Grüne über verzögerten Atomausstieg: Zwei Generationen, kein Vertun

Beide sind bei den Grünen. Der eine kämpfte lange gegen Atomkraft. Für den anderen war das Thema abgehakt. Ist es aber nicht. Und nun? Ein Interview.

Michael Schroeren (rechts) und Jakob Blasel vor dem Berliner Reichstag

Michael Schroeren (rechts) und Jakob Blasel vor dem Berliner Reichstag Foto: André Wunstorf

taz: Herr Schroeren, was haben Sie gedacht, als Sie vor elf Jahren im März 2011 von den Kernschmelzen in Fukushima hörten?

Michael Schroeren: Ich war völlig entsetzt und entgeistert: Das darf nicht wahr sein, dass jetzt passiert, was du mit deinem Engagement gegen Atomkraft verhindern wolltest. Fünf Jahre nach der Katastrophe war ich in Fukushima. Auf dem Weg zum Reaktor fuhren wir durch menschenleere Dörfer und Siedlungen. Links und rechts der Straße türmten sich Plastiksäcke, in denen verseuchte Erde gelagert wurde. Rund um das Kraftwerk standen riesige Anlagen mit Tanks für das radioaktiv verseuchte Wasser. Diese Bilder vergisst man nicht. Ob es jemals wieder normales menschliches Leben in der Gegend geben kann, ist fraglich.

Hat das Ihre Haltung zur Atomkraft verändert?

Schroeren: Es hat für mich die Dringlichkeit noch einmal verstärkt, dass wir aus dieser Technologie schnellstmöglich aussteigen müssen.

Herr Blasel, erinnern Sie sich an Fukushima?

Jakob Blasel: Ich war damals 11 Jahre alt und habe das in den Kindernachrichten „Logo“ gesehen. Ich habe da erst verstanden, was ein Atomkraftwerk, was eine Kernschmelze ist. Und was für eine Zerstörungswut diese Technik entfalten kann.

Hat das Thema Atomkraft für Sie danach noch mal eine Rolle gespielt?

Blasel: Nein. Das Thema hat mich glücklicherweise wenig beschäftigt. Kurz nach Fukushima wurde der Atomausstieg beschlossen. Seit ich politisch aktiv bin, war Atomkraft deshalb keine offene Frage mehr. Wir wussten ja, dass wir diese Technologie zumindest in Deutschland los sein werden. Als ich 2017 zur Grünen Jugend kam, habe ich eine Facebook-Einladung bekommen – zu einer Atomkraft-Abschlussparty am 31. 12. 2022. Das war meine erste politische Berührung mit dem Thema: das Ende der Atomkraft in Deutschland.

Herr Schroeren, wann hat Ihr Widerstand gegen Atomkraft ursprünglich begonnen?

Schroeren: In den 1970er Jahren. 1975 habe ich geholfen, den Bauplatz des AKW Wyhl am Oberrhein zu besetzen und mir im Zelt bei eisiger Kälte im Februar den Hintern abgefroren. Wyhl war das Signal für Demos, Besetzungen und Blockaden überall im Land, von Brokdorf bis Gorleben und Wackersdorf.

Warum haben Sie protestiert?

Schroeren: Ich war Pazifist und arbeitete bei der Zeitschrift Graswurzelrevolution. Die gibt es heute noch, sehr lesenswert. Wir interessierten uns brennend für soziale Bewegungen und gewaltfreien Widerstand. Uns faszinierte, wie ein zunächst lokaler Protest sich zu einem gewaltfreien Aufstand am ganzen Oberrhein ausweitete. Die Menschen im Dreiländereck Schweiz, Frankreich und Deutschland wurden sich plötzlich ihrer gemeinsamen alemannischen Identität und Stärke bewusst: Erst verhinderten die Franzosen ein geplantes Chemiewerk im Elsass, dann halfen sie den Deutschen in Wyhl, und danach stoppten alle zusammen ein geplantes Atomkraftwerk bei Basel.

Herr Blasel, wie kommt es Ihnen vor, wenn Sie Herrn Schroeren von Wyhl 1975 reden hören? Der grüne Großvater erzählt vom Krieg?

Blasel: Inhaltlich ist das für mich weit weg. Aber die Taktiken und die Bewegungslogik finde ich in vielen Punkten in der Klimabewegung wieder. Eine meiner ersten Aktionen war 2017 ein Protestcamp gegen Kohle im Leipziger Umland. Die Idee, mit Zelten am Ort der Zerstörung aufzuschlagen, schließt an die Antiatombewegung an.

