Fragwürdiger Abschiebegewahrsam am BER: Brandenburger Tricksereien

Das geplante Ein- und Ausreisezentrum am Berliner Flughafen soll von einem wegen Korruption vorbestraften Investor gebaut werden. Warum bloß?

Demonstranten tragen Transparent mit der Aufschrift "United against Deportation Center BER!!!"

Protest gegen den Bau eines Abschiebezentrums am Berliner Flughafen BER im Februar 2022 Foto: Florian Boillot

BERLIN taz | „Die wollen am Parlament vorbei Tatsachen schaffen“, schimpft Andrea Johlige. Die Brandenburger Linke-Abgeordnete setzt sich schon seit Jahren gegen den Bau des geplanten „Behördenzentrums“ am Flughafen Berlin-Brandenburg (BER) ein. Dort soll laut Brandenburger Innenministerium (MIK) die Einreise von Asylsuchenden, aber auch deren „freiwillige und unfreiwillige Ausreise“ künftig „effizient und zügig“ abgewickelt werden.

Johlige befürchtet, dass in Schönefeld ein bundesweites „Abschiebedrehkreuz“ entsteht. Auf einer Fläche von 4,4 Hektar wollen der Bund und das Land Brandenburg sieben Gebäude für Ankunft, Transit, Gewahrsam und Rückführungen errichten – wobei der Abschiebegewahrsam von derzeit 20 auf 120 Plätze erweitert werden soll.

Eigentlich sollten die Bauarbeiten für das Projekt bereits in diesem Jahr losgehen. Auf taz-Anfrage teilt das MIK mit, dass mit dem Bau „möglichst im Jahr 2023 begonnen werden sollte“. Eine Inbetriebnahme werde für Ende 2025, Anfang 2026 angestrebt. Zu den Kosten könne zum gegenwärtigen Zeitpunkt keine Aussage getätigt werden. „Die dafür notwendigen Vertragsverhandlungen sind noch nicht abgeschlossen“, so ein Ministeriumssprecher.

Auch die Linken-Abgeordnete Johlige hat versucht, mehr über die Kosten und Verträge herauszufinden – vergeblich. „Die mauern ohne Ende. Und wenn Ministerien so mauern, haben sie etwas zu verbergen“, ist sich Johlige sicher.

Umgehung des seinerzeitigen Linken-Finanzministers

Was das sein könnte, zeigen Recherchen des ARD-Magazins „Kontraste“, des RBB und der Plattform „FragDenStaat“, die Hunderte interne Dokumente mehrerer Landes- und Bundesbehörden ausgewertet haben. Die legen nahe, dass sich das MIK ursprünglich für die Zusammenarbeit mit einem wegen Korruption vorbestraften Investor entschieden hat, um den damaligen Landesfinanzminister Christian Görke (Linkspartei) zu umgehen und so den Bau des Abschiebezentrums ohne größeren politischen Gegenwind durchzusetzen.

Begonnen hatte das Ganze im Jahr 2018 unter der seinerzeit amtierenden rot-roten Landesregierung. Der damalige Landesinnenminister Karl-Heinz Schröter (SPD) wollte auf dem Grundstück des Unternehmers Jürgen B. Harder eine Nachfolgeeinrichtung für die Anfang 2017 geschlossene Abschiebungshafteinrichtung in Eisenhüttenstadt errichten lassen, angeblich, weil dies das einzige bebaubare Gelände war.

Aufzeichnungen des Bundesinnenministeriums (BMI) legen jedoch einen anderen Grund nahe: „Da der Finanzminister von der Linken gestellt wird, will der Innenminister kein eigenes Gebäude errichten, sondern von einem Investor errichten lassen und dann anmieten“, heißt es im Januar 2019 in einem Protokoll des BMI.

Das MIK, das mittlerweile von dem CDU-Mann Michael Stübgen geleitet wird, dementiert auf taz-Nachfrage einen derartigen Zusammenhang. Der Grund für das seinerzeitige Interesse des Ministeriums an einer Investorenlösung „hatte nach unserer Kenntnis ausschließlich mit der Realisierungsgeschwindigkeit und der Verfügbarkeit geeigneter Flächen in Flughafennähe zu tun“, so ein Sprecher.

Dass durch die Investorenlösung die Kosten für die Abschiebeeinrichtung erst auftauchen, wenn das Projekt fertiggestellt ist und die Miete fällig wird, soll keine Rolle gespielt haben. Hätte das Land hingegen selbst gebaut, hätte 2018 kein Weg vorbeigeführt am Landeshaushalt und damit am Landesfinanzminister Görke.

Christian Görke, der mittlerweile für die Linkspartei im Bundestag sitzt, bezeichnet die Umgehung seines seinerzeitigen Ministeriums gegenüber der taz als „Skandal“. Die Linkspartei habe sich „politisch sowie finanziell gegen den Neubau einer Abschiebeeinrichtung ausgesprochen“. Der Versuch der SPD, die Pläne über ein Investorenmodell dennoch durchzusetzen, müsse „bei einer möglichen zukünftigen Zusammenarbeit politisch bewertet werden“.

