Rechte Proteste wegen Preissteigerungen: Hoffnung auf linke Unterstützung

Rechtsextreme hoffen, sich mit Linken verbünden zu können, um den Staat wegen steigender Preise zu destabilisieren. Aber die Linken ziehen nicht mit.

Jürgen Elsässer spricht auf einer Demonstration der rechtsextremen Freien Sachsen gegen die Energie- und Sozialpolitik der Bundesregierung auf dem Augustusplatz in Leipzig.

5. September in Leipzig: Jürgen Elsässer spricht auf einer Demo der Rechten – die Linken kamen nicht Foto: dpa | Jan Woitas

Der mediale Sound scheint einhellig: Rechte und Linke gehen wegen steigender Lebensmittel- und Energiekosten auf die Straße. Ein heißer Herbst droht anlässlich kalter Wohnungen, eine explosive Stimmung folgt auf explodierende Preise. Eine Querfront von Rechten und Linken bahnt sich an, wird auch nach dem vergangenen Sonntag und Montag weiter kolportiert. An den Tagen marschierten aber weder in Hamburg noch in Leipzig Linke und Rechte bei einer gemeinsamen Demonstration auf.

In Norddeutschland hatten verschiedene rechte Netzwerke zu Protesten aufgerufen. Nach dem Vorbild der rechtsextremen Freien Sachsen versuchten sie die drohenden sozialen Spannungen zu instrumentieren. Eine Demonstrationsankündigung der Freien Sachsen suggerierte, dass Gregor Gysi von der Linken gemeinsam mit Jürgen Elsässer vom rechtsextremen Compact-Magazin als Redner auftreten würde. Bei den Protesten kamen aber keine linke Organisation zusammen.

In Hamburg versammelten sich unter dem Motto „Es reicht! Wir haben keinen Bock auf Armut“ rund 300 Demonstrierende. Den Aufmarsch verantwortete Tom Naumann. Der Angestellte der Hamburger Polizei hat schon Querdenken-Demonstrationen angemeldet. Die Polizei leitete 2020 seine Entlassung wegen der Nähe zur Reichsideologie ein. Die Kündigung akzeptierte Naumann nicht und klagt dagegen. Er sieht sich auch nicht als Reichsbürger. Auf der Demonstration entwickelte er sogleich eine neue Selbstbezeichnung: „Wir sind keine Reichsbürger, wir sind Es-reicht-Bürger!“

Es marschierten viele Rechtsextreme mit, darunter der NPD-Kader Torben Klebe, sowie Markus Haintz, prominenter Anwalt von Querdenkenden. Aus dem Tross erfolgten prompt die gewohnten Positionen gegen „Cancel Culture“ und „Genderschwachsinn“. Statt linker Beteiligung kam es vielmehr zu einem kleinen Protest von Antifaschist*innen. „Lächerlich“ war ein Kommentar auf einem Plakat des Gegenprotestes.

Teilnehmende bekannt von Querdenken-Demos

„Fast alle Teilnehmenden sind von den Querdenken-Demos bekannt“, stellte „Antira Info Hamburg“ fest. Das Netzwerk beobachtete regelmäßig die Proteste der Querdenken-Bewegung an der Elbe.

Die Idee der Querfront hatten rechte Stra­te­g*in­nen aber auch selbst befeuert. Nicht bloß die Freien Sachsen hoffen, mit der Hinwendung zu sozialen Themen neuen Zuspruch und Zulauf zu gewinnen. Gleiches gilt für Teile der AfD. Das rechte Institut für Staatspolitik und das Compact-Magazin hoffen darauf, sich in den Positionen und Diskussionen von Sahra ­Wagenknecht zu verbinden. Sowohl Compact-Herausgeber Jürgen Elsässer als auch Björn Höcke (AfD) schwärmen von der Bundestagsabgeordneten der Linken.

Doch in der Linken vertreten nur Einzelne die Position, dass sie überzeugte AfD-Wähler:innen nicht hinausdrängen würden, wenn diese sich dem linken Protest gegen sozialen Verwerfungen ­anschließen wollen. Und selbst diese Personen würden keine rechtsextremen Funk­ti­ons­trä­ge­r:in­nen auf eine Bühne einladen, heißt es aus der ­Partei.

Richtigstellung: In einer früheren Version dieses Textes fand sich eine missverständliche Formulierung, die man so lesen konnte, als würden wir Markus Haintz ebenfalls zu den Rechtsextremen zählen. Wir haben die Stelle vereindeutigt und bedauern den Irrtum. Die Redaktion

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Rechtsextremismusexperte, Jahrgang 1966. In der taz-Nord schreibt er seit 2005 die Kolumne „Der Rechte Rand“. Regelmäßig hält er Vorträge bei NGOs und staatlichen Trägern. Für die Veröffentlichungen wurde er 2007 Lokaljournalist des Jahres und erhielt den Preis des Medium Magazin, 2008 Mitpreisträger des "Grimme Online Award 2008" für das Zeit-Online-Portal "Störungsmelder" und 2012 Journalisten-Sonderpreis "TON ANGEBEN. Rechtsextremismus im Spiegel der Medien" des Deutschen Journalistenverbandes und des Ministeriums für Justiz und Gleichstellung des Landes Sachsen-Anhalt. Letzte Bücher: herausgegeben: Das Netzwerk der Identitären - Ideologie und Aktionen der Neuen Rechten (2018), Die Entkultivierung des Bürgertum (2019), mit Andrea Röpke: Völkische Landnahme -Alte Sippen, junge Siedler, rechte Ökos (2019) mit Jena-Philipp Baeck herausgegeben: Rechte EgoShooter - Von der virtuellen Hetzte zum Livestream-Attentat (2020), Verqueres Denken - Gefährliche Weltbilder in alternativen Milieus (2021).

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