European Championships in München: Mit aller Gewalt heiter

In München strahlt Olympia auch nach 50 Jahren. Zu den EMs schwärmt man von den demokratischen Spielen 1972. Das ist Schönfärberei.

Eine riesige Nachbildung des Maskottchens Waldi, eines Hundes, in München

Nun wieder überall präsent: Waldi, das Maskottchen von 1972 Foto: imago

MÜNCHEN taz | Es ist immer viel von Erbe die Rede, wenn es um die Olympischen Spiele geht. Das Internationale Olympische Komitee legt Wert auf eine stolze Hinterlassenschaft. Das zumindest muss annehmen, wer den offiziellen Verlautbarungen dieser Weltorganisation des Sports glaubt. In Peking bei den finsteren Winterspielen zu Beginn dieses Jahres präsentierte man stolz die Zahl 300 Millionen. So viele Menschen sollen in China via Olympia an den Wintersport herangeführt worden sein. Ob’s stimmt? Egal, der olympische Tross ist längst weitergezogen.

2024 schlägt er in Paris seine Zelte auf. Dort ist bestimmt alles nachhaltig, so wie es die Pandemiesommerspiele 2021 in Tokio waren, wo sich das IOC dafür feiern ließ, nicht nur ein klimaneutrales Olympia veranstaltet zu haben, sondern mehr Emissionen kompensiert zu haben, als durch die Spiele verursacht worden sind. Nach Athen oder Rio de Janeiro zu schauen, wo teure olympische Sportstätten vor sich hin gammeln, sollte tunlichst unterlassen, wer an das Gute an Olympia glaubt. Denn es gibt ja die andere Geschichte: die der Olympiastadt München.

Da strahlt Olympia auch nach 50 Jahren noch. Das von dem gefeierten Architekten Günter Behnisch entworfene Zeltdach über den Sportanlagen im Olympiapark ist neben den Türmen der Frauenkirche in der Innenstadt zum Wahrzeichen der Stadt geworden. Menschen aus der Stadt und der ganzen Welt flanieren durch die wellige Anlage, in die das Olympiastadion eingelassen ist, die Olympiahalle und das Schwimmstadion, das allen Freizeitsportlern offensteht.

Die Nachnutzung, auch so ein Begriff aus dem Olympiawortschatz, ist gewährleistet. Gerade finden die European Championships in München statt, mit der EM in der Leichtathletik im Olympiastadion und der Turn-EM in der Olympiahalle. Alles gut also? Ja, findet nicht nur Bayerns Innen- und Sportminister Joachim Herrmann, der vor der Eröffnung der neun Europameisterschaften, die gerade in München stattfinden, von seinen Jugenderinnerungen an die Münchner Spiele schwärmt und davon, dass alle Olympiaanlagen von 1972 noch in Betrieb seien.

Natürlich wird nicht mehr alles genutzt

So ist das wohl in einer Stadt, in der es Menschen geben soll, die es für eine bayerische Erfindung halten, wenn ein paar weiße Wolken auf einem ansonsten strahlend blauen Himmel zu sehen sind. Schönfärberei kann man nennen, was derzeit rund um das 50-Jahr-Jubiläum der Spiele in München stattfindet. Nein, natürlich werden nicht mehr alle Sportstätten genutzt, die damals für die Spiele errichtet worden sind. Und auch wenn der Olympiapark sich großer Beliebtheit erfreut bei den Erholungssuchenden der Stadt, wenn er immer als wegweisend, demokratisch und sowieso fantastisch bezeichnet wird, so hat man ihn doch nicht vor den Verheerungen der Zeit schützen wollen.

Das Radstadion mit seiner Holzbahn ist längst abgerissen. Eine tragfähige Nachnutzung hat es nie gegeben. Dafür darf jetzt die Red Bull GmbH eine dieser handelsüblich gewordenen Großarenen in den Olympiapark pflanzen, damit bald schon die Basketballer des FC Bayern München und der hauseigene Eishockeyklub des Koffeinlimonadenherstellers dort spielen können. Auf der anderen Seite des Parks hat der in München omnipräsente Automobilkonzern BMW mit seinem wuchtig-möchtegernfuturistischen Auslieferungszentrum eine Hässlichkeit an die Anlagen gebaut, die man getrost als Frevel an den olympischen Bauten, ja, am olympischen Erbe der Stadt, bezeichnen kann.

Gedenken beinahe pflichtschuldig

Für derlei Kritik ist wenig Platz im Jubiläumsjahr der Spiele, in dem die olympischen Ringe im Stadtbild beinahe so präsent sind, wie sie es 1972 gewesen sein müssen. Fast überall in der Stadt wird sich an die Spiele erinnert. Im Stadtmuseum ist ein Erzählcafé eingerichtet worden. Viele Müncherinnen und Münchner, die damals dabei waren, können ihre Erinnerungen auffrischen. Einer war Balljunge beim deutschen Hockeygold im Finale gegen das favorisierte Pakistan. Eine andere erzählt, dass sie sich ihr hellblaues Hostessendirndl, das ohnehin nicht allzu lang war, kürzen hat lassen, um besser darin auszusehen. Wieder eine andere hat ihren Schlüsselanhänger mit dem Olympia-Dackel noch. Waldi, das in den Olympafarben gestreifte Hundchen, war das erste Maskottchen in der Geschichte der Spiele. „Echtes Olympiafeeling konnte ich erst 1974 spüren. 1972 wurden kurzzeitig die Grenzen wegen des Attentats geschlossen. Schade“, steht auf einem der Erinnerungszettel aus einer Ausstellungswand.