Laut MIK wurde das Projekt Mitte 2019 beendet, weil es „für das Land Brandenburg keinen hinreichenden Bedarf an Abschiebungshaftplätzen gibt, der eine solche Investition rechtfertigen würde“. Ein Jahr später, in Brandenburg regiert mittlerweile eine rot-schwarz-grüne Koalition, beschließen das Bundes- und das Landesinnenministerium stattdessen ein sehr viel größeres „Einreise- und Ausreisezentrum“ am BER, in dem unter anderem Brandenburgs Zentrale Ausländerbehörde, die Bundespolizei und das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge unterkommen sollen.

Ende Oktober 2021 – kurz vor Ende der Amtszeit von Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) – schließen das BMI und das MIK eine Grundsatzverständigung über das „Behördenzentrum“ ab, die auch unter der neuen Regierung Bestand hat. „Der Koalitionsvertrag sieht eine Rückführungsoffensive vor, um die Ausreisepflicht konsequenter umzusetzen“, so ein Sprecher des mittlerweile von Nancy Faeser (SPD) geleiteten Bundesinnenministeriums zur taz. Demnach wurden im vergangenen Jahr 11.982 Menschen abgeschoben, im ersten Halbjahr 2022 waren es 6.198.

Durch die Eröffnung des BER Ende 2020 und das damit einhergehende „Migrationsgeschehen“ seien „zusätzliche Strukturen zur Einreise und Ausreiseabwicklung in Flughafennähe zu schaffen“. Dafür habe die Bundespolizei einen Bedarf von 12 Unterbringungsmöglichkeiten für Zurückweisungen und Zurückschiebungen angemeldet. Die Pläne des MIK sehen Kapazitäten für 80 bis 90 Personen vor. Laut BMI gibt es aktuell bundesweit insgesamt 656 Abschiebungshaftplätze.

Deal mit fragwürdigem Investor

Das geplante millionenschwere Abschiebungszentrum soll erneut der Investor Jürgen B. Harder bauen und später an Bund und Land vermieten. Eine Ausschreibung gab es auch hier nicht.

Warum das Land nicht selbst baut, sondern mit einem Unternehmer zusammenarbeitet, der 2015 im Zusammenhang mit einem Schmiergeldskandal zu einer Bewährungsstrafe von zwei Jahren verurteilt wurde, erklärt das MIK auf taz-Nachfrage damit, dass sich „ein wesentlicher Teil der für das beabsichtigte Bauvorhaben benötigten Flurstücke“ im Besitz Harders befinde. Für weitere Grundstücke besitze dieser eine verbindliche Kaufoption, weshalb das Projekt nur in Kooperation mit Harder realisierbar sei. Auch eine Enteignung will das MIK geprüft haben.

Laut Recherchen von „FragDenStaat“ besitzt Harder allerdings lediglich einen Bruchteil der Grundstücke, auf denen er bauen soll. Erst im April 2019 sicherte sich der Ehemann von Ex-Schwimmstar Franziska van Almsick eine Kaufoption für weitere Grundstücke, kurz darauf änderte das MIK seine Pläne und verlegte das Abschiebezentrum auf die neuen Grundstücke – die Harder immer noch nicht gehören.

Für Andrea Johlige bleiben viele Fragen offen: „Wen wollten sie enteignen, wenn dem Investor die Grundstücke gar nicht gehören?“, so die Linken-Politikerin. „Entweder wusste das Innenministerium, dass ihm die Grundstücke nicht gehören, dann hätte es den Landtag getäuscht, oder der Investor hat das Innenministerium getäuscht, dann sollte man erst recht nicht mit ihm zusammenarbeiten.“

Johlige will den Vorfall im Innenausschuss aufklären und hofft, das Abschiebezentrum noch verhindern zu können – oder zumindest kleiner ausfallen zu lassen. Dann müsste das Land aber selber bauen, fordert sie. „Das ist kostengünstiger, Investoren wollen schließlich Rendite.“ Johlige rechnet damit, dass Harder mit dem Abschiebezentrum in den nächsten 30 Jahren mindestens 100 Millionen Euro verdient.

„Anstatt Schönefeld zu einem Hotspot für Abschiebungen zu machen, sollte lieber Geld in Teilhabe investiert sowie Bleiberechtsmöglichkeiten ausgeschöpft werden“, fordert Mustafa Hussien vom Flüchtlingsrat Brandenburg. Der lehnt das geplante Behördenzentrum, in dem Geflüchtete isoliert und eingesperrt würden, grundsätzlich ab. „Der Ruf nach vermeintlich ‚konsequenteren‘ und ‚effizienteren‘ Abschiebungen geht zulasten eines fairen und rechtsstaatlichen Asylverfahrens“, so Hussien.

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