Umweltkatastrophe an der Oder: Der Oderausbau und das Fischsterben

Noch ist unklar, was die Umweltkatastrophe ausgelöst hat. Doch der Ausbau auf polnischer Seite kann dazu beigetragen haben, sagen Umweltschützer.

Bagger am Oderufer

Angeblich zum Hochwasserausschutz: Buhnenausbau an der Oder Foto: Patrick Pleul

BERLIN taz | Es ist der Tag, an dem Polens Ministerpräsident handelt. Am Samstagnachmittag entlässt Mateusz Morawiecki wegen der Umweltkatastrophe in der Oder zwei Spitzenbeamte: den Chef der Wasserbehörde Przemysław Daca und den Leiter der Umweltbehörde Michał Mistrzak. „Eine solche Situation war keineswegs vorhersehbar“, schrieb Morawiecki auf Twitter über das massenhafte Fischsterben in der Oder. „Aber die Reaktion der verantwortlichen Behörden hätte schneller erfolgen müssen.“

Am selben Tag hält sich Sascha Maier in Polen auf. In Nietkowice an der mittleren Oder beobachtet der Referent für Gewässerpolitik des BUND Bauarbeiten am Oderufer. „Die Bauarbeiten an den Buhnen waren in vollem Gange“, sagt Maier der taz. Trotz der „Vergiftung der Oder“, wie es der PiS-Ministerpräsident nennt, gehen die polnischen Arbeiten zum Ausbau der Oder also weiter.

Bauarbeiten weit gediehen

Ein klarer Fall von Rechtsbruch, wie es scheint. Tatsächlich hat ein Verwaltungsgericht in Warschau im Juni die Baugenehmigung für den Oderausbau auf Eis gelegt. Doch ganz so einfach ist die rechtliche Lage nicht. Ein Baustopp wird daraus erst, wenn auch der zuständige Generaldirektor für Umweltschutz der polnischen Umweltbehörde dem Urteil zustimmt. Das ist bis heute nicht geschehen, kritisiert die grüne Abgeordnete im Brandenburger Landtag, Sahra Damus. Sie schließt nicht aus, dass auch der Ausbau der Oder zum Fischsterben beigetragen hat.

Nach öffentlicher Kritik beraten Deutschland und Polen gemeinsam über die Aufklärung des Fischsterbens in der Oder. In Stettin trifft Bundesumweltministerin Steffi Lemke (Grüne) am Sonntagabend ihre polnische Amtskollegin Anna Moskwa. Tagelang hatte es Kritik gegeben, Polen habe nicht rechtzeitig über das Fischsterben informiert und Meldeketten nicht eingehalten. Die Suche nach der Ursache dauert an. Am Montag werden in Brandenburg weitere Laborergebnisse erwartet. Geprüft wird auch, ob ein erhöhter Salzgehalt im Zusammenhang mit dem Fischsterben steht. (dpa)

Damus kommt aus Frankfurt (Oder) und erlebt die Umweltkatastrophe vor der eigenen Haustür. Und sie kennt die Tricks, mit denen die polnischen Behörden arbeiten. „Gut möglich, dass da weiter auf Verzögerungstaktik gesetzt wird“, sagt sie am Sonntag der taz. „Dann ist das Jahr rum, und die Baumaßnahmen sind fertig.“ Wie weit die Modernisierung der Buhnen schon sei, so Damus, „kann man von Frankfurt aus jeden Tag sehen“.

Einen möglichen Zusammenhang zwischen dem massenhaften Fischsterben und dem Ausbau der Oder sieht auch Sascha Maier vom BUND. „Vor allem bei Niedrigwasser ist der Oderausbau ein zusätzlicher Stress für die Fische“, sagt Maier der taz. „Durch die Bauarbeiten werden Sedimente aufgewirbelt.“ Die Fische, sagt Maier, „waren nicht in einem entspannten Zustand“.

