Handball Bundesliga beginnt: Auf der Jagd

Sechs Handballklubs aus dem Norden spielen erstklassig: Manche haben Chancen auf die Meisterschaft, andere forcieren den Klassenerhalt. Eine Prognose.

Ein Handball wurschtelt sich, den Ball in der Hand, durch die Abwehr

Geht entschlossen durch die Abwehrreihen: THW-Routinier Patrick Wiencek in einem Testspiel Foto: Dirk Reps/Imago

HAMBURG/BREMEN/HANNOVER taz | Der THW Kiel startet als Jäger in die neue Saison. So lautet zumindest das Framing des Vereins. Trainer Filip Jícha versucht, aus einer Niederlage eine Tugend zu machen. Vergangene Saison hat es für den THW nur für Tabellenplatz zwei gereicht – genug für einen der zwei begehrten Champions-­League-Plätze, aber zu wenig für die Meisterfeier auf dem Rathausbalkon.

Ob der THW in dieser Saison jubeln wird, wird sich schon in den ersten Wochen der neuen Saison entscheiden. Dann nämlich muss das Team – auf einigen Positionen frisch zusammengewürfelt – funktionieren, obwohl noch zwei der wichtigsten Spieler fehlen.

Hendrik Pekeler und Sander Sagosen, beide verletzt, seien gerade „hauptberuflich im Aufbautraining“, heißt es aus der THW-Pressestelle. Abwehrspezialist Pekeler – Achillessehnenriss – könnte im Dezember zurück sein, Spielmacher Sagosen – so kaputter Fuß, wie geht – wird wohl erst im neuen Jahr wieder zur Mannschaft stoßen.

Vier Neue sollen den THW vervollständigen: Im Tor reiht sich nun der tschechische Natio­naltorhüter Tomáš Mrkva hinter Welthandballer Niklas Landin ein. Bei einem Saisonvorbereitungsturnier hat er bereits gezeigt, dass er eine Verstärkung sein wird.

Auf der freien Sagosen-Position teilen sich nun drei Rechtshänder die Spielanteile: Dem ­österreichischen Nationalspieler Nikola Bilyk stehen ab dieser Saison die schwedischen Europameister Eric Johansson und Karl Wallinius bei; beide Champions-­League-erfahren, aber jung. Sie sollen über Jahre wichtige Säulen des Teams werden. Der Norweger Petter Øverby, einer mit ganz viel Erfahrung am Kreis und in der Abwehr, verspricht Stabilität.

Noch läuft die Saisonvorbereitung: zweimal am Tag Training. Tausende Wiederholungen. Dann geht es von null auf hundert im Dreitagesrhythmus mit den Pflichtspielen in der Liga und der Champions League los.

Als heißer Favorit wird der THW gerade nicht gehandelt – und damit höchstwahrscheinlich unterschätzt. In der Mannschaft gibt es genügend erfahrene Spieler wie Allrounder Domagoj Duvnjak, Kreisläufer Patrick Wiencek oder Kopf-durch-die-Abwehr Steffen Weinhold, die die neuen Teammitglieder ins Spielsystem einbinden können.

Gelingt der Start, gelingt auch die Saison. Kiel ist auf der Jagd. Prognose: Tabellenplatz 1 Andrea Maestro

Torsten Jansen steht zwischen seinen Spielern und macht eine Ansage

Ist auch für andere Themen als Handball ein guter Gesprächspartner: Torsten Jansen Foto: Markus Scholz/dpa

Dem HSV Hamburg fehlt das Überraschungsmoment

Zuhause in Poppenbüttel greift Torsten Jansen gern zur Gitarre. Er fährt auch lieber mit dem Rad als mit dem Auto. Und überhaupt ist der Trainer des HSV ein Mann, mit dem man über alles Mögliche gewinnbringend reden kann. Handball muss darin gar nicht vorkommen. Kann aber: „Wir sollten das erste Jahr nicht als selbstverständlich sehen“, sagt er. „Ein zweites Jahr in der Bundesliga – da wird uns manche Mannschaft nicht so sehr auf die leichte Schulter nehmen.“

26 Punkte sammelte Jansens Sieben in der Saison 2021/22 und wurde Vierzehnter – eine gute Bilanz, die erst zum Ende schwächer wurde, als der Klassenverbleib erreicht war. Nun sollen es Torwart Johannes Bitter und Co. mindestens wieder genauso gut machen, mit Tendenz zum einstelligen Tabellenplatz.

