Schau­spie­le­r*in­nen in Indianerkostümen: Leise rieselt der Kalk

Die Karl-May-Spiele in Bad Segeberg inszenieren einen Wilden Westen, den es nie gab. Kann man das noch machen?

Illustration von einem Wilden Westen mit Menschen am Handy

Ist ja nicht so, dass es nichts Neues im Westen gäbe. Auf jeden Fall Gesprächs­bedarf Illustration: Sebastian König

BAD SEGEBERG taz | Der oberste Bösewicht kommt aus dem Felsen herausgeritten, durch einen Tunnel, bei dem man nicht sehen kann, wo er hinführt, weil gleich hinter dem Eingang eine Biegung ist. Wahrscheinlich führt er direkt ins sächsische Radebeul, in den Kopf von Karl May, dem die Siedler mit ihren Planwagen entsprungen sind, die skurrilen englischen Adeligen, die mit Sekretär durch die Wüste stolpern, die Apachen und auch die Bösewichte wie jetzt der Ölprinz.

Der sprengt auf einem weißen Pferd heran – Reiten ist Ehrensache hier in Bad Segeberg – und wird von Sascha Hehn gespielt. Der Sascha Hehn! Der Chef-Stewart aus dem „Traumschiff“, der Dr. Udo Brinkmann aus der „Schwarzwaldklinik“. Das ist allerdings ein bisschen her, der Sascha Hehn 2022 trägt einen markanten Vollbart mit Weißanteil, sein Gesicht liegt im Schatten eines breitkrempigen Huts. Am Ende wird er wie die meisten Bösewichte in Bad Segeberg vom großen Felsen hinunterstürzen.

Der Spielort

Die Spielstätte der Bad Segeberger Karl-May-Spiele, der Kalkberg, liegt am Rande der Stadt. Bis in die 1930er Jahre wurde hier Gips abgebaut, dann errichtete der Reichsarbeitsdienst der Nazis eine „Thingstätte“: halbkreisförmig angeordnete, aufsteigende Sitzreihen wie in einem Amphitheater, die natürliche Felslandschaft diente als Kulisse. 1937 war die Einweihung mit Propagandaminister Joseph Goebbels. Zur Feier wurde das Theaterstück „Die Schlacht der weißen Schiffe“ gegeben.

Auf die Idee, an diesem Ort Karl May zu spielen, kam 1950 der Intendant der städtischen Bühnen in Lübeck, Robert Ludwig, der den Stoff schon vor dem Krieg in der Sächsischen Schweiz inszeniert hatte. 1952 war die erste Aufführung von „Winnetou“ in Bad Segeberg. Später heuerten erst der Film-Winnetou West, Pierre Brice, dann der Film-Winnetou Ost, Goijko Mitić, am Kalkberg an. Seit 2019 wird die Rolle von Alexander Claws gespielt, einem ehemaligen Gewinner von „Deutschland sucht den Superstar“.

Die Inszenierung

Im Laufe der Handlung von „Der Ölprinz“ fahren Planwagen mit Karacho vor, Bohrtürme stürzen ein, die Krieger eines abtrünnigen Apachenstamms reiten unter Kriegsgeheul hinter dem Rücken der Zuschauer vorbei, wo extra für diesen Zweck ein Weg entlangführt. Der Sound ist ohrenbetäubend, es gibt Explosionen, Kämpfe Mann gegen Mann, aber auch einen durchgeknallten Kantor, der mit seiner tragbaren Orgel reist.

Einmal sagt der abtrünnige Apachen-Häuptling, der Winnetou in den Rücken fällt, er wolle keinen Frieden, denn die Weißen würden die Völker der Apachen vernichten. „Das stimmt doch auch“, murmelt eine junge Frau hinter mir.

Der Diskurs

Karl May träumte von Frieden und Völkerverständigung, er wollte die Auslöschung der First Nations nicht wahrhaben. Doch die Geschichte ist so nicht gewesen, wie sie in seinen Büchern steht und wie sie bis heute auf den Karl-May-Bühnen gezeigt wird (es gibt etwa ein Dutzend, eine sogar in Tschechien).

Im Prinzip ist das schon lange bekannt, Karl May war ja auch nie im Wilden Westen. Trotzdem hat der Ravensburger Verlag jetzt die Kinderbücher zum Film „Der junge Häuptling Winnetou“ zurückgerufen: weil sie ein „romantisierendes Bild mit vielen Klischees“ zeichneten. „Der Stoff ist weit entfernt von dem, wie es der indigenen Bevölkerung tatsächlich erging“, so der Verlag. Von „vielen negativen Rückmeldungen“ ist die Rede und dass „die Gefühle anderer verletzt“ worden seien.

„Klischees“, „romantisierendes Bild“: Das ließe sich auch den Bad Segeberger Karl-May-Spielen vorwerfen, die von Vorwürfen bisher weitgehend verschont blieben. Immerhin stellte das Hamburger Abendblatt diese Woche schon mal die bange Frage: „Sind Indianerspiele noch zeitgemäß?“

Tja. Gute Frage.

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Dieser Artikel stammt aus dem stadtland-Teil der taz am Wochenende, der maßgeblich von den Lokalredaktionen der taz in Berlin, Hamburg und Bremen verantwortet wird.

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