mal im Jahr je drei Mitglieder der Kammern direkt mit dem Senator im Gespräch – ohne Deputierte. Das sei sogar besser als das alte System, sagen die Kammer-Spitzen. Nur, schriftlich fixiert seien die Befugnisse, Kompetenzen und Aufgaben dieses Beirats nicht. Und Ties Rabe habe ihnen gesagt, dass die Bildungspläne im endgültigen Entwurf dort nicht noch einmal besprochen würden.

Es ist also eine Beteiligung nach Lust und Laune, „von Rabes Gnaden“, wie die Schulpolitikerin Sabine Boeddinghaus (Linke) sagt. Ein Gesetz oder eine Verordnung über die Rechte der Kammern in diesem Gremium gibt es nicht. „Einen Ersatz der Deputation und eine entsprechende Verortung im Schulgesetz hat der Gesetzgeber nicht vorgesehen“, sagt Rabes Sprecherin. Da der „Beirat“ ein neues „Dialogformat“ sei, sei ein Gesetz dafür nicht erforderlich.Aber besser wäre es vielleicht doch. Formfragen sind wichtig in der Demokratie.

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Jahrgang 1964, seit 1992 Redakteurin der taz am Standort Hamburg für Bildung und Soziales. Schwerpunkte Schulpolitik, Jugendhilfe, Familienpolitik und Alltagsthemen.

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