Kein Gas mehr durch Nord Stream 1: Putin macht Westen verantwortlich

Der Kreml weist die Schuld am Ende der Gaslieferungen durch Nord Stream 1 zurück. Die Bundesnetzagentur sieht kein akutes Problem – mahnt aber.

Mecklenburg-Vorpommern, Lubmin: Rohrsysteme und Absperrvorrichtungen in der Gasempfangsstation der Ostseepipeline Nord Stream 1

Jetzt kommt nichts mehr an: Gasempfangsstation von Nord Stream 1 in Lubmin Foto: Stefan Sauer/dpa

BERLIN taz | Ganz überraschend war die Nachricht nicht. Gazprom wolle nach dem Ende der dreitägigen Wartungsarbeiten die Gaslieferungen über die Pipeline Nord Stream 1 einstweilen nicht wieder aufnehmen, meldete der russische Staatskonzern am Freitagabend. In Europa hatte man das nach mehreren leidvollen Erfahrungen mit russischen Lieferunterbrechungen bereits befürchtet.

Gazprom begründete den Schritt mit dem Austritt von Öl in der Kompressorstation Portovaya. Am Sonntag gab der Kreml der EU die Schuld für den Lieferstopp. Wenn die Europäer sich weigerten, ihre Anlagen zu warten, sei „das nicht die Schuld von Gazprom, sondern die Schuld der Politiker, die Entscheidungen über Sanktionen getroffen haben“, sagte Dmitri Peskow, Sprecher von Wladimir Putin, im Staatsfernsehen.

Nach Peskows Angaben sind die Europäer vertraglich zur Wartung der Anlage des russischen Energieriesens Gazprom verpflichtet. Die Politiker im Westen sorgten nun dafür, „dass ihre Bürger Schlaganfälle erleiden, wenn sie ihre Stromrechnungen sehen“, meinte Peskow mit Blick auf die rasant gestiegenen Energiepreise. „Jetzt, wo es kälter wird, wird die Situation noch schlimmer werden.“

Die Bundesnetzagentur hält diese Aussagen einmal mehr nur für einen Vorwand: „Die von russischer Seite behaupteten Mängel“ seien „technisch kein Grund für die Einstellung des Betriebs“, schrieb die Aufsichtsbehörde am Samstag. Auch der Turbinenbauer Siemens Energy erklärte, die Abdichtung solcher Leckagen sei ein Routinevorgang bei Wartungsarbeiten. Zudem stünden in der Verdichterstation ausreichend Turbinen für einen Betrieb der Pipeline zur Verfügung.

Weiter wird eingespeichert

Obwohl nun kein Erdgas mehr über Nord Stream 1 kommt – zuletzt waren die Kapazitäten ohnehin nur noch zu 20 Prozent ausgeschöpft worden –, speicherte Deutschland auch in den vergangenen Tagen noch Gas ein. Allerdings weniger. Am Donnerstag, dem ersten Tag des Lieferstopps, erhöhte sich der Füllstand der deutschen Speicher weiter um knapp 0,3 Prozentpunkte. Weil im August die tägliche Erhöhung des Füllstands zeitweise bei über 0,6 Prozentpunkten gelegen hatte, sind die Speicher aktuell zu 85 Prozent befüllt – ein Stand, der ursprünglich erst für den 1. Oktober angepeilt war.

Das Bundeswirtschaftsministerium wollte den jüngsten Vorfall nicht kommentieren. Allerdings habe man „die Unzuverlässigkeit Russlands in den vergangenen Wochen bereits gesehen“. Entsprechend habe das Ministerium seine „Maßnahmen zur Stärkung der Unabhängigkeit von russischen Energieimporten unbeirrt und konsequent fortgesetzt“.

Vor allem die Anlieferungen von Flüssigerdgas (LNG) per Tankschiff liegen weiterhin auf sehr hohem Niveau. So wurden zum Beispiel in der vorvergangenen Woche allein 2,4 Milliarden Kubikmeter LNG in der EU angeliefert, mehr als doppelt so viel wie im gleichen Zeitraum des Vorjahres. Auch die Lieferungen per Pipeline aus Algerien sind stabil, während die Mengen aus Norwegen sich sogar am oberen Rand der Vergleichswerte früherer Jahre bewegen.

„Jetzt kommt es auf unser privates Heizverhalten an“

Die Bundesnetzagentur erklärte am Samstag, Deutschland sei „aufgrund der verstärkten Vorsorgemaßnahmen der vergangenen Monate auf einen Ausfall der russischen Lieferungen mittlerweile besser vorbereitet als noch vor einigen Monaten“. Gleichwohl betonte die Behörde nochmals „ausdrücklich die Bedeutung eines sparsamen Gasverbrauchs“. Netzagenturchef Klaus Müller schrieb: „Jetzt kommt es nach den harten Industrieeinsparungen auf unser aller privates Heizverhalten an.“

Der Gasmarkt hatte sich zuletzt wieder etwas entspannt. Nach einem Preispeak Ende August brachen die Notierungen zwischenzeitlich um ein Drittel ein. Welche Auswirkungen der Stopp der Lieferungen über die Ostseepipeline auf die europäischen Gasmärkte hat und in welchem Maße die Händler das Ereignis womöglich schon eingepreist hatten, wird sich erst am Montag zeigen. Als am Freitagabend die Mitteilung von Gazprom kam, hatte die Gasbörse bereits geschlossen.

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