Radbahn für Berlin: Radeln unterm Gleis

Unter der Hochbahn soll von West nach Ost ein Radweg entstehen. Allemal ein schickes Projekt. Aber es treibt nicht die Verkehrswende voran.

Radfahrer:innen unter dem Viadukt an der Skalitzer Straße in Berlin.

Unter dem Viadukt der U1 in Berlin ist ein schmaler Raum fürs Rad Foto: Annette Riedl/dpa

BERLIN taz | Es ist ein schönes Bild, das das Reallabor Radbahn den autogeplagten Ber­li­ne­r*in­nen zeichnet: Wo bislang Müll, Taubenkacke und jede Menge Blechkisten den Platz unter dem denkmalgeschützten Hochbahnviadukt der U1 verunstalten, soll in Zukunft ein zweispuriger Radweg die Lebensqualität der Haupt­städ­te­r*in­nen verbessern. Animationen und Zeichnungen zeigen eine grüne Oase für Rad­ler*in­nen, die geschützt vor Wind und Wetter durch drei Berliner Bezirke rollen oder sich am Rand bei einem Kaffee entspannen können.

Nichts weniger als einen „Ort der Begegnung und Bewegung“, „des Aufatmens im oftmals chaotischen Stadtgewühl“ und einen „vielfach erfahrbaren Stadtraum“ versprechen die Pla­ne­r*in­nen des neun Kilometer langen Radwegs unter der U-Bahn-Linie, der vom Bahnhof Zoo im Westen der Stadt bis zur Oberbaumbrücke im Osten führen soll.

Bereits seit 2015 gibt es die durchaus charmante Idee der Radbahn, die diese Woche noch bis Sonntag auch mit Aktionstagen vorgestellt wird. Anhand einer Ausstellung, Vorträgen und Führungen sollen sich die Ber­li­ne­r*in­nen selbst ein Bild machen von dem Projekt, das vom Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg, dem Land Berlin und dem Bund mit 3,3 Mil­lio­nen Euro gefördert wird und mit dem renommierten Bundespreis Ecodesign ausgezeichnet wurde.

Was dort präsentiert wird, klingt wie ein schöner Traum – und das wird es auch eine ganze Weile bleiben. Denn eine Preisverleihung und farbenfrohe Animationen machen noch keine Realität, und bis das ambitionierte Projekt realisiert ist, werden wohl viele Jahre vergehen.

Kostet viel, bringt wenig

Bis zum Spätsommer 2023 sollen in Kreuzberg lediglich einige Hundert Meter Testfeld entstehen, wann die neun Kilometer fertiggestellt werden, steht in den Sternen. Das liegt nicht nur an aufwendigen Planungs- und Genehmigungsverfahren, es sind auch noch längst nicht alle Fragen des genauen Verlaufs, etwa an Kreuzungen oder U-Bahnhöfen, geklärt.

Auch verengt sich die Fahrbahn unter dem Viadukt an einigen Stellen auf einen Meter, laut Berliner Mobilitätsgesetz ist jedoch eine Breite von 3,50 Metern nötig, um einen sicheren Verkehr in zwei Richtungen zu gewährleisten.

Fahrradverbände wie der Allgemeine Deutsche Fahrrad-Club sind trotz alledem froh über das Experiment, das den öffentlichen Raum jenseits des Autoverkehrs denkt. Ausreichend ist das allerdings nicht. Denn im Mobilitätsgesetz steht auch, dass in Berlin bis 2030 ein stadtweites Radnetz gebaut werden soll.

Davon ist die Hauptstadt jedoch meilenweit entfernt, in den vergangenen vier Jahren wurde laut der Radorganisation Changing ­Cities lediglich etwas mehr 1 Prozent des geplanten 850 Kilometer langen Vorrangnetzes errichtet. Ganz zu schweigen von der vorgesehenen Erweiterung und Verbreiterung bestehender Radwege, die vielerorts nur unter Lebensgefahr benutzt werden können.

Doch statt die dringend notwendige Mobilitätswende konsequent umzusetzen und Autos den Platz zugunsten von Rad­le­r*in­nen und Fuß­gän­ge­r*in­nen großflächig wegzunehmen, schmückt sich Berlin lieber mit einem Projekt, das zwar nett klingt und Ar­chi­tek­t*in­nen­her­zen höher schlagen lässt, aber im Endeffekt wenig bringt, viel kostet und lange dauert.

Was Berlin braucht, ist keine hübsche preisgekrönte Radbahn in ferner Zukunft, sondern Hunderte geschützte Fahrradwege sofort. Doch dafür müsste sich die Politik mit den Au­to­fah­re­r*in­nen anlegen, die erbittert um jeden Meter Asphalt kämpfen, als gehörte ihnen die Stadt alleine – und dafür fehlt ihr scheinbar der Mut.

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Dieser Artikel stammt aus dem stadtland-Teil der taz am Wochenende, der maßgeblich von den Lokalredaktionen der taz in Berlin, Hamburg und Bremen verantwortet wird.

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