Hamburger Ausstellungsort „Parabel“: Ein Zuhause für verkannte Kunst

Im einer umgenutzten Hamburger Kirche entsteht ein Ausstellungszentrum für die lokale Kunst. Initiiert hat „Parabel“ die Kunstsammlerin Maike Bruhns.

Blick auf Kirche und Gemeindehaus hinter Bäumen

Wird Ausstellungs- und Forschungszentrum: St. Nikodemus-Kirche samt Gemeindehaus in Hamburg-Ohlsdorf Foto: Miguel Ferraz

HAMBURG taz | Es ist eine bizarre Fehleinschätzung: die eigene, das heißt lokale Kunst- und Kulturproduktion geringer zu schätzen als die von anderswo. Die ihrerseits zu Hause nur wenig gilt und in der Ferne viel. Vielleicht hat es mit einem starren Solidaritätsbegriff à la „Niemand darf herausragen“ zu tun? Vielleicht mit Oberflächlichkeit nach dem Motto: Wir wollen international strahlen – was kümmern uns da die Kulturschaffenden von hier?

So, in etwa, müssen Hamburgs Kaufleute, Privatiers, Sammler und Ausstellungsmacher jahrzehntelang gedacht haben – und tun es teils noch heute. Die örtlichen Ausstellungshäuser kaufen Hamburger Kunst zwar an, weil es zu ihrem Auftrag gehört, stellen sie aber selten aus: zu unbekannt, zu wenig tourismuskompatibel die Namen. „So zu denken ist ja auch legitim“, sagt Maike Bruhns. „Aber das rechtfertigt nicht, dass Hamburger Kunst seit vielen Jahren in den Depots liegt. Einen Ausstellungsort speziell für Hamburger Kunst gibt es in dieser Stadt bis heute nicht.“

Einen solchen Ort will die 81-jährige Kunsthistorikerin und Sammlerin nun schaffen. Bruhns weiß, wovon sie spricht: In den 1980er-Jahren war sie eine der ersten, die sich in ihrer Promotion mit der jüdischstämmigen Malerin Anita Rée befasste. Diese in der Weimarer Republik hoch dekorierte neosachliche Künstlerin hatte 1919 die KünstlerInnenvereinigung „Hamburgische Secession“ mitgegründet und deren Stil maßgeblich geprägt. 1933 nahm sich Rée das Leben – unklar, ob aus politischen oder psychischen Gründen.

Im Zuge ihrer Recherchen fiel Bruhns damals auf, „dass Hamburger Kunst in der Nazi-Zeit nirgends systematisch bearbeitet war. Das fand ich angesichts der vielen tragischen Künstlerschicksale sehr ungerecht.“ Also habe sie sich beim damaligen Bürgermeister einen Forschungsauftrag „erbettelt“ und befasste sich mit weiteren Secessions-KünstlerInnen: Rolf Nesch, Karl Kluth, Wilhelm Grimm, Gretchen Wohlwill.

Maike Bruhns

„Parabel“-Initiatorin Maike Bruhns Foto: Interessiert an der Überschneidung von Kunst und Geschichte: Maike BruhnsFoto: privat

2001 gab sie die beiden Bände „Kunst in der Krise“ über die Geschichte Hamburger Kunst im „Dritten Reich“ heraus. Die Hamburgische Secession etwa war so selbstbewusst wie gefährdet: Ihre regimekritische Frühjahrsausstellung 1933 wurde von den NS-Machthabern als „kulturbolschewistisch“ geschlossen. Auf die Anweisung hin, alle jüdischen Mitglieder auszuschließen, löste sich die Gruppe dann im Mai 1933 auf.

All dies war weder weithin bekannt noch systematisch aufgearbeitet. „Hamburger Kunst des 20. und 21. Jahrhunderts ist in ihrer Vaterstadt seit 1945 noch immer unterbewertet und oft als zweitrangig angesehen“, sagt Bruhns, „obwohl sie qualitativ eigenständig und charaktervoll ist.“ In der Tat: Rolf Nesch kann sich durchaus mit Edvard Munch messen, und Gretchen Wohlwilll mit Max Liebermann, wie eine von Maike Bruhns mit verantwortete Ausstellung 2019 in der Hamburger Kunsthalle bewies.

