Vor dem CDU-Parteitag in Hannover: Gute Miene

Merz versprach der CDU „starke Führung und klaren Kurs“. Offen ist, ob die Partei ihm bei der Frauenquote folgt. Es geht auch um seine Autorität.

CDU-Parteichef Friedrich Merz lächelt

Will den neoliberalen Blackrocker hinter sich lassen: CDU-Chef Friedrich Merz Foto: Christoph Soeder/dpa

BERLIN taz | Vermutlich dachte man in der Union, es sei ein starkes Bild, wenn Friedrich Merz im Rahmen der Fraktionsvorstandsklausur die Presse auf der Zugspitze zum Statement lädt. Ganz oben, auf Deutschlands höchstem Berg, das Land klar im Blick. Doch als der CDU-Vorsitzende, ohnehin durch einen Schlüsselbeinbruch beeinträchtigt, in der vergangenen Woche auf 2.000 Meter Höhe gemeinsam mit CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt aus der Gondel steigt, steht er im Nebel. Wohl nicht genau das, was sich die Union vorgestellt hat – und so leicht übertragbar auf die Partei. Denn auch bei der CDU ist bestenfalls schemenhaft: Wofür steht die Partei? Wo will sie hin? Und wohin steuert ihr Vorsitzender?

Das Profil der CDU ist in den acht Monaten, in denen Merz an ihrer Spitze steht, nicht viel klarer geworden. Zwar hat sich die Bundestagsfraktion langsam in die Oppositionsrolle eingefunden. Auch macht Merz, der kurz nach seiner Wahl zum Parteichef auch den Fraktionsvorsitz an sich gezogen hat, in Plenardebatten, mal spitz und treffsicher, mal polemisch, unsachlich und schlicht falsch, manchen Punkt. Mitunter schafft er es sogar, wie gerade am Mittwoch, den sonst so nüchternen Kanzler aus der Reserve zu locken. Auch gelingt es ihm, die Konflikte innerhalb der Ampelkoalition fest im Blick, diese vor sich herzutreiben. Doch meist bleibt es bei Kritik.

Eigene Vorstellungen und Konzepte hört man aus der CDU kaum. Dabei war „starke Führung und klarer Kurs“ das, was Merz seiner Partei nach dem Debakel bei der Bundestagswahl versprochen hat: Mit ihm gebe es endlich wieder Kanten und Kontur, Ideen und Inhalte. Die Partei sollte Konzepte für die Zukunft entwickeln. Bislang aber ist da nicht viel. Ein neues Grundsatzprogramm soll zur Europawahl in zwei Jahren fertig sein.

Am Freitag kommt in Hannover für knapp zwei Tage der Bundesparteitag der CDU zusammen, es ist der erste ­Präsenzparteitag seit langer Zeit – und der erste Parteitag mit Merz als Chef. Von dem Treffen soll, nach Jahren mit Personalquerelen, zwei gescheiterten Bundesvorsitzenden und der Niederlage bei der Bundestagswahl, ein Zeichen von Geschlossenheit und Sacharbeit ausgehen. In Zeiten von Krieg, drohendem Energienotstand und ­Wirtschaftskrise, so heißt es in der Partei, wäre außerhalb auch alles andere schwer vermittelbar. Und: Anfang ­Oktober wird in Niedersachsen der Landtag neu gewählt. Der Landes-CDU, derzeit noch Teil einer Großen Koalition, droht der Gang in die Opposition – sie kann Rückenwind gut gebrauchen.

Wird sich die CDU eine Frauenquote geben?

Doch einfach wird das mit der Geschlossenheit nicht. Zwar will die Parteispitze die Debatte über den Leit­antrag für „sichere Energie und starke Wirtschaft“ gern ins Zentrum der öffentlichen Aufmerksamkeit rücken. Der Antrag, der recht kurzfristig erstellt und erst am Mittwochabend zur Verabschiedung an die Vorstands­mitglieder verschickt wurde, soll am Freitag­nachmittag vom Parteitag diskutiert werden, zur Primetime sozusagen – und entschlossene und einvernehmliche Bilder für die Nachrichten liefern.

Doch auf der Tagesordnung stehen auch Themen, bei denen die CDU mit sich ringt. Soll in der Grundwerte-Charta, die eine Art Fundament für das neue Grundsatzprogramm werden soll, die Gleichstellung von Männern und Frauen verankert werden? Versteht sich die CDU als bürgerliche Partei? Will sie ein verpflichtendes Dienstjahr für alle einführen? Und, das Thema mit dem größten Spaltpotenzial: Wird sich die CDU eine Frauenquote geben?