Schroeren und Blasel

Einig im Prinzip, Diskussionen im Detail: Jakob Blasel und Michael Schroeren Foto: André Wunstorf

Gibt es einen organisatorischen Zusammenhang zwischen den Resten der Antiatombewegung und der Klimabewegung?

Blasel: Wir haben sehr früh entscheidende Unterstützung erfahren von Organisationen, die sehr direkt aus der Anti-AKW-Bewegung hervorgegangen sind. Greenpeace und der BUND standen uns mit Rat und Tat zur Seite. Im Dezember 2018 habe ich meine erste Demo angemeldet und zwei Monate später saßen wir beim Wirtschaftsminister und mussten eine Ansage machen, was wir klimapolitisch wollen. Wir haben die Aktionen zwar aus eigenem Antrieb gestemmt, hätten das aber ohne die Unterstützung dieser Organisationen nicht geschafft. Ich profitiere von den Kämpfen, die die Generation von Herrn Schroeren geführt hat – auch weil ich die Diskussion um Atomkraft nie ernsthaft politisch führen musste.

Ist die Haltung zur Atomkraft bei den Grünen eine Generationenfrage? Die Älteren sind mit dem Kampf gegen Atomkraft biografisch verbunden. Deshalb sind viele strikt gegen den Streckbetrieb, also die befristete Laufzeitverlängerung für drei Atomkraftwerke. Die Jüngeren haben andere Erfahrungen gemacht, scheinen es lockerer zu sehen.

Blasel: Es gibt keine wesentlichen Differenzen. Atomkraft ist gefährlich und bremst die Energiewende. Zum einen gibt es aber einen emotionalen Unterschied, weil wir Jungen den Atomausstieg nicht über Jahrzehnte schmerzhaft erkämpfen mussten. Zum anderen fehlt uns deshalb aber auch Wissen. Ich habe vor diesem Gespräch Kommilitonen gefragt: Hey, wie steht ihr zur Atomkraft? Die meisten finden den Atomausstieg richtig. Aber das Wissen über die konkreten Nachteile und wie es zum Ausstieg kam, ist übersichtlich.

Michael Schroeren

72, demonstrierte 1975 erstmals gegen Atomkraft. Seit 2008 ist er Grünen-Mitglied, beruflich ist er ihnen aber schon länger verbunden: Als Pressesprecher arbeitete er in den 1980er für den Bundesvorstand, unter Rot-Grün für Umweltminister Jürgen Trittin und später auch einige Jahre für die Bundestagsfraktion. Tätig war er allerdings auch für die sozialdemokratischen Um­welt­mi­nis­te­r*in­nen Sigmar Gabriel und Barbara Hendricks. Seit 2017 ist er im Ruhestand.

Jakob Blasel

21, studiert in Lüneburg Rechtswissenschaften. Seit 2017 ist er in der Klimabewegung aktiv, im gleichen Jahr trat er den Grünen bei Im Dezember 2018 organisierte er in Kiel einen der ersten Proteste von Fridays for Future in Deutschland. Bis Sommer 2020 trat er als einer der Bundessprecher der Bewegung auf. Im vergangenen Jahr versuchte er dann, ins Parlament zu wechseln. Platz 8 auf der schleswig-holsteinischen Landesliste reichte aber nicht für den Einzug in den Bundestag aus.

Schroeren: Im Grunde genommen haben der Widerstand gegen Atomkraft und der Kampf für das Klima denselben Hintergrund. Es ging uns von Anfang an um eine Energiewende. Als Alternativen zur Atomkraft galten uns nicht Kohlekraftwerke, sondern die lachende Sonne und der Wind. Auf den besetzten Bauplätzen wurden stolz Modelle von Windrädern und Solarmodulen gezeigt. Ich bestreite aber nicht, dass der Widerstand gegen Atomkraft das Projekt von ein oder zwei Generationen war. Das ist aber auch überhaupt nicht verwunderlich. Warum sollen sich die Jungen heute mit einem Thema befassen, das die Älteren längst abgeräumt haben? Jede Generation muss ihre eigenen Themen setzen und Erfahrungen im Widerstand sammeln.

Also alles bestens und schönste Harmonie?

Schroeren: Nicht ganz. Wenn junge Klimaaktivisten sagen: Atomkraft ist abgehakt, und wenn ein paar Atomkraftwerke Monate oder vielleicht auch Jahre weiterlaufen sollen, ist das nicht so schlimm, dann ziehen sie eine falsche Lehre aus dem Widerstand der Anti-AKW-Bewegung.

