Literatur in Berlin: „Wie kann Leben unpolitisch sein?“

Im Rahmen der Reihe „Das Literarische ist politisch“ spricht die Schriftstellerin Lana Lux über Unabhängigkeit und den Krieg in der Ukraine.

„Literatur ist wichtig, damit wir Menschen bleiben“: Männer in einem Luftschutzkeller in der Ukraine Foto: Diego Herrera Carcedo/Anadolu Agency/afp

taz: Frau Lux, Sie sind eine von 20 Schriftsteller*innen, die im Rahmen der Veranstaltungsreihe „Das Literarische ist politisch“ im Hof des Brecht-Hauses sprechen werden. Sie haben Ihren Beitrag „Unabhängigkeit“ genannt. Warum?

Lana Lux: Das Datum meines Vortrags am Mittwoch fällt ja zufällig mit dem Unabhängigkeitstag der Ukraine zusammen, dem Land, in dem ich geboren bin und in dem fast seit einem halben Jahr Krieg herrscht. Ich werde darüber sprechen, wie ein unabhängiges Leben funktionieren kann. Von Geburt an streben wir nach Unabhängigkeit, indem wir von einem Moment auf den anderen außerhalb des Körpers, von dem wir beatmet wurden, unseren ersten Atemzug tun. Andererseits hängen wir als Individuum, als Kollektiv oder als Staat sehr voneinander ab. Im Grunde kann man nur unabhängig sein, wenn man dabei von anderen unterstützt wird. Das ist ein wahnsinnig interessanter Konflikt. Sie merken: Ich spinne das gerade, während ich spreche, ein bisschen weiter. Der Text, den ich am Mittwoch präsentieren werde, ist noch nicht ganz fertig. (lacht)

Was bedeutet für Sie beim Schreiben Politik?

Ich muss ganz ehrlich gestehen, dass ich aus einem unpolitischen Haushalt komme. Aber was ist überhaupt ein politischer Haushalt, wie kann ein Leben unpolitisch sein? Alles ist politisch. Nicht auf eine Demo zu gehen ist genauso politisch, wie auf sie zu gehen. Trotzdem musste ich mir die Überzeugung von der Wirksamkeit und manchmal auch der Nichtwirksamkeit der Demokratie erarbeiten und erkämpfen. Insofern ist es logisch, dass man das Politische in meinen Büchern nur erkennt, wenn man etwas mitbringt, wenn man schon gelernt hat, politisch zu denken.

Die Veranstaltungsreihe „Das Literarische ist politisch“ findet vom 22. bis 26. August täglich von 19 bis 22 Uhr im Literaturforum des Brecht-Hauses in der Chausseestraße 125 statt.

Das Programm Am 22. August spricht unter anderen Sasha Marianna Salzmann über „Keine Gedichte über den Krieg", am 23. August Sharon Dodua Otoo über die Förderung Schwarzer Autor*innen in Deutschland. Lana Lux spricht am 24. August, dem ukrainischen Unabhängigkeitstag. Tickets kosten 5 Euro, 3 Euro ermäßigt. (sm)

Wie meinen Sie das?

Es gibt immer eine Dimension hinter dem privaten Leiden, es ist immer strukturell eingebunden. Meine Figuren sind ganz, ganz prekär. Und gerade für dieses Milieu ist die Politik hochgradig verantwortlich.

Ihr Debüt „Kukolka“ handelt von einer jungen Frau aus der Ukraine, die Opfer von Menschenhandel und Zwangsprostitution wird, da würde ich nicht widersprechen. Aber inwiefern gilt das auch für eine junge Frau, die an Essstörungen leidet, von der Ihr zweiter Roman, „Jägerin und Sammlerin“, erzählt?

Die Essstörung hat viele Ähnlichkeiten mit der Hysterie. Bei diesen Krankheiten ging und geht es um die Frage, welche Rolle die Frau in der Gesellschaft haben kann. Sie haben mit fehlender Selbstwirksamkeit zu tun. Essstörungen entstehen oft dort, wo Rollenzuschreibungen still geschluckt werden und heimlich hervorgewürgt werden müssen. Sie haben mit Gewalt an Frauen zu tun und mit Gewalt, die sich Frauen gegenseitig antun. Und damit, dass die Familie privat bleiben soll – also wie Eltern ihre Kinder behandeln und wie Kinder leben. Die Hauptfiguren in diesem Buch sind wie die in „Kukolka“ aus der Ukraine gekommen, allerdings unter völlig anderen Umständen.