Genau diese Frage könnte für Friedrich Merz zum Problem werden.

In der Partei ist so mancher vom neuen Parteichef enttäuscht, auch wenn das niemand offen äußern will. Es sind weniger die, die sich sorgten, Merz könnte der Partei eine Rolle rückwärts verordnen. Es sind eher die bislang hundertprozentigen Merz-Fans. Die den Sauerländer zu einer Art konservativem Heilsbringer stilisierten, der die Partei auf den rechten Weg zurückbringen wird. Sie sind der Ansicht, dass Merz nicht liefert.

Was stimmt: Seitdem er an Spitze der CDU steht, versucht Merz, sich ein neues Image zu geben; es scheint, er will den neoliberalen Blackrocker mit viel Arroganz und wenig Empathie abstreifen. Mit seiner neuen Brille wirkt er weicher. Auf einem Video sieht man, wie er grinsend auf einem Sommerfest zu „Lady Bump“ tanzt. Und in der Bunten hat er gemeinsam mit seiner Frau in einem Doppelinterview über Wandern und Bügeln geredet. Auffällig viel spricht er über Sozialpolitik; „Lieber 1.000 Euro für Einkommen im unteren Drittel als 300 für jeden“ ist einer seiner Lieblingssätze derzeit. Als Generalsekretär hat er Mario Czaja gewählt, Sozialpolitiker und Mitglied in der CDA, dem Sozialflügel der Partei. Und dann, so sehen es manche, ist der Parteichef auch noch bei der Frauenquote gekippt.

Es fehlen Frauen auf allen Ebenen – vor allem Wählerinnen

Die Quote ist in der CDU ein höchst aufgeladenes Thema, man kann es einen parteiinternen Kulturkampf nennen. Die einflussreiche Mittelstandsvereinigung und die Junge Union laufen Sturm gegen die Einführung, ein Gegenantrag für den Parteitag hatte in Windeseile Hunderte Un­ter­stüt­ze­r:in­nen aus der Mitgliedschaft.

Am Freitagnachmittag sollen die Delegierten des CDU-Parteitags über den Leitantrag mit dem Titel „Klarer Kurs für sichere Energie und eine starke Wirtschaft“ entscheiden. Der zehnseitige Entwurf, der der taz vorliegt, sollte am Donnerstagnachmittag zunächst vom Bundesvorstand beschlossen werden.

Gefordert wird die Einführung eines Strom- und Gasdeckels für den Grundbedarf privater Haushalte. „Als Gas-Grundbedarf sollen 75 Prozent des Vorjahresverbrauches gelten und hierfür ein Preis von 12 Cent pro Kilowattstunde garantiert werden“, heißt es in dem Entwurf. Mit einem Preisdeckel würden Menschen mit kleinem und mittlerem Einkommen überproportional entlastet.

Die von der Bundesregierung beschlossene Energiepauschale in Höhe von 300 Euro sei angesichts der stark steigenden Energiepreise für Menschen mit geringem und mittlerem Einkommen zu niedrig. „Haushalte im unteren Einkommensdrittel [sollten] mit einer 1.000-Euro-Energiepauschale unterstützt werden.“

Für die nächsten sechs Monate wird außerdem ein Moratorium für alle privaten Strom- und Gaslieferverträge verlangt.

Um das Energiesparen zu fördern, wird zudem die Einführung von „Energie-Bürgergutscheinen“ für alle privaten Haushalte gefordert, die Energie sparen. „So könnte beispielsweise jede im Vergleich zu 2021 eingesparte Kilowattstunde Gas belohnt werden“, heißt es in dem Papier.

Zudem sollten Bürgerinnen und Bürger einen Handwerkergutschein in Höhe von 100 Euro erhalten, wenn sie ihre Heizungsanlagen noch in diesem Jahr auf Effizienz überprüfen lassen.

Die CDU fordert zudem eine Aufhebung der Gasumlage. Stattdessen sollten insolvenzgefähr­dete Gasimporteure gezielt unterstützt werden, sofern dies für die Versorgungssicherheit nötig sei.

