kritisch gesehen
: Irrlichterndes Bürgertum

Die erste Saison, die nicht mehr gänzlich im Bann von Pandemie und -bekämpfung steht, eröffnen viele Theater mit Stücken, die eher kein Wagnis darstellen. Diese sicheren Bänke sind nicht überall dieselben. So entdecken manche Bühnen Shakespeare wieder, das Hamburger Ernst Deutsch Theater setzte jetzt auf einen etwas jüngeren, aber ebenfalls kanonischen Stoff: Henrik Ibsens „Gespenster“.

Das Privattheater, bundesweit größtes seiner Art, ist vor Ort durchaus etabliert und weiß um seine Stärken – und wohl auch darum, womit es sich und seine Möglichkeiten überfordern würde. Es kann dabei auf treues Publikum zählen: Am vergangenen Donnerstag trafen sich viele wieder, die erkennbar schon manche Stunde zusammen verbracht haben in dem einstigen UfA-Kinosaal. Aber es waren längst nicht alle der knapp 750 Plätze besetzt, was nicht nur mit denen zu tun hatte, die man Corona geschuldet immer noch frei lässt.

Geboten wurde eine nur sachte aktualisierte Bearbeitung des 1882 uraufgeführten Dreiakters über großbürgerliche Abgründe. Da wird das im Text errichtete Asyl zum Flüchtlingsheim, und den „Blättern und Zeitschriften“, von denen er sich üble Anwürfe erwartet, fügt Pastor Manders (Christian Nickel) die Heutigkeit signalisierenden „sozialen Medien“ hinzu; die Bücher, über die er die Nase rümpft, sind nun unter anderem von Eva Illouz und Rebecca Solnit. Der Regen prasselt von der Festplatte, Sonne und Fjord werden videoprojiziert. Gelegentlich soll Lukas Kideischs Musik klarmachen, was zu zeigen des Spiels Aufgabe wäre.

Gleich geblieben ist die Geschichte um den toten Vater und seinen irre werdenden Sohn (leicht überagierend: Janek Maudrich); die ihm beinahe verfallende Halbschwester (Helen Barke) und die Witwe, die alles zusammenhalten soll (Katharina Abt, das Powerhouse des Abends). Dem Drama stellt Regisseur Christoph Tomanek eine Pseudo-Familienaufstellung voran: Zwei vermeintlich Freiwillige – Abt und Maudrich – posieren als Pietà: Maria, die Schmerzensmutter, den Leichnam Jesu im Schoß. Es ist das einzige Mal, dass diese Inszenierung sichtlich zur Kenntnis nimmt: Da sitzen Menschen im Saal und sehen zu; ein Hauch Meta inmitten ansonsten unangetasteten Illusionswillens.

„Gespenster“ lässt sich maximal düster angehen, ja: apokalyptisch. Diese Inszenierung will trotz allem vielmehr unterhalten, auch durch eingeworfen Komödiantisches. Kann man machen, kann funktionieren. Aber wie da die Tonarten aufeinandertreffen, das gefiel jetzt auch nicht restlos allen im Publikum. Alexander Diehl

Nächste Termine: 6., 7., 8. + 9. 9., jeweils 19.30 Uhr, Hamburg, Ernst Deutsch Theater