Drohende Rationierung von Energie: Kein Gas mehr für Hähnchenställe?

Wenn Gas rationiert wird, sollten Hühnermäster das Nachsehen haben, sagt Greenpeace. Der Vegetarierverband ProVeg will pflanzliche Kost bevorzugen.

Hühner in einem Freilandgehege.

„Keinen Vorrang für die Hähnchenmast!“, fordern UmweltschützerInnen Foto: Imago

BERLIN taz | UmweltschützerInnen und VegetarierInnen fordern, bei einer Rationierung von Gas nicht alle Lebensmittel als systemrelevant einzustufen – anders als die Branche das verlangt. „Keinen Vorrang für die Hähnchenmast!“, sagte Martin Hofstetter, Agrar­ingenieur von Greenpeace, der taz: „Man kann sich auch ohne Hähnchenfleisch ernähren. Ich finde es wichtiger, dass die Menschen eine einigermaßen warme Wohnung haben, als dass wir zu 100 Prozent ausreichend Hähnchenfleisch haben.“

„Im Falle einer Gasverteilung sollten Ressourcen schonende Nahrungsmittel für die Grundversorgung Vorrang haben“, ergänzte Matthias Rohra, Geschäftsführer des VegetarierInnenverbands ProVeg. Pflanzliche Nahrungsmittel wie Gemüse, Obst und Getreide seien „generell weniger ressourcenintensiv und damit klimafreundlicher“ als tierische Produkte. „Pflanzliche Nahrungsmittel sollten mit Blick auf das Gemeinwohl daher priorisiert werden. Dies gilt besonders angesichts der anhaltenden Belastung einkommensschwacher Haushalte aufgrund der hohen Lebensmittelpreise.“

Sollte das Wirtschaftsministerium einen Gasmangel in Deutschland infolge eines russischen Lieferstopps feststellen, muss die Bundesnetzagentur die knappen Mengen verteilen. Privathaushalte, Heizkraftwerke und soziale Einrichtungen wie Krankenhäuser etwa sollen laut Gesetz bis zuletzt beliefert werden. Doch welche Wirtschaftsbereiche wie viel Gas erhalten werden, ist offen. Deshalb will der Lebensmittelverband Priorität für seine gesamte Branche – egal, welche Art von Nahrungs- oder Genussmittel das jeweilige Unternehmen produziert. „Die gesamte Ernährungsindus­trie ist systemrelevant, denn alles hängt mit allem zusammen“, schrieb Christoph Minhoff, Hauptgeschäftsführer des Branchenverbands BVE, der taz. Netzagentur-Chef Klaus Müller hatte bereits durchblicken lassen, Schokoladenkekse zum Beispiel gehörten für ihn „wohl nicht zum kritischen Bereich“.

Vegetarier, Umwelt- und Tierschützer kritisieren auch die Geflügelmast, unter anderem weil hier zum Beispiel 40.000 Hühner pro Stall auf wenig Platz gehalten werden. Das schränkt deren Bewegungsspielraum ein, es fallen große Mengen Exkremente an, wobei die Entsorgung Wasser verschmutzen und zum Artensterben beitragen kann. Der Zentralverband der Deutschen Geflügelwirtschaft (ZDG) schätzt den Gasbedarf seiner Branche auf 2,75 ­Millionen Megawattstunden pro Jahr. Das entspricht der Menge für Heizung und Warmwasser von rund 220.000 Wohnungen der deutschen Durchschnittsgröße von 90 Quadratmetern. Die Geflügelbranche heize mit dem Gas zum Beispiel die Mastställe in den ersten beiden Lebenswochen der Hühnerküken auf 38 Grad, sagte ZDG-Sprecher ­Michael Steinhauser der taz.

Träge Schweineproduktion

Anders als Vegetarierlobbyist Rohra will Umweltschützer Hofstetter die verschiedenen tierischen Produkte in der Gaszuteilung unterschiedlich behandeln. „Bei den Hähnchen könnte man die Produktion im Winter vier oder acht Wochen aussetzen. Das ist der Vorteil der sehr flotten Mast von 30 Tagen“, so der Greenpeace-Aktivist. Bei Schweinen oder Rindern dagegen seien solche Pausen schwierig, weil die Produktionszyklen länger seien. Müssten deutsche Schlachthäuser infolge von Gasmangel pausieren, würde das Vieh im Ausland getötet. „Dann haben wir mehr Tiertransporte“, unter denen das Vieh leide, warnte Hofstetter.

Der ZDG lehnte eine Benachteiligung seiner Branche bei der Zuteilung von Gasmengen ab. „Wenn Sie den Anteil an ­Proteinen, die Sie mit einem Stück Geflügel zu sich nehmen, ersetzen wollen würden mit Hülsenfrüchten oder Ähnlichem, hätten Sie eine deutlich höhere Nahrungsaufnahme“, sagte ZDG-Sprecher Steinhauser. Falls deutsches Hähnchenfleisch knapp würde, stiegen Importe etwa aus Polen oder Brasilien an, wo die Tierschutzstandards niedriger seien. Sollten Höfe im Winter kein Geflügel mästen können, würden dem Sprecher zufolge viele aufgeben.

Umweltschützer Hofstetter wies aber darauf hin, dass die Deutschen im Schnitt mehr Fleisch und Proteine äßen als empfohlen, die Produktionsreduktion nur vorübergehend wäre und Überbrückungshilfen für Bauern denkbar seien.

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