Wo noch die Post abgeht

EM Yippie, die Sonderhefte sind da: „kicker“, „11 Freunde“, „Sport-Bild“ und „Ballesterer“ im Belastungstest

Sprachlich finden sich noch viele Reste aus der verblassenden Zeit des Bratwurstjournalismus

VON MICHAEL BRAKE

Irgendwo in Nürnberg sitzt in einem alten Bunker die kicker-Redaktion, mit der Außenwelt nur mittels eines Telegrafen verbunden. Draußen dreht sich die Welt weiter, einflussreiche Magazindynastien werden gegründet und zerfallen wieder zu Staub, Fußball und Feuilleton nähern sich einander an, 11 Freunde revolutioniert die Bildsprache des deutschen Fußballjournalismus. Und der kicker bringt halt ein Sonderheft zur Fußball-EM raus, das exakt so aussieht wie immer: gleiches Layout, gleiche Fotos, gleiche Inhalte.

Erst kommen detaillierte Texte zum deutschen Team inklusive Hotelporträt und Interviews mit Alt-Europameistern. Anschließend werden die restlichen 15 Mannschaften vorgestellt. Mit Texten zu Stärken, Schwächen und Wunschaufstellung – sachlich und souverän, wenngleich ohne den totalen taktischen Tiefgang – sowie mit Mannschaftsfoto, ungefährem Kader (bei allen Heften lag der Redaktionsschluss vor der Nominierungsfrist) und – das ist als Handreichung ein echtes Plus – kurzen Steckbriefen von allen Spielern. Am Ende folgen noch unfassbar detaillierte Statistiken zur deutschen EM-Historie.

Auch sprachlich finden sich noch viele Reste aus der verblassenden Zeit des Bratwurstjournalismus: Da geht die Post ab, da werden Sachen wie aus dem Effeff gekonnt, da gibt es Trainerfüchse und robuste Kerle. Nein, man wird beim kicker nicht ästhetisch umschmeichelt. Aber wer eine umfassende, seriöse und ironiefreie Vorbereitung auf die EM sucht, kann bedenkenlos zugreifen. Ach so, und irgendwo verstecken sich tatsächlich zwei Gimmicks: die ewige Stecktabelle und eine furchtbar unlustige Kolumne von Django Asül.

„The icing on the cake“ nennt man im Englischen solche veredelnden Glitzi-Elemente, die nicht lebensnotwendig sind, für die man sich aber ein wenig Zeit und Liebe nehmen sollte. Und der kicker ist nun mal ein nahrhafter Kuchentrumm, auf dem ein paar Puderzuckermoleküle liegen – während die EM-Ausgabe der 11 Freunde ein millimeterdünner Tortenboden ist, auf dem mehrere Kubikmeter Glasur thronen.

Unzählige Splitter, Bonbons, Klein- und Kleinstrubriken ziehen sich durch ihr EM-Heft, darunter viel Fiktives, das meiste lustig, manches eher nicht. Man versucht gar nicht erst, alle wichtigen Informationen abzubilden oder alle Teams vorzustellen, auch das beiliegende Miniheft mit den Spielerkadern erfüllt nur eine Alibifunktion.

Die 11 Freunde müssen aufpassen, dass sie sich in ihrer Pose der ironischen Brechung nicht irgendwann komplett verheddern. Abgesehen davon machen sie aber, was sie am besten können: Jeder Turniertag wird zum Anlass für eine hintergründige Geschichte oder eine Bildidee genommen. Seien es Gruppenfotogalerien von polnischen Hooligans mit nackten Muskeloberkörpern, sei es eine grandiose Analyse des Fußballsongs „Three Lions“ oder ein Interview, in dem Dänemarks Exnationaltorwart Peter Schmeichel mit dem Big-Mac-Mythos vom EM-Sieg 1992 aufräumt – journalistisch und gestalterisch ist das 11-Freunde-Heft mit Abstand das beste im Feld.

Eine Synthese zwischen beiden Philosophien versucht der österreichische Ballesterer, der einen ähnlich kritischen Fankultur- und Lebenswelt-Ansatz wie 11 Freunde vertritt. Nach einem kleinteiligen Magazineinstieg hat das Heft eine klare Struktur, jede Mannschaft wird mit einem doppelseitigen Text versehen, nur die Gastgeber Polen und Ukraine haben richtig lange Stücke bekommen. Über die Details der Transformation des griechischen 4-2-3-1 in ein 4-5-1 beim Gegenpressing erfährt man hier zwar nichts, als geschmeidiger Einstieg ins Turnier aber funktioniert es gut. Und als Bonus gibt es die leicht verschobene Nachbarlandperspektive und einige schöne Austriazismen.

Mit im Rennen ist natürlich auch Sport-Bild. Sie informiert ähnlich umfassend wie der kicker, mit vielen Statistiken und viel Deutschland-Content. Das Layout ist vielseitiger, dafür mit Werbung vollgekleistert, die Teamporträts sind fluffiger geschrieben, dafür taktisch längst nicht so fundiert. Wer es schnell und leicht verdaulich mag – oder ein besonderes Interesse an den Social-Media-Aktivitäten der EM-Stars hat –, dürfte das Sport-Bild- dem kicker-Sonderheft vorziehen. Perfekt sind sie beide nicht: wie keines der Hefte.