Aber auch diese wenigen Schlaglichter änderten nichts daran, „dass immer wieder bedeutende KünstlerInnen aus Hamburg nach Berlin, München, Halle abwandern, wo sie besser gefördert werden“, sagt Maike Bruhns. „Dass Hamburger Sammlungen und Nachlässe oft in andere Orte gegeben werden, weil ihre Besitzer sie dort als besser gewürdigt empfinden.“

Mit Maike Bruhns’ eigener Sammlung wird das nicht passieren: 2.500 Gemälde, Skulpturen, Grafiken, Materialbilder von 350 Hamburger KünstlerInnen vom Ersten Weltkrieg bis heute hat sie seit Beginn ihrer Promotionsrecherche zusammengetragen – Arbeiten von Verfemten und Verfolgten, von linken KünstlerInnen und solchen im Exil. „Immer, wenn mir etwas gezeigt wurde, unter dem Sofa, hinter dem Schrank, im feuchten Keller, habe ich es erworben“, sagt sie. Oft habe sie sich auch Vernissage-Reden mit Kunst bezahlen lassen. „Das ist in Kunsthistorikerkreisen so üblich, weil Künstler erfahrungsgemäß oft nicht viel Geld haben.“

Erforscht und dokumentiert sind ihre Bestände inzwischen gut: Im vergangenen Jahr hat Maike Bruhns ein Werkverzeichnis herausgegeben und die Sammlung in eine Stiftung überführt. Aber was nun damit tun? Wie lässt sich diese Kunst öffentlich zugänglich machen, wie die Forschung vorantreiben?

Fünf Jahre lang hat Maike Bruhns nach einem Ort gesucht und ist nun fündig geworden: In der denkmalgeschützten, kürzlich entwidmeten St.-Nikodemus-Kirche im Stadtteil Ohlsdorf, mitsamt Kita und Gemeindehaus erbaut zwischen 1953 und 1963. Hier soll „Parabel“ entstehen, ein Zentrum für Kunst in Hamburg: Nach einigen Umbauten sollen ab 2023 drei bis vier Ausstellungen jährlich stattfinden, bestückt – auch, aber nicht nur – aus Maike Bruhns’ Sammlung.

Die GmbH, die den Ort betreibt, hat das Ensemble Nikodemus, das nach wie vor der Kirchengemeinde gehört, in 99-jähriger Erbpacht übernommen. Die Kita wird bleiben, 2024 endet aber der Mietvertrag der Evangelischen Stiftung Alsterdorf für das Gemeindehaus. Dann soll dort eine große kunsthistorische Fachbibliothek hinein, bestückt aus Bruhns’ eigener Bibliothek sowie jener von Claus Mewes. Der langjährige Chef des Hamburger Kunsthauses wird in Ohlsdorf Geschäftsführer und Kurator.

Im Rahmen jeweils zu vergebender Projektaufträge werde sich das neue Forschungszentrum „mit der jüngeren und jüngsten Kunstgeschichte Hamburgs und den Lücken in ihrer wissenschaftlichen Darstellung befassen“, sagt Maike Bruhns. „Für mich persönlich ist immer die Überschneidung von Kunst und Geschichte am wichtigsten gewesen: wenn Kunst nicht nur Dekoration an der Wand ist, sondern Stellung nimmt zum Zeitgeschehen.“

Das wird das neue Zentrum unweit des Haupteingangs des Ohlsdorfer Friedhofs zweifellos. Und zwar aus dem für die Stadt so typischen Bürgerengagement heraus, das häufig kompensieren muss, was der Staat versäumt. Vor Jahren hat Maike Bruhns in Eigenregie das „Archiv für Verfolgte Kunst“ am Warburg-Haus gegründet, auch das neue Forschungszentrum initiiert sie als Privatier. „Dass wir von der Stadt gefördert werden“, sagt sie, „erscheint uns nach unseren bisherigen Erfahrungen wenig wahrscheinlich.“

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