Sozialproteste und Russlandpolitik: Wo ist die Linkspartei?

Der Linken fehlt der Wille zum Bruch mit Putins Sprechpuppen. Dabei braucht es die Partei angesichts der elitären Krisenpolitik der Ampel dringend.

Sevim Dağdelen gestikuliert beim Sprechen während einer Demonstration

Sevim Dağdelen während einer prorussischen Friedensdemo am 18. Februar 2022 Foto: Florian Boillot

Deutschland führe einen „irrsinnigen Wirtschaftskrieg“ gegen Russland. Wer die Ukraine mit Waffen unterstütze, sei ein „antirussischer Ideologe“ und „Bellizist“, also Kriegstreiber. Die Täter sind die Opfer.

Diese Orwellsche Verdrehung stammt nicht vom russischen Außenminister Lawrow, sondern von Sevim Dağdelen, die für die Linksfraktion im Auswärtigen Ausschuss des Bundestages sitzt. Sahra Wagenknecht hält Sanktionen gegen Putin für „irre & gefährlich“ und sieht einen „wahnsinnigen Krieg“, den die Grünen gegen Russland führen. Klaus Ernst, linker Vorsitzender des Wirtschaftsausschusses des Bundestages, will NordStream 2 öffnen und Putin einen Propaganda-Erfolg mit Schleifchen schenken.

Der Pro-Putin-Flügel in der Partei ist nicht groß, aber laut. Er besetzt noch immer Schlüsselpositionen in der Fraktion. Wie viel Zerstörung er anrichten kann, zeigt die Affäre um die gescheiterte Ukrainereise der Parteichefin Janine Wissler, die der Pro-Putin-Flügel durch Indiskretionen verhinderte. Die Parteispitze klingt in Sachen Russland zwar vernünftiger. Aber zum klaren Bruch mit Putins Sprechpuppen fehlt ihr alles – Klarheit, Wille, Mut.

Man könnte dieses Kapitel im langen Niedergang der Partei mit dem üblichen melancholischen Achselzucken quittieren. Aber die Zeiten sind nicht so. Die Krisenbewältigung der Ampel wirkt ziellos. Und vor allem im Osten braut sich eine Mixtur aus berechtigten Sorgen vor Teuerungen und Hass auf „die da oben“ zusammen.

Vielleicht bleibt es beim Donnergrollen, vielleicht entlädt sich dieses Gewitter im Herbst. Dann allerdings wird nur eine funktionsfähige Linkspartei verhindern können, dass diese Protestenergie der AfD zufließt. Das ist keine theoretische Idee. Der PDS in den 90er Jahren und der Linkspartei nach der Agenda 2010 ist es gelungen, rechte Ressentiments mit sozialen Protesten zu verbinden und zu amalgamieren.

Gegen die weiche Flanke der Ampel

Kann das wieder gelingen? Janine Wissler fordert das Richtige: Gaspreisdeckel, ein Grundkontingent Gas für jeden, eine Übergewinnsteuer für Konzerne. Damit trifft sie die weiche Flanke der Ampel, die unfähig ist, die Eliten an den Krisenkosten zu beteiligen.

Aber die Linkspartei ist in desolater Verfassung. Ihre Russlandpolitik komplett unglaubwürdig zu nennen, ist untertrieben. Sie zerfällt in sozialdemokratische Etatisten und radikale Klimabewegte, in eine wokeness-Fraktion und Gewerkschaftstraditionalisten, die mitunter nur ihre gegenseitige Verachtung verbindet. Die Partei müsste nun, ausnahmensweise mal geschlossen, zweierlei tun: schwungvoll Sozialproteste organisieren – und scharfe Distanz zum Putin- Appeasement der AfD zeigen. Es ist zweifelhaft, ob sie dazu in der Lage ist.

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Stefan Reinecke arbeitet im Parlamentsbüro der taz mit den Schwerpunkten SPD und Linkspartei.

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