Drohende Wirtschaftskrise: Kleine Atempause vor Rezession

Deutsche Wirtschaft ist im 2. Quartal überraschend gewachsen. Doch die Aussichten für Herbst sind trüb. Ökonomen fordern weiteres Entlastungspaket.

Schaufensterpuppen in einem leeren Geschaeft fuer Mode nach einem totalen Ausverkauf in den Arkaden Mall of Berlin am Leipziger Platz

Der Einzelhandel leidet besonders: Leere Läden nach Geschäftsaufgabe in einer Berliner Shopping Mall Foto: Stefan Boness/Ipon

BERLIN taz | Krieg in der Ukraine, die Pandemie ist auch nicht ganz ausgestanden, vor allem aber massiv steigende Energie- und Lebensmittelpreise verunsichern hierzulande viele Haushalte auch wirtschaftlich. Auf den ersten Blick ist es daher überraschend, dass die deutsche Wirtschaft im Frühjahr leicht gewachsen ist.

Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) wuchs im zweiten Quartal gegenüber dem Vorquartal um 0,1 Prozent. In einer ersten Schätzung war das Statistische Bundesamt in Wiesbaden noch von einer Stagnation der Wirtschaftsleistung ausgegangen. „Trotz der schwierigen weltwirtschaftlichen Rahmenbedingungen hat sich die deutsche Wirtschaft in den ersten beiden Quartalen 2022 behauptet“, sagte Georg Thiel, Präsident der Wiesbadener Behörde. Im ersten Quartal 2022 war die deutsche Wirtschaft um 0,8 Prozent gewachsen.

Auch die Steuereinnahmen sprudelten. Trotz zusätzlicher Belastungen infolge des Ukrainekrieges waren die Löcher im Staatshaushalt im ersten Halbjahr 2022 deutlich kleiner als im Vorjahreszeitraum. Im ersten Halbjahr gab der Fiskus 13 Milliarden Euro mehr aus als er einnahm, teilte das Statistische Bundesamt anhand vorläufiger Berechnungen mit. Bezogen auf die gesamte Wirtschaftsleistung lag das Defizit von Bund, Ländern, Gemeinden und Sozialversicherung bei 0,7 Prozent. Im ersten Halbjahr 2021 hatte das Defizit noch bei 4,3 Prozent gelegen. Deutschland hat die strengen Stabilitätskriterien der Euro-Länder bei der Neuverschuldung also mehr als eingehalten.

Ein Grund für das leichte Wirtschaftswachstum: Die Öffnung nach den Coronabeschränkungen habe dazu geführt, dass die Menschen in Deutschland im Frühjahr wieder mehr ausgegeben haben, etwa für Restaurantbesuche und Freizeitaktivitäten, analysiert Sebastian Dullien, wissenschaftlicher Direktor des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK). Ein „noch kräftiger privater Konsum“ habe einen Rückgang des Bruttoinlandsprodukts verhindert. Die verbesserten Staatsfinanzen würden auf kräftige Einnahmesteigerungen bei kaum steigenden Staatsausgaben zurückgehen. Kaufkraftbereinigt seien sie sogar gefallen. Der Anstieg der Einnahmen wiederum dürfte darauf zurückzuführen sein, dass während der Coronazeit viele Steuerzahlungen gestundet wurden, die im ersten Halbjahr 2022 nachgeholt wurden, so der IMK-Ökonom.

Schwieriger Herbst

Doch die Aussichten sind trübe: Die Bundesbank erwartet, dass die Wirtschaftsleistung bereits im Herbst „in etwa auf der Stelle treten“ wird und es im Winterhalbjahr auch als Folge der Gaskrise zur Rezession kommen könnte. Diese Einschätzung deckt sich mit dem Stimmungsindex des Münchner ifo-Instituts. Ihr Geschäftsklimaindex fiel im August den dritten Monat in Folge auf 88,5 Zähler. Im Juli lag der Index noch bei 88,7 Punkten. Das ifo-Institut befragt regelmäßig rund 9.000 Führungskräfte und fragt sie zu ihrer Geschäftslage und zu den Aussichten. Ifo-Präsident Clemens Fuest geht davon aus, das die Wirtschaftsleistung noch im dritten Quartal schrumpfen wird. Der Ausblick auf die kommenden Monate sei „deutlich pessimistisch“. Besonders schlecht sei die Stimmung im Handel, teilte das ifo-Institut mit. „Einerseits belasten die hohen Inflationsraten ihr Geschäft. Andererseits kommen sie um Preiserhöhungen wegen gestiegener Kosten kaum herum.“

Diesen pessimistischen Ausblick teilt auch Ökonom Dullien. Die bisherigen Entlastungsmaßnahmen hätten den Konsum gestützt, reichten allerdings nicht, um die Belastungen der kommenden Monate durch steigende Gas- und Strompreise 2023 auszugleichen. Dullien empfiehlt der Bundesregierung, mit einem neuen Entlastungspaket nachzulegen.

Aus ökonomischer Sicht gebe es durchaus finanzielle Spielräume. Angesichts der aktuellen Inflationsraten bei einem nur kleinen Staatsdefizit dürfte dieses Jahr die Staatsschuldenquote (Schulden zum BIP) spürbar fallen, so Dullien. Vor diesem Hintergrund sollte die Bundesregierung die für dieses Jahr noch geltende Notfallsituation bei der Schuldenbremse nutzen und zum Jahresende noch einmal kräftige, kreditfinanzierte Entlastungen für die Privathaushalte verabschieden, etwa in Form einer neuen Energiepauschale. Dullien: „Diese muss dann auch jenen Personenkreisen zugute kommen, die bislang wenig entlastet wurden, etwa Rentnerinnen und Rentnern.“

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.