Er erinnert an jenen 5. September, als ein palästinensisches Terrorkommando Betreuer und Athleten der Olympiamannschaft Israels als Geiseln genommen hat. Das Gedenken an jenes Verbrechen, in dessen Verlauf neben elf Israelis auch ein deutscher Polizeibeamter ums Leben gekommen ist, wird beinahe schon pflichtschuldig bei all den Olympiaprojekten in der Stadt mitgeliefert. An der großen Erzählung von der Liebe der Münchner zu ihren Spielen, von den heiteren Spielen, die da inszeniert wurden, soll das möglichst nicht kratzen.

Das Attentat gehört zum Erbe der Spiele

Am augenfälligsten ist das in der Ausstellung „Olympia 72 in Bildern“ in der Bayerischen Staatsbibliothek. Faszinierende Bilder sind da zusammengestellt worden. Wer einer Art Laufbahn folgt, kann die Geschichte von der Bewerbung über den Bau der Sportstätten bis zu den Wettbewerben erleben. Nur wer die Bahn verlässt, in den Flur vor den Toiletten tritt, der wird mit der Geschichte des Attentats konfrontiert.

Eindrucksvoll gewiss, aber eben so, als sei die Geiselnahme und ihre so stümperhafte wie folgenreiche Polizeiaktion zur Befreiung der Israelis nur ein Nebenaspekt der Spiele. Dabei gehört das Attentat zum Erbe dieser Spiele. Dass Sportgroßereignisse bis heute an Orten stattfinden, die abgeschirmt sind wie Hochsicherheitstrakte von Justizvollzugsanstalten, hat mit dem Attentat zu tun, bei dem die Terroristen nur einen nicht allzu hohen Zaun überwinden mussten, um ins Olympische Dorf zu gelangen.

Streit über einen Gedenkort

Der Streit über einen Gedenkort im Olympiapark illustriert, wie schwer man sich in München mit der Erinnerung an jenen 5. September tut. Bewohner der Siedlung, die 1972 als Olympiadorf errichtet worden ist, haben sich lange gewehrt gegen ein Mahnmal vor ihrer Haustür. Sie wollten den Rodelberg ihrer Kinder nicht dafür opfern. Erst vor fünf Jahren konnte es schließlich eröffnet werden. Es ist ein beeindruckendes Multimedia-Memorial, das da in einen kleinen Hügel geschnitten worden ist. Die Ereignisse bis zur katastrophal gescheiterten Geiselbefreiung am Flughafen Fürstenfeldbruck sind beinahe in Echtzeit mitzuverfolgen. Viel ist meistens nicht los an diesem Lern- und Erinnerungsort. Wer von der U-Bahn-Station Olympiazentrum in den Park oder zu einer Veranstaltung möchte, kommt nicht daran vorbei.

Um die heiteren Spiele geht es auch an diesem beeindruckenden Mahnmal, um den Versuch, Deutschland als funktionierende Demokratie darzustellen, um die Gestaltung der Spiele als Gegenentwurf zu Nazi-Olympia 1936. Was da in München versucht worden ist, sucht seinesgleichen in der olympischen Geschichte. Nationalistischen Pathos aus der Eröffnungsfeier zu nehmen, tanzend statt marschierend einzulaufen und all das begleitet von einem Kulturprogramm, an dem Komponisten wie John Cage oder Karlheinz Stockhausen mitgewirkt haben, bei der es Kunst und Artisterie für alle umsonst im Olympiapark gab und in das auch der damals viel gespielte Dramatiker Franz Xaver Kroetz integriert worden ist.

Die Stadt verändert

Ausgerechnet dessen olympiakritisches Drama „Globales Interesse“ wurde als Teil des Kulturprogramms auf der Experimentierbühne des Residenztheaters uraufgeführt. „Gegen eine Olympiade is ja überhaupt nix zum sagen. Aber von der Olympiade solln wir Münchner doch was habn. Und ned die Wohnung verliern“, sagt darin in der typisch kroetz­schen Diktion der Rentner Katterloher in seiner Sorge vor einer Vertreibung aus der Stadt.

Auch das gehört zum Erbe dieser Spiele, die die Stadt verändert hätten, wie es allüberall heißt. Dass die Spiele mit dazu beigetragen haben, München zur teuersten Stadt der Republik zu machen, daran wird nur ungern erinnert. An anderes schon eher. München habe früh ein dichtes U-Bahn-Netz gehabt, früher, als dies ohne die Spiele vielleicht der Fall gewesen wäre. Autofreundlicher ist die Stadt auch geworden. Ringstraßen wurden, von Olympia beschleunigt, durch die City gesprengt.

Trachten- und Folklorewahnsinn

Ob die Stadt durch die Spiele besonders modern geworden ist? In all den Ausstellungen in der Stadt, etwa im Architektur- oder im Designmuseum in der Pinakothek der Moderne kann man sich der Schwärmerei für die Gestaltung der Spiele kaum entziehen. Das Design der Plakate, Schilder, die Farbgebung mit dem typischen Hellblau als dominierendem Ton, für die Otl Aicher verantwortlich war, ist bis heute stilbildend.

Die European Championships haben versucht, daran anzuknüpfen, und sich dann doch nicht getraut, dem in der Stadt um sich greifenden Trachten- und Folklorewahnsinn zu widerstehen, den Aicher so gehasst haben soll. Heimat-Roof heißt ein Veranstaltungsort des Events, der an eine brutalrustikale Touristenfalle am Tegernsee erinnert. Modern ist diese Großstadtalm sicher nicht. Und heiter? Die Volksmusikkombo aus Rottach, die da oben auf dem Olympiaberg spielt, ist es jedenfalls.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.