Sie sind kategorisch gegen den Streckbetrieb, die Idee also, die AKWs ohne neue Brennstäbe etwas länger laufen zu lassen?

Schroeren: Nach allem, was wir heute wissen, gibt es keine energiepolitisch zwingenden Gründe für einen verlängerten Betrieb der Atomkraftwerke, zumindest nicht, solange alle anderen risikoärmeren Möglichkeiten nicht voll ausgeschöpft sind. Der Stresstest, den das Wirtschaftsministerium gerade führt, wird nichts über den Zustand der Reaktoren und deren Nachrüstungsbedarf aussagen. Das könnten nur regelmäßige Sicherheitsüberprüfungen, die letztmals 2009 stattgefunden haben und deswegen längst überfällig sind. Wie wichtig sie sind, zeigt sich gerade in Frankreich. Dort steht die Hälfte der Atomreaktoren still, weil bei Sicherheitsüberprüfungen Korrosionen in Rohrleitungen festgestellt wurden, die bei einem Erdbeben zu einem Kühlmittelverlust und zur Katastrophe führen könnten. Der Ukrainekrieg führt uns ein zusätzliches Risiko vor Augen: Atomkraftwerke wurden zum ersten Mal Ziele militärischer Angriffe. Auch das zeigt: Wir machen unser Land sicherer, wenn wir die AKWs abschalten.

Wie sehen Sie das, Herr Blasel?

Blasel: Beim Streckbetrieb hätte ich erst mal Bauchschmerzen. Ich würde aber zunächst das Ergebnis des Stresstests abwarten. Ein erster Stresstest hat schon vor Monaten ergeben, dass Atomkraft in der aktuellen Energiekrise keinen Unterschied macht. Nach jetzigem Wissen kann man Gasverbrennung nicht einfach durch Atomkraft ersetzen. Wenn der zweite Stresstest das gleiche Ergebnis liefert, ist die Debatte aus meiner Sicht beendet.

Und wenn nicht?

Blasel: Grundsätzlich sehe ich die Frage des Streckbetriebs nicht dogmatisch. Aber fachlich scheint viel dagegen zu sprechen. Eine generelle Laufzeitverlängerung für mehr AKWs mit neuen Brennstäben lehne ich ab.

Schroeren: Du willst abwarten, was der zweite Stresstest ergibt, und dann vielleicht doch in die Debatte um längere Laufzeiten einsteigen?

Blasel: Wir sollten uns auf die Debatte, ob der Streckbetrieb sinnvoll und vertretbar ist, erst einlassen, wenn klar ist, dass dieser AKW-Strom überhaupt einen Unterschied machen könnte.

Schroeren: Das halte ich für falsch. Die Grünen versuchen derzeit ja mit diesem Mantra, den Ball flach zu halten. Sie haben Angst, im Winter den Sündenbock nicht loszuwerden, wenn die Unionsparteien im Zusammenspiel mit interessierten Medien eine Empörungswelle inszenieren, egal ob es dafür einen sachlichen Grund gibt oder nicht. Deswegen halten Grüne es für klug, sich jetzt nicht allzu weit aus dem Fenster zu lehnen. Ich finde das kurzsichtig. Egal wie das Ergebnis des Stresstests aussieht: Es wird den Druck auf die Grünen dermaßen erhöhen, dass ich Zweifel habe, ob sie sich dann noch wirksam dagegen wehren können, wenn sie es denn überhaupt noch wollen. Deswegen sollten die Grünen jetzt klare Kante zeigen: Kein Weiterbetrieb von Atomkraftwerken. Nein zum nicht verantwortbaren Risiko. Ja zu risikoärmeren Möglichkeiten, die Stromversorgung in der Krise sicherzustellen, vor allem durch massive und systematische Energieeinsparungen. Friedrich Merz und Markus Söder geht es mit dieser sinnlosen Atomdebatte doch nur vordergründig um die Sicherung der Energieversorgung. Dahinter steckt vielmehr ein knallhartes parteipolitisches Kalkül: Ihnen geht es darum, dass die Union endlich zurückerobert, was sie vor langer Zeit an die Grünen verloren hat: die Hegemonie in der Energie- und Klimapolitik. Das kann ihnen nur gelingen, wenn sie erreichen, dass die Grünen entgegen ihrer angeborenen Grundüberzeugung Atomkraftwerke genehmigen und damit ihr Alleinstellungsmerkmal verlieren. Merz und Söder nutzen den verbrecherischen Krieg in der Ukraine für die eigene parteitaktische Agenda. Das ist schändlich und damit dürfen wir sie nicht durchkommen lassen.

