Klimaproteste in Hamburg: Gegen den Wind gepfeffert

Die Polizei verbreitet, sie sei von Kli­ma­ak­ti­vis­t*in­nen mit Pfefferspray angegriffen worden. Beweise fehlen. Kritik an der PR der Polizei.

Ein Polizist duckt sich weg, während ein anderer im Hintergrund Pfefferspray einsetzt

Duckt sich vom Pfefferspray-Strahl des eigenen Kollegen weg: Polizist bei dem Einsatz in Hamburg Foto: C. Peepovicz/AdoraPress

HAMBURG taz | Die Polizei betreibt mit Blick auf die Klimaproteste im Hamburger Hafen am vergangenen Wochenende eine zweifelhafte Informationspolitik. Mit laufenden Nachrichten auf Twitter sowie Stellungnahmen im Nachhinein versucht sie ihre Version der Ereignisse durchzusetzen.

Dabei spricht einiges dafür, dass sie die Unwahrheit verbreitet hat. Das ist umso problematischer als öffentliche Stellen im Journalismus als besonders vertrauenswürdig gelten, sodass deren Darstellung nicht unbedingt gegenrecherchiert werden muss.

Am Samstagnachmittag herrscht im Hafen großes Tohuwabohu. Zweitausend Ak­ti­vis­t*in­nen des Klimabündnisses „Ende Gelände“ wollen die „Logistik des fossilen Kapitalismus“ stören. Eine Gruppe bewegt sich auf einer angemeldeten Route am stillgelegten Steinkohlekraftwerk Moorburg vorbei.

Es geht auf einen neu­ralgischen Punkt – die Kattwyk-Hubbrücke – zu. Bereits in der Vergangenheit wurde diese von Kli­ma­ak­ti­vis­t*in­nen blockiert. Plötzlich bricht ein Teil der Gruppe aus und versucht, auf nahe Gleise zu gelangen.

Friendly Fire

Mit Schlagstöcken und Pfefferspray versucht die Polizei, dies zu verhindern. Aus Überkopfhöhe halten Po­li­zis­t*in­nen in die Menge. Zum Teil sprühen sie darüber hinaus. Ein Polizist dreht sich mit zusammengekniffenen Augen zur Seite. Eine Person liegt mit Platzwunde am Boden. Währenddessen ziehen die restlichen Ak­ti­vis­t*in­nen auf der angemeldeten Route weiter. Auch hier kommt es zum massiven Einsatz von Reizgas und Tonfas.

Angriffe auf die Polizei finden sich in den Aufnahmen, die auf diversen sozialen Medien veröffentlicht wurden, bisher nicht – dafür ein Bereitschaftspolizist, der seine Kol­le­g*in­nen anschreit, nachdem ihn der Pfeffernebel sichtlich erwischt hat: „Nicht auf uns!“

Es sind diese Szenen, um die nun gestritten wird. Denn die Polizei begleitet den gesamten Einsatz mit sporadischen Meldungen beim Kurznachrichtendienst Twitter. Um 17.21 Uhr heißt es dort: „Nachdem die Kräfte auch mit Pfefferspray angegriffen und ca. 15 Polizeibeamte leicht verletzt wurden, wurde die Versammlung aufgelöst.“

Die Bild-Zeitung macht daraus die Schlagzeile: „Klima-Chaoten greifen Polizisten mit Pfefferspray an“. Auch die dpa und viele seriöse journalistische Publikationen übernehmen zunächst ungeprüft die Meldung der Polizei.

Bis heute lässt sich deren Meldung aber nicht bestätigen. Verschiedene Medien recherchieren. NDR „Panorama“ schreibt etwa: Auch nach der Sichtung von mehrere Stunden Videomaterial sei keine Pfefferspray-Anwendung durch die De­mons­tran­t*in­nen zu erkennen. Dagegen führt auch „Panorama“ die Szene an, wo ein Beamter sich über das „friendly fire“ beschwert.

Die Polizei Hamburg hat den Vorwurf der Fake News auf Twitter zurückgewiesen. Alle Bilder und Videos zeigten nur Momentaufnahmen. Gegenüber NDR „Panorama“ rechtfertigt eine Pressesprecherin die Kommunikation mit der Anzeige einer Beamtin und Funksprüchen.

Auch viele seriöse Publikationen übernehmen ungeprüft die Meldung der Polizei

Auf Anfrage der taz heißt es von der Pressestelle der Polizei, auf Twitter würden relevante und belegbare Entwicklungen des Polizeieinsatzes aktuell kommuniziert, insbesondere um polizeiliche Maßnahmen transparent und nachvollziehbar darzustellen, aber auch, um auf Auswirkungen, beispielsweise auf das Verkehrsgeschehen, hinzuweisen. „Ein Pfefferspray wurde nicht sichergestellt“, heißt es weiter. Die Ermittlungen dauerten an.

Ein Tweet, drei Stunden nach der Eskalation, ist natürlich kein Zufall. Während in der Vergangenheit die Polizei als Behörde den Medien ihre Informationen weitergegeben habe und diese dann darüber entschieden hätten, ob und wie darüber berichtet werde, hätten sich die Verhältnisse geändert, schrieb der Polizeigewerkschafter Rainer Wendt bereits vor Jahren. „Die Polizei selbst ist Medium geworden.“

Pflicht zur Recherche

Im Gegensatz zu Journalist*innen, die zu berichten versuchen, was ist, haben polizeiliche Pressestellen jedoch ein anderes Ziel. In dem „Praxisleitfaden für den Weg zu zeitgemäßer PR – Polizeiliche Presse- und Öffentlichkeitsarbeit im digitalen Zeitalter“ steht, es gehe eben darum, das Bild der Polizei zu beeinflussen.

Darauf weist auch Henrik Zörner auf der Seite des deutschen Journalistenverbandes DJV in einem Kommentar zum Hamburger Protest­wochenende hin. „Die Sicherheitskräfte sind nie unparteiische Beobachter, sondern spielen bei Demonstrationen oder anderen Ereignissen eine Rolle“, schreibt Zörner. Weder Bild noch andere Medien dürften deshalb auf die Informationen der Polizei vertrauen, sondern hätten die journalistische Pflicht zur Recherche.

Die Twitterei der Polizei könnte ein rechtliches Nachspiel haben. So schreibt der Jurist Niema Movassat auf Twitter: „Unter Geltung des Sachlichkeitsgebotes ist Ihre Kommunikation rechtlich nicht haltbar.“

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