Stadtwerke sollen mit Liquiditätshilfen vor der drohenden Insolvenz geschützt werden. Das gleiche gilt für Unternehmen, deren Existenz durch die steigenden Energiepreise gefährdet ist.

Neben dem Wiederanfahren von Braun- und Steinkohlekraftwerken aus der Netzreserve sollen nach Ansicht der CDU alle drei noch laufenden AKWs weiter in Betrieb bleiben. An den Grundsatzbeschlüssen zum Ausstieg aus der Kohle und Kernenergie aber halte man fest. (sam)

Die CDU hat ein veritables Frauenproblem, es fehlen Frauen auf allen Ebenen – und vor allem die Wählerinnen. Merz, der früher als Quotengegner galt, hat erkannt, dass sich dies ändern muss, will die CDU zurück an die Macht gelangen. Er spricht weiter davon, dass die Quote nur „die zweitbeste Lösung“ sei, doch eine bessere hat er nicht gefunden. Jetzt hat er sich hinter das gestellt, was sperrig „der Vorschlag der Satzungs- und Strukturkommission“ heißt, also eine stufenweise Einführung einer 50-prozentigen Frauenquote.

Das Ganze ist weichgespült und soll zunächst auf fünf Jahre begrenzt werden, Merz aber hat damit die Einführung der Quote zu seiner Sache gemacht. Und die könnte scheitern. In der Partei heißt es unisono, dass die Abstimmung knapp werde. Spricht sich der Parteitag gegen die Quote aus, wäre das für Merz ein Dämpfer. Er hätte seine Partei bei der ersten Kampf­abstimmung nicht hinter sich.

Während sich ein Teil der Partei an Merz’ neuem Image reibt, scheint dieses nach außen bislang wenig zu verfangen. Zwar kann die CDU in den vergangenen Monaten durchaus Erfolge vorweisen, sie hat die Wahlen in Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen klar gewonnen, Daniel Günther und Hendrik Wüst regieren dort jetzt mit den Grünen. Auch die Umfragen im Bund sind gut, die Union liegt seit Wochen klar auf Platz eins.

Auf der Suche nach dem richtigen Weg

Nur schlägt das nicht auf den Parteichef durch, den sein Generalsekretär bei einer internen Veranstaltung schon zum nächsten Kanzlerkandidaten ausgerufen haben soll. Viel spricht dafür, dass Merz nach der Kandidatur greifen wird, es ist die letzte Chance des 66-Jährigen. In den Beliebtheitswerten aber liegt er bislang stabil hinter den grünen Mi­nis­te­r:in­nen Robert Habeck und Annalena Baerbock, im Regelfall auch hinter Scholz. Im letzten Politbarometer hat er zuletzt von 10 abgefragten Po­li­ti­ke­r:in­nen Platz 9 belegt, nur Sahra Wagenschnecht hat schlechter abgeschnitten.

Ein lang gehegtes Image lässt sich eben nicht so schnell abstreifen. Zumal die Frage ist, wer denn eigentlich der echte Merz ist.

Denn immer wieder kommt der alte durch. Etwa wenn im Bundestag ­Annalena Baerbock über feministische Außenpolitik spricht und Merz dies mit einem übertriebenen Griff ans Herz lächerlich zu machen versucht – und an dem Konter der Außenministerin scheitert. Wenn er zur Hochzeit von Finanzminister Christian Lindner mit dem Privatflieger anreist und behauptet, dass dies im Vergleich zum Minister-Dienstwagen umweltfreundlicher sei. Was nicht stimmt, wie mehrere Medien errechnet haben. Wenn ihm das „ich“ viel zu oft über die Lippen kommt. Oder wenn er plant, gemeinsam mit einem Trump-Vertrauten, dem US-Senator Lindsey Graham, bei einer Veranstaltung aufzutreten, organisiert von der rechten Plattform „The Republic“, die in Form und Inhalt stark an die AfD erinnert.

Als an der Veranstaltung scharfe Kritik aufkam, sagte Merz seine Teilnahme mit der Begründung wieder ab, dass weitere Teilnehmer AfD-nah seien. Aus der CDU hört man, es habe ein Gezerre um die Veranstaltung gegeben, Merz’ neuer Büroleiter musste im Anschluss gleich wieder gehen.

Auch das zeigt: Die Kämpfe um den Kurs der CDU sind in vollem Gang. Und auch Merz steht noch im Nebel – und ist auf der Suche nach dem richtigen Weg.

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