Herr Blasel, klingt das für Sie schlüssig?

Blasel: Parteitaktische Überlegungen sind mir grundsätzlich nicht so wichtig. Aber ich fand den Punkt gerade überzeugend. Ich bin in der aktuellen Debatte immer noch dabei, mir neues Wissen über die Risiken der Atomkraft und des Streckbetriebs anzueignen. Diese Unsicherheit in Teilen der Klimabewegung und der Grünen, ob jetzt drei Monate mehr oder weniger den Unterschied machen, könnte aber Tür und Tor öffnen für eine größere Atomdebatte. Da hat mich Michael gerade ein bisschen mitgenommen.

Schroeren: Mangelndes Wissen kann man niemandem vorwerfen, wohl aber mangelndes Interesse, sich zu informieren. Was würdest du davon halten, dass sich die Fridays und andere aktiv darum bemühen, sich in Sachen Atomkraft und Reaktorsicherheit mal organisiert schlau zu machen?

Blasel: Auf jeden Fall. Wir kommen auf dich zurück.

Außerhalb Deutschlands sagen Klimabewegungen und grüne Parteien zum Teil, dass Atomkraft als Übergangstechnologie für eine erfolgreiche und sozial abgefederte Energiewende gebraucht werde. Bringt Sie das nicht manchmal ins Grübeln?

Blasel: Mir ist nicht klar, wie ein Übergang mit Atomkraft gestaltet werden sollte. Bei den Erneuerbaren haben wir ja das Problem, dass nicht immer die Sonne scheint und der Wind weht. Wir müssen es schaffen, diese Schwankungen auszugleichen. Das kann zum Beispiel mit Kraftwerken geschehen, die mit Gas und später mal mit grünem Wasserstoff betrieben werden. Sie kann man flexibler an- und ausschalten, Atomreaktoren nicht.

Schroeren: Manche werfen den Grünen vor, sie hätten die Energiewende in Deutschland falsch aufgezäumt, richtiger wäre es gewesen, erst aus der Kohle und dann aus der Atomkraft auszusteigen. Das ist eine rein akademische Diskussion für den grünen Tisch, aber ohne praktische Bedeutung, weil sie die Rechnung ohne die Dynamik sozialer Bewegungen macht. In den 70ern haben sich die Bauern und Winzer am Kaiserstuhl eben zuerst gegen Atomkraftwerke gewehrt, weil sie darin eine Gefahr für sich und ihre Existenzgrundlage gesehen haben. Ohne diesen Widerstand wäre die Energiewende damals nicht in die Gänge gekommen. 1998 hat Rot-Grün dann parallel den Atomausstieg und den rasanten Einstieg in die Erneuerbaren aufgesetzt. Hätte Schwarz-Gelb ab 2009 nicht beide Prozesse sabotiert, wären wir jetzt viel weiter.

Aktuell treibt ein grüner Wirtschaftsminister den Bau von LNG-Terminals voran. Das Gas aus Russland wird mit Gas aus anderen Ländern ersetzt, vielleicht auch mit Fracking-Gas. Die Kohleverstromung wird hochgefahren, wodurch die CO2-Emission steigt. Für wie gravierend halten Sie das in Abwägung zum Streckbetrieb?

Blasel: Es ist bitter, dass wir gerade so massiv auf fossile Energien zurückgreifen. Ich halte es für einen politischen Fehler, dass gerade LNG-Terminals für Jahrzehnte gebaut werden, dass Pipelines entstehen und Kohlekraft langfristig zementiert wird. Ich verstehe, dass wir gerade mit einer Notlage agieren müssen. Wir können auch gerne über Notlösungen für zwei oder drei Jahre reden. Aber was gerade parallel passiert, ärgert mich viel mehr als jede Abwägung über den Streckbetrieb: Es entsteht Infrastruktur, die uns über Jahrzehnte an fossile Energien bindet.

Wenn Scholz neue Gasfelder vor der Küste Senegals erschließen will oder Habeck langfristige Lieferverträge mit Golfstaaten abschließen möchte, ist das also gravierender als die Diskussion über den Streckbetrieb?