Das wird schwierig. Weil Jansens Einschätzung stimmt und weil der Umbruch beim HSV in vollem Gange ist. Viele der Aufstiegshelden sind gegangen, die den Weg von Liga 3 ins Oberhaus mitgemacht haben. Auch wenn einige von ihnen Bankdrücker waren: Ob darunter nicht der legendäre Zusammenhalt ­leidet? Von den Zugängen stechen zwei hervor – Dani Baijens, auch mal kurz in Flensburg, soll Leif Tissier als Regisseur entlasten. Linkshänder Jacob Lassen soll für mehr Druck aus dem rechten Rückraum sorgen.

Los geht es am 1. September gegen die SG Flensburg-Handewitt. Könnte leichter sein, aber wie sagt Jansen: „Wir müssen ja eh gegen alle spielen.“ Prognose: Tabellenplatz 14 Frank Heike

Eine Frau macht einen Sprungwurf, im Hintergrund die gegnerische Abwehr

Im Nordderby gegen den VfL Oldenburg: Liv Süchting vom BSV Buxtehude setzt sich durch Foto: Marco Wolf/dpa

Buxthuder SV: Die nächsten jungen Talente sind weg

Dirk Leun kann Nachwuchs. Der Trainer des Buxtehuder SV geht in sein 14. Jahr. Und wieder verlassen vier starke Spielerinnen den Verein, die hier groß geworden sind. Das ist nicht erst seit Emily Bölk die Buxtehuder Blaupause. Diesmal sind es Torhüterin Katharina Filter (die zuletzt Titel beim Beachhandball abräumte), Rückraumspielerin Annika Lott, Kreisläuferin Lisa Antl und Rechtsaußen Meret Ossenkopp. Filter, Lott und Antl debütierten im BSV-Trikot in der Nationalmannschaft. Das sind Verluste, die das Verantwortlichen-Team mit Leun und Manager Peter Prior erst einmal kompensieren muss.

Der Verein hätte alle vier Spielerinnen gern gehalten. Immerhin zeigen die Angebote und daraus resultierenden Abgänge aber, welch guter Ausbildungsverein der BSV geworden ist. Während Filter nach Kopenhagen geht, wechseln die anderen drei innerhalb der Liga.

Nach Platz drei in der Vorsaison und der Qualifikation für die European League werden sich die Buxtehuderinnen strecken müssen, um wieder mindestens einen Klub im Rennen um die Europapokalränge hinter sich zu lassen – wie zuletzt den Thüringer HC. Gelingen soll das mit Cara Hartstock am Kreis. Im Tor bildet die gebürtige Flensburgern Marie Andresen fortan das Duo mit Nationalspielerin Lea Rühter. Magda Kasparkova soll Lotts Lücke im Rückraum füllen. Wie der BSV die prominenten Abgänge verkraftet, wird sich bald zeigen. Prognose: Tabellenplatz 6 Frank Heike

Spieler der SG Flensburg Handewitt bilden einen Block und strecken die Arme in die Höhe

Werden wohl an der Tabellenspitze mithalten können: SG Flensburg-Handewitt Foto: Axel Heimken/dpa

Die SG Flensburg-Handewitt will zurück an die Spitze

Es war Balsam für die Seele der Fans der SG Flensburg-Handewitt, als vor einer Woche noch einmal ihre alten Idole wie Lars Christiansen, Anders Eggert oder Thomas Mogensen aufliefen, um in einem Showspiel Lasse Svan und Holger Glandorf vom Parkett der Hölle Nord zu verabschieden. Kurz konnte die Erinnerung an alte Triumphe die Enttäuschung der vergangenen Saison lindern, in der mit Platz vier erstmals seit Jahren die Champions League verpasst wurde. Eine Saison, die von so viel Verletzungspech geprägt war, dass sie kein wirkliches Bild von der Leistungsstärke des Kaders hinterlassen hat.

Für die neue Saison sind laut NDR Maßnahmen zur Verbesserung der medizinischen Betreuung getroffen worden. Im Kader selbst muss sich zeigen, ob die Neuzugänge auf den Außenpositionen August Baskar Pedersen und Johan Hansen die Weltklasse-Außen Svan (rechts) und Hampus Wanne (links) adäquat ersetzen können. Weitere Veränderungen gibt es auf der Kapitänsposition, wo Johannes Golla auf Svan folgt, sowie in der Geschäftsführung, wo Holger Glandorf auf dem Chefsessel Dierk Schmäschke ablöst.

