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: „Schnauze voll!“ Deutscher Diplomat rastet vor Medien in Bosnien aus

Die zahlreichen Angriffe auf Schmidt haben offensichtlich Spuren hinterlassen

Bei dem deutschen Spitzendiplomaten Christian Schmidt liegen offensichtlich die Nerven blank, Auf einer Pressekonferenz am Mittwoch in Bosnien und Herzegowina wurde der 64-Jährige gegenüber einem Journalisten ausfällig und brüllte ihn an. Was er da frage, sei „rubbish, full ­rubbish“ – Müll, großer Müll –, erregte sich Schmidt.

Der Wutausbruch des Hohen Repräsentanten der internationalen Gemeinschaft in Bosnien und Herzegowina schlug nicht nur in Bosnien hohe Wellen. Der ehemalige CSU-­Landwirtschaftsminister, der seit einem Jahr das Amt innehat, gilt eigentlich als besonnener Mann. Bisher hat er viel Geduld für die Probleme in Bosnien und Herzegowina ­aufgebracht. Dass er sich auf einer Ver­anstaltung in dem Städtchen Goražde auf die Frage von ­Journalisten zu einer Wahlrechts­änderung zugunsten der kroatischen Na­tionalistenpartei HDZ angeblich auf die Seite der Kroaten gestellt habe, brachte ihn in Harnisch.

Goražde war während des bosnischen Krieges über dreieinhalb Jahre von serbischen Truppen eingeschlossen gewesen und ständig von Artillerie beschossen worden. Heute gehört die vor allem von Bosniaken bewohnte Gemeinde zur bosniakisch-kroatischen Föderation von Bosnien und Herzegowina, dem zweiten Teilstaat neben der serbischen Teilrepublik.

Die kroatischen Nationalisten wollen mit aller Kraft und Unterstützung Kroatiens durchsetzen, dass sie mit einer Wahlrechtsreform, die vor allem die zweite Kammer betrifft, eine Mehrheit erreichen und damit jegliche Beschlüsse des Parlaments in der Föderation blockieren können. Mehr noch, viele Journalisten, die Mehrheit der Bosniaken und der nicht­na­tio­na­lis­ti­schen Öffentlichkeit vermuten, die kroatischen Nationalisten strebten mit der Reform einen dritten kroatisch dominierten Teilstaat an, um das Land endgültig nach ethnonationalistischen Kriterien aufzuteilen. Daher hat die Frage der Wahlreform ihre Brisanz.

Vor allem Medienmacher aus Sarajevo glauben, Schmidt stehe angesichts des Drucks aus Kroatien hinter diesem Projekt. Deshalb hatte er sich in den vergangenen Wochen vielen Anfeindungen ausgesetzt gesehen.

Das hat bei Schmidt offensichtlich Spuren hinterlassen. Es stehe ihm „bis hier“, Angriffen ausgesetzt zu sein, die absolut falsch seien. Er stehe in einer Stadt, in der Menschen vor 30 Jahren ihr Leben verloren hätten, erklärte Schmidt. Man sei in Bosnien nicht dazu da, um politische Spielchen zu spielen. Viele Politiker aller Seiten in diesem Land hätten alles getan, um Fortschritte zu verhindern. Er aber habe die Schnauze voll davon.

Seit vier Jahren blockieren vor allem die HDZ-Politiker die Institutionen der Föderation. Selbst der Präsident der Föderation, Marinko Čavara, sei nicht bereit, für das Land und damit für das Wohlergehen der Menschen zu arbeiten, sagte Schmidt. Er aber werde alles daran­setzen, die Blockaden abzubauen, soweit es in seiner Macht stehe. Er verwahre sich gegen Beschuldigungen, dass er weder die Inte­grität des Landes noch die Interessen der Minderheiten sowie der nichtnationalistischen Bevölkerung verteidige. Die Journalisten sollten ihre Fragen stellen – „aber bitte nehmen Sie hin, wie ich entscheide“. Erich Rathfelder, Split

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