Schroeren: Ich halte beides für schlecht. Nach meiner festen Überzeugung ist aber der längere Betrieb von Atomkraftwerken die noch schlechtere Option, weil damit erstens die Energiekrise nicht behoben werden kann. Und zweitens ist damit ein Risiko verbunden, das im Falle eines Unfalls einen viel größeren Schaden verursachen kann als der Betrieb von Gaskraftwerken.

Blasel: Entscheidend ist für mich, dass die Bundesregierung die falschen Prioritäten setzt: Sie müsste international um Fachkräfte und Know-how für den Einbau von Wärmepumpen werben. Sie müsste sich um bessere Wärmedämmung kümmern. Sie müsste alles dafür tun, Energie einzusparen. Stattdessen beruft man sich auf das Bekannte, indem man fehlendes Gas aus Russland einfach anderswo kauft

Als Partei tragen die Grünen diesen Weg aber mit. Man hat die bittere Pille geschluckt. Würde sich das wiederholen, wenn sich die Spitze jetzt auch für den Streckbetrieb entscheidet – oder kommt es dann doch zur Zerreißprobe?

Schroeren: Ich habe immer noch die Hoffnung, dass eine offene innerparteiliche Diskussion die Zustimmung der Grünen zu einer Laufzeitverlängerung verhindert. Bisher ist davon wenig zu spüren. Die Grünen haben den fatalen Eindruck entstehen lassen, als hätten sie sich mit einer Laufzeitverlängerung schon abgefunden. Das ist keine gute Ausgangsposition für die Debatte, die mit Wucht auf die Grünen zukommen wird. Deswegen sollte die Partei schon jetzt mit allem, was sie hat, eine intensive Aufklärungskampagne führen, warum Atomkraft nach wie vor ein zu hohes Risiko ist und warum es gut ist, wenn die AKWs trotz allem wie geplant zum Jahresende vom Netz gehen.

Blasel: Ich würde gerne noch mal einen Schritt zurückgehen: Wenn die Bundesregierung auch über die nächsten ein bis zwei Jahre keinen Weg findet, die Krise ohne neue fossile Abhängigkeiten einzudämmen, werden Partei und Bewegung das auch nicht mehr so einfach mittragen. Ich werde es zumindest nicht tun. Im Moment geht nur noch so viel durch, weil wir bei Robert Habeck zumindest die Bemühungen sehen, auch den Ausbau der Erneuerbaren weiterhin zu forcieren. Anders als bei Olaf Scholz erkenne ich bei ihm ein politisches Ringen.

Und wie würden sich jüngere Grüne verhalten, wenn die Parteispitze letztlich dem Streckbetrieb zustimmt? Würden sie zusammen mit Jürgen Trittin einen Sonderparteitag einberufen?

Blasel: Ich spreche weder für junge Grüne noch für die Grüne Jugend, aber ich glaube nicht, dass sich viele mit so einer Entscheidung abfinden würden.

Schroeren: Die Unterscheidung zwischen Streckbetrieb und Laufzeitverlängerung halte ich für künstlich und irreführend. Auch Streckbetrieb ist eine Laufzeitverlängerung, für die das Atomgesetz geändert werden müsste. Und bei der Stimmung innerhalb von FDP und Union im Bundestag: Wer garantiert denn den Grünen, dass am Ende nicht etwas ganz anderes aus dem Bundestag herauskommt? Ich befürchte: Wer sich auf Streckbetrieb einlässt, wird bei Laufzeitverlängerungen landen.

Blasel: Dafür müsste aber die Koalition zerbrechen.

Schroeren: Kann sein. Kommt ganz drauf an, wie sehr sich die Grünen noch beugen lassen.

Oder die Grünen machen eine weitere Wendung und stimmen am Ende sogar drei weiteren Jahren Atomkraft zu. In den letzten Monaten hat die Partei schließlich schon einige Positionen abgeräumt, die als heilig galten.

Jakob Blasel, Grüner und Klimaaktivist

„Wenn die Grünen Atomkraft für Jahre zulassen, rüste ich zum Atomkraftgegner um“

Blasel: Dann rüste ich aber ganz schnell zum Atomkraftgegner um.

Gibt es einen Punkt, an dem Sie sagen würden: „Das ist nicht mehr meine Partei. Ich trete aus“?

Schroeren: Den mag es geben. Aber ich hoffe, dass die Grünen ihn nicht erreichen.

Blasel: Eher nein. Für einen Austritt muss man sich sehr von der Partei entfremdet haben. Ich habe kein Verständnis für Leute, die austreten, nur um sich zu profilieren oder noch heute davon erzählen, wie sie die Partei vor 30 Jahren verlassen haben.

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