Alisas Mutter kämpft um Anerkennung. Der Druck der Übererfüllung ist riesig. Hat ihre Krankheit auch damit zu tun?

Natürlich.

Sie sind wie Ihre Romanfiguren in der Ukraine geboren. Gibt es eine innere Erwartungshaltung an sich selbst – oder auch eine Erwartung, die von außen an Sie herangetragen wird, ganz tagesaktuell über die Ukraine zu sprechen?

Meine erste Reaktion auf solche Anfragen ist immer: Dazu habe ich nichts zu sagen. Ich kenne diese Reaktion aber so gut, dass ich ihr nicht glaube und dass ich mir bei dieser Gelegenheit nun immer vornehme, darüber zu reden, warum ich nichts glaube zu sagen zu haben. Meine Ankunft in Deutschland – meine Integration, oder wie auch immer man das nennen will – ist nicht schmerzfrei und konfliktlos verlaufen. Ich war viele Jahre davon überzeugt, dass mir niemand zuhören möchte und das es meine Aufgabe ist, nicht aufzufallen und niemandem auf die Nerven zu gehen. Und so etwas lässt sich nicht so einfach überwinden.

Also sprechen Sie eher ungern über die aktuelle Situation in der Ukraine?

Ich habe immer wieder betont, dass ich dieses Land verlassen habe, als ich zehn Jahre alt war, und dass ich keine Ukrainerin bin, sondern eine Jüdin, was mir auch schon, als ich noch als kleines Kind in der Ukraine war, jeden Tag sehr bewusst war. Meine Eltern haben ja auch, weil sie Juden sind, gewählt, in den turbulenten Zeiten nach dem Untergang der Sowjetunion nicht in der Ukraine zu bleiben und dieses Land nicht neu aufzubauen und mitzubestimmen. Das alles macht mich zu einer Nichtexpertin. Und dennoch habe ich eine Verbindung zur Ukraine.

Lana Lux,

1986 in der Ukraine geboren, reiste mit ihrer Familie 1996 nach Deutschland aus. Bisher erschienen zwei Romane, „Kukolka“ (2017) und „Jägerin und Sammlerin“ (2020). Seit 2019 veröffentlicht sie auf dem Instagram-Account @eva_and _her_demons Illustrationen.

Welche denn?

Für mich waren die ersten zehn Jahre meines Lebens in der Ukraine sehr prägend. Und in den Jahren vor dem Krieg habe ich mich diesem Land und vielen tollen Menschen dort sehr angenähert, was sehr besonders für mich war. Der Krieg betrifft mich sehr, und es ist mir ein großes Anliegen, dass er so schnell wie möglich zu Ende ist, natürlich ohne dass die Ukraine von Russland besetzt wird, denn das wäre der blanke Horror, man muss nur an die Filtrationscamps und die Leichen denken, die jeden Tag gefunden werden. Auch wenn mein Redebeitrag noch so klein ist, kann er doch dazu beitragen, dass sich etwas bewegt. Und ich sage: Es ist egal, dass man es hätte sehen müssen, was passieren wird. Während wir hier reden, geht es ja immer weiter. Menschen finden genau in diesem Moment keinen Schlaf mehr, verlieren ihr Haus oder ihr Leben.

Was können Bücher in solchen Situationen beitragen?

Ich glaube, Literatur ist wichtig, damit wir Menschen bleiben. Wenn ich mit meinem Kind im Keller sitzen müsste, dann hätte ich gern ein gutes Buch dabei. Wenn es mir am schlechtesten geht, schreibe ich am meisten, um klarer denken zu können und diese Situation zu überstehen. Ich weiß auch, dass in der Ukraine gerade sehr viel geschrieben wird. Ich glaube, die Fähigkeit, Erlebnisse in Worte zu fassen und auf Papier zu verewigen, die uns überdauern können, kann helfen, den Verstand nicht zu verlieren. Aber wenn man verhungert, dann kann Literatur nicht helfen. Man kann Bücher nicht essen.

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