Vor allem Schwermetalle wie Quecksilber lagern in den Sedimenten. Auch wenn Polen inzwischen Schwermetalle als Ursache ausschließt und auf eine erhöhte Salzkonzentration hinweist, sehen auch polnische Umweltschützer einen möglichen Zusammenhang zu den Bauarbeiten. „Verlässliche Daten dazu gibt es im Moment zwar nicht“, sagt Piotr Nieznański von WWF-Polska zur taz. „Aber in der Diskussion über die Ursachen des Fischsterbens ist das ein wichtiger Punkt, der überprüft werden muss.“

Nieznański meint, dass die Bauarbeiten nicht nur die Fähigkeiten des Flusses zur Selbstreinigung minderten. „Die Modernisierungsarbeiten an den Buhnen können bei niedrigem Wasserstand und hohen Temperaturen ebenfalls ein zusätzlicher Fakor sein, der zur Katastrophe beigetragen hat.“

Über einen Zusammenhang zwischen Oderausbau und Fischsterben will die PiS in Polen aber nicht so gerne diskutieren. Lieber setzt Ministerpräsident Morawiecki eine Belohnung von 210.000 Euro aus, um die Verantwortlichen zu finden. Die Rede ist von der Einleitung eines Chemie-Cocktails. Dass das die Hauptursache des Fischsterben sein könnte, bestreitet auch in Deutschland keiner.

Das Schweigen hat Gründe. Polens Umweltministerin Anna Moskwa zum Beispiel, die lange im Urlaub weilte, bevor sie am Wochenende eine bessere Zusammenarbeit mit ihrer deutschen Kollegin Steffi Lemke versprochen hat, ist mit Paweł Rusiecki verheiratet. Rusiecki ist der Vizepräsident der Polnischen Wasserbehörde. Das Internetportal Interia spricht von einer „Pikanterie“. Die polnische Opposition hat angedeutet, im Sejm, dem polnischen Parlament, einen Misstrauensantrag gegen Moskwa stellen zu wollen.

Auch zwischen Politik und chemischer Industrie sind die Verbindungen eng. Vizeinfrastrukturminister ist Marek Gróbarczyk. Der war früher für den Chemiekonzern Grupa Azoty tätig. Auch Gróbarczyks Verantwortung an der Katastrophe will die Opposition klären.

Nieznańskis WWF und weitere polnische Umweltorganisationen wie die Fundacja EkoRozwoju oder EKO-UNIA fordern inzwischen eine Untersuchung. „Das dürfen keine staatlichen Institutionen übernehmen, das ist Sache unabhängiger Wissenschaftler“, schrieb Nieznański auf Twitter. Zur Begründung erklärte er, dass sich die staatlichen Institutionen in diesem Fall „total blamiert“ hätten.

Auch auf deutscher Seite werden solche Forderungen nach umfassender Aufklärung laut. „Aus meiner Sicht brauchen wir jetzt eine internationale Untersuchungskommission“, sagte Christiane Schröder vom Nabu der Berliner Zeitung.

Sahra Damus fordert darüber hinaus den Stopp der Bauarbeiten an der Oder. Dabei bringt sie auch Brüssel ins Spiel. „Die EU-Gelder, die Polen für die Bauarbeiten bekommt, dienen dem Hochwasserschutz“, erklärt sie. „Doch das ist nur ein Vorwand, tatsächlich baut Polen die Oder für die Binnenschifffahrt aus.“ Dafür gebe es aber keine Fördermittel, sagt Damus.

EU-Kommission beobachtet

Schon zuvor hatte EU-Umweltkommissar Virginijus Sinkevičius angekündigt, die Bauarbeiten „sehr aufmerksam zu verfolgen“. Er verwies darauf, dass die Kommission in Bezug auf die Habitat-Richtlinie von den polnischen Behörden weder eine Mitteilung noch ein Ersuchen um eine Stellungnahme erhalten habe. Dies sei jedoch vorgeschrieben.

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