berliner szenen
: Atmosphäre ewiger Nachsaison

Wer sich durch den Fichtenwald dem 220 Hektar großen Gewässer zum ersten Mal nähert, wird erst mal stutzen, wenn man plötzlich Wasser sieht, so weit das Auge reicht. Der See ist ein ehemaliger Tagebau, den man noch zu DDR-Zeiten ohne großes Aufheben zulaufen ließ, und das ist jetzt ein Problem geworden. Seit im vergangenen Jahr ein Teil des ungesicherten Ufers abgerutscht ist, sind die kilometerlangen Sandstrände rund um den See für Badende gesperrt, an den beliebtesten Stellen mit Gitterzäunen.

Nun sind die Strandhütten verwaist. Auf dem Campingplatz nächtigen nur ein paar Radtouristen auf der Durchreise. An der Uferpromenade haben die meisten Kioske geschlossen; in den beiden Imbissbuden, die trotzdem ihr Glück versuchen, langweilen sich die Betreiber und sind froh über jeden Gast, der eine Waffel oder ein Langos bestellt. Es ist eine gespenstische Szenerie, als hätte der Lockdown nie aufgehört. Mitten im Hochsommer herrscht eine Atmosphäre ewiger Nachsaison.

Die Leute aus der Gegend halten sich weitgehend an das Badeverbot und fahren in überfüllten Nahverkehrsbimmelbahnen zum Strandbad in der Nachbarstadt. Dabei sind die Zaunteile, die den Strand versperren, nur mit Schellen zusammengehalten, und irgendwo kommt man immer durch. Besonders in den Abendstunden sieht man von der Uferpromenade ein paar versprengte Badende.

Wenn an der Stelle, an der sie sich sonnen oder schwimmen, abermals das Ufer abrutschen sollte, wären sie wahrscheinlich tot: eine Art umgekehrter Tsunami würde sie unter Wasser ziehen. Vor einer Patrouille von Polizei oder Ordnungsamt muss man sich aber kaum fürchten. Bis die den langen Strand aufgerollt haben, wären die meisten Badenden schon lange im Wald verschwunden. Tilman Baumgärtel