Alles in allem ist das SG-Gebilde so stabil, dass es im zu erwartenden Vierkampf an der Liga-Spitze mithalten und in der European League um den Titel mitspielen kann. Aber nur, wenn Verletzungen von Leistungsträgern ausbleiben und die neuen Außenspieler einschlagen, ist die Rückkehr in die Champions League drin. Prognose: Tabellenplatz 2 Ralf Lorenzen

Konnten sich über die Qualifikation für die European League freuen: VfL Oldenburg Foto: Marco Wolf/dpa

VfL Oldenburg unter Doppelbelastung

Wer sich in die Website des VfL Oldenburg vertieft, erfährt jede Menge Geschichten aus der 100-jährigen Geschichte des Handballs in dem Klub, dessen Aushängeschild spätestens seit dem ersten Bundesligaaufstieg 1980 die Handballerinnen sind. Drei DHB-Pokalgewinne, einige Vizemeisterschaften, ein europäischer Challenge Cup sowie Platz 5 in der ewigen Bundesligatabelle stehen zu Buche. Aber nie musste das Team seit dem Wiederaufstieg 1999 so zittern, wie in der vergangenen Saison. Der Klassenerhalt wurde erst am vorletzten Spieltag gesichert.

Gleichzeitig knüpfte das Team mit dem Erreichen des DHB-Pokalfinales an alte Erfolge an und beschert der Anhängerschaft vor Saisonbeginn eine Stimmungslage zwischen Euphorie und Bangen. Gleich zu Beginn steht mit dem Supercupfinale gegen die Double-Gewinnerinnen der SG BBM Bietigheim in der heimischen EWE-Arena ein Highlight an. Personell ist die Decke allerdings so dünn, dass, nach den Verletzungen der Linksaußen Jane Martens und Lana Teiken, die vor drei Jahren zurückgetretene Kim Birke bis Ende Oktober einspringen muss.

Viel darf nicht mehr passieren, damit der kaum veränderte Kader der Doppelbelastung durch die European League standhält. Neu im Team sind lediglich Kreisläuferin Lena Feiniler sowie Torfrau Sophie Fasold, die Julia Renner ersetzt, die ihre Karriere nach 17 Jahren in Oldenburg beendet hat. Qualität und Erfahrung sollten für die Rückkehr ins gesicherte Mittelfeld reichen. Prognose: Tabellenplatz 9 Ralf Lorenzen

Im Vordergrund fängt ein Spieler den Ball, Christian Prokop steht im Hintergrund und feuert das Team an

Macher an der Seitenlinie: Christian Prokop trainiert die Recken Foto: Swen Pförtner/dpa

Die Recken haben einen neuen Kapitän

Nennen wir es einen Umbruch. Und zwar einen mit Wumms. Selten war im Spielerkader der TSV Hannover-Burgdorf so viel Veränderung auf einmal. Der Sportliche Leiter Sven-Sören Christophersen nutzt als Ex-Profi sein Netzwerk, um einem Team mit begrenzten finanziellen Möglichkeiten neue Chancen zu eröffnen.

Dafür eignen sich Neuzugänge wie der Montenegriner Branko Vujović bestens. Der 24-jährige Linkshänder hat beim polnischen Klub Łomża Industria Kielce sogar in der Champions League gespielt. Ebenso der neue Kapitän des Teams, Rechtsaußen Marius Steinhauser. Den konnte der Verein von der SG Flensburg-Handewitt weglocken. Das macht in Hannover Mut.

Mit sechs Neuzugängen in die Saison 2022/23 zu starten, klingt fast nach zu viel Veränderung auf einmal. Aber die TSV Hannover-Burgdorf findet immer wieder neue Lösungen. In der Vergangenheit mussten Abgänge begnadeter Spieler wie Kai Häfner, Fabian Böhm, Morten Olsen oder Timo Kastening verkraftet werden. Der Wechsel vom spanischen Top-Trainer ­Carlos Ortega zum FC Barcelona ebenfalls.

Dass der TSV Hannover-Burgdorf – einst aus dem Vorstadtverein TSV Burgdorf hervorgegangen – schon seit 2009 in der 1. Liga spielt, verdient Respekt. Mit Christian Prokop als Chefcoach gibt seit 2021 immerhin der Ex-Bundestrainer den Ton an. Für die neue Saison tun sich derweil unerwartete Probleme auf: Wie es gelingen wird, die riesige ZAG-Arena (bezahlbar) zu beheizen, ist offen. Prognose: Tabellenplatz 9